© PhotoAlto

Familienrecht -

Elternstreit: Anspruch auf gerichtliche Umgangsregelung?

Wann haben Elternteile Anspruch auf eine verbindliche Umgangsregelung? Nach dem Bundesverfassungsgericht kann das Familiengericht hierauf verzichten, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Hierbei ist auch der Kindeswille zu beachten. Die Verfassungsbeschwerden einer Mutter und eines Vaters hatten keinen Erfolg. In einem Fall bestanden aber Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Elterngrundrecht.

Verfahren 1 BvR 316/24

Der Beschwerdeführer ist Vater eines im August 2008 geborenen Kindes. Es lebt seit der Trennung der Eltern bei der Mutter, die auch seit mehreren Jahren das Sorgerecht allein ausübt. 

In dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hatte das Familiengericht den Umgang des Beschwerdeführers mit seinem Sohn zeitweilig ausgeschlossen. 

Im Beschwerdeverfahren hat das damals 15-jährige Kind geäußert, es habe schon Interesse an seinem Vater, wolle aber spontan entscheiden, ob es diesen sehe oder nicht. Gestützt auf diesen Willen des Kindes hat das OLG die Voraussetzungen für einen Umgangsausschluss verneint und zugleich eine Umgangsregelung nicht für erforderlich gehalten. 

Das Kind habe eindeutig zum Ausdruck gebracht, keine gerichtlich angeordnete, regelmäßige Umgangsregelung zu wollen. Das Bestreben des Kindes nach Autonomie und Selbstbestimmtheit sei als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entwicklung des Kindes zu einer selbstbewussten unabhängigen Persönlichkeit zu respektieren.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Nach dem Bundesverfassungsgericht lässt sich nicht erkennen, dass das OLG mit dem Verzicht auf eine Umgangsregelung den Beschwerdeführer in seinem Elterngrundrecht verletzt. Ob der Verzicht auf eine Umgangsregelung vorliegend fachrechtlich überzeugend ist, war nicht zu entscheiden. 

Bei einem Streit der Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts haben die Fachgerichte von Verfassungs wegen eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. 

Dabei sind sie im Grundsatz zwar gehalten, bei Bestehen eines entsprechenden Regelungsbegehrens den Umgang konkret zu regeln oder ihn bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auszuschließen. 

Denn die Ablehnung der Regelung des Umgangs kann einem Umgangsausschluss gleichkommen und daher in das Elternrecht unangemessen eingreifen, ohne dass das Familiengericht die hierfür notwendigen fachrechtlichen Voraussetzungen einer Kindeswohlgefährdung geprüft hätte. 

Ohne eine Regelung des Umgangs kann das Umgangsrecht des betreffenden Elternteils leerlaufen, weil dieser ohne eine konkrete gerichtliche Regelung sein Umgangsrecht faktisch nicht ausüben kann.

Das verfassungs- und fachrechtlich begründete Gebot, im Regelfall bei entsprechendem Ersuchen den Umgang entweder konkret zu regeln oder auszuschließen, bedeutet aber nicht, dass der Verzicht auf eine Umgangsregelung durchgängig mit dem Elterngrundrecht des Umgang begehrenden Elternteils unvereinbar wäre. 

Die Nichtregelung des Umgangs stellt sich vorliegend als eine besondere Art der Ausgestaltung des Umgangs dar - nämlich Umgänge auf freiwilliger Entschließung eines nach seiner Entwicklung zu einer solchen Willensbildung befähigten Kindes. 

Soweit von einer Nichtregelung in tatsächlicher Hinsicht keine Beschränkung des Umgangs im Sinne der einschlägigen Regelung des BGB zu erwarten ist, führt eine Nichtregelung des Umgangs zu keiner Umgehung der Prüfung einer Kindeswohlgefährdung. 

Eine solche Entscheidung berücksichtigt das Elterngrundrecht des umgangsbegehrenden Elternteils vielmehr bereits dann angemessen, wenn sie am Kindeswohl ausgerichtet ist. 

Mit der angegriffenen Entscheidung, den Umgang im Hinblick auf die Wünsche des zum Entscheidungszeitpunkt 15-jährigen Sohnes nicht zu regeln, genügt das OLG dem Gebot, auch das Wohl des Kindes und seine Individualität als Grundrechtsträger zu berücksichtigen. 

Dieses verfassungsrechtliche Gebot entspricht den aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention folgenden Gewährleistungen. Das OLG hat sich dabei maßgeblich auf den Willen des Sohns gestützt, der sich gegen eine feste Umgangsregelung ausgesprochen hat. 

Der Wille des Kindes ist bei der Regelung des Umgangs zu berücksichtigen, weil ein dem Willen des Kindes nicht entsprechender Umgang die eigene Persönlichkeit des Kindes missachtet und zu Entwicklungsgefahren führen kann, die mehr Schaden als Nutzen verursachen könnten.

Verfahren 1 BvR 810/25 

Die Beschwerdeführerin ist Mutter eines im März 2017 geborenen Kindes, das seit Frühjahr 2021 bei dem mittlerweile allein sorgeberechtigten Vater lebt. 

Seitdem hat die Beschwerdeführerin mehrfach die Regelung ihres Umgangs mit dem Kind vor den Familiengerichten angestrebt. Damit ist sie bislang erfolglos geblieben, so dass sie seit März 2021 keinen Umgang mit dem Kind mehr hat. 

Im Ausgangsverfahren hat die Beschwerdeführerin erneut eine gerichtliche Umgangsregelung angeregt. Das Familiengericht hat diese Anregung wie bereits in vorangegangenen Verfahren „derzeit abgewiesen“. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen. 

Die Voraussetzungen für eine Abänderung einer früheren Entscheidung, die eine Umgangsregelung abgelehnt habe, lägen nicht vor. Eine Regelung des Umgangs könne weiterhin auch wegen der fehlenden Bereitschaft der Beschwerdeführerin zu längerfristiger professioneller Begleitung der Umgänge nicht erfolgen. 

Komme nach Überzeugung des Gerichts zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung lediglich ein begleiteter Umgang in Betracht, wolle der (an sich) umgangsberechtigte Elternteil jedoch ausschließlich unbegleiteten Umgang wahrnehmen, sei das Verfahren mit der Feststellung zu beenden, dass eine Umgangsregelung nicht veranlasst sei.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht Zweifel, ob das OLG einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Grundrechtspositionen gefunden hat, der auch dem Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin hinreichend Rechnung trägt. 

Die Rechtsauffassung des OLG, in der ihm vorliegenden Konstellation (weiterhin) trotz des entsprechenden Begehrens der Beschwerdeführerin abweichend vom Regelfall keine Umgangsregelung treffen zu müssen, ist nicht ohne Weiteres mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar. 

Das Fachgericht kann sich zwar auf eine teilweise vertretene Rechtsansicht stützen, nach der in bestimmten Fallgestaltungen auf eine Umgangsregelung verzichtet werden kann. Die von dem OLG zugrunde gelegte Rechtsansicht muss sich aber daran messen lassen, ob die Ablehnung einer Umgangsregelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Das ist vorliegend zweifelhaft.

Die vom OLG zugrunde gelegte fachrechtliche Auffassung für den Verzicht auf eine Umgangsregelung verlangt als Voraussetzung u.a. eine bei unbegleiteten Umgängen eintretende Kindeswohlgefährdung. Damit knüpft sie an die verfassungsrechtlich unbedenklichen Anforderungen aus § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB an, die hier wegen des mittlerweile mehrjährig fehlenden Umgangskontakts zum Tragen kommen dürften. 

Bei dieser Anwendung des Fachrechts müssen die Fachgerichte, um dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gerecht zu werden, bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten Umgangsausschluss grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen. 

Auf entsprechende Feststellungen kann grundsätzlich auch auf der Grundlage der vom OLG zugrunde gelegten Rechtsauffassung von Verfassungs wegen nicht verzichtet werden. 

Anderenfalls würde den Fachgerichten über das - ggf. mehrfache - Absehen von einer Umgangsregelung bzw. eines Umgangsausschlusses ermöglicht, langjährig fehlende Umgangskontakte zu bewirken, ohne die dafür nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB an sich erforderliche Kindeswohlgefährdung festzustellen.

Das OLG dürfte eine Kindeswohlgefährdung aber nicht in einer diesen Erfordernissen genügenden Weise festgestellt haben. Die Ausführungen des Gerichts beschränken sich insoweit weitgehend auf die Prognose, es sei nach zwei oder drei von der Beschwerdeführerin zugestandenen begleiteten Umgängen von einem Umgangsabbruch auszugehen, weil danach unbegleitete Umgänge noch nicht in Frage kämen. 

Ein Umgangsabbruch sei aber für das betroffene Kind wegen des Aufenthaltswechsels in frühen Jahren und aufgrund der Belastungen infolge durchgehender Kindschaftsverfahren in besonderem Maße kindeswohlschädlich. Welche konkrete Schädigung drohen soll, wird indes nicht umfassender ausgeführt. 

Soweit das OLG zudem eine „konkrete Gefahr“ dafür sieht, dass das Kind nach einem oder mehreren Umgängen mit der Mutter weiteren Umgangskontakt ablehnen werde, bleibt die Grundlage für diese Prognose unklar. Soweit das OLG seine Prognose auf die Einschätzung eines familienpsychologischen Sachverständigen stützt, bleiben ebenfalls Zweifel an einer insgesamt hinreichend tragfähigen Grundlage des angegriffenen Beschlusses. 

Ausweislich der Entscheidungsgründe handelt es sich um eine „vorläufige Einschätzung“, die zudem vom 18.11.2022 stammt und damit die Entwicklungen von mehr als zwei Jahren bis zum angegriffenen Beschluss nicht berücksichtigen kann. 

Zudem hat das OLG nicht hinreichend in den Blick genommen, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Umgangsentscheidungen mit zunehmender Dauer des fehlenden Umgangs nicht nur in materieller Hinsicht steigen. Es steigen vielmehr auch die Anforderungen an die Verfahrensgestaltung und die Begründung der fachgerichtlichen Entscheidung. 

Hier lässt sich dem angegriffenen Beschluss auch nicht entnehmen, auf welcher Grundlage der Sachverständige seine vorläufige Einschätzung abgegeben hat. 

Insgesamt lassen die Beschlussgründe befürchten, dass das OLG die Bedeutung einer hinreichend tragfähigen Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung nicht vollumfänglich im Blick hatte. 

Dem kommt hier aber besondere Bedeutung zu, weil der erneute Verzicht auf eine Umgangsregelung angesichts der mittlerweile mehr als vier Jahre andauernden Umgangsunterbrechung mit nicht unerheblichem Gewicht in das Elterngrundrecht der Beschwerdeführerin eingreift.

BVerfG, Beschlüsse v. 28.08.2025 - 1 BvR 316/24 und 1 BvR 810/25 

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 08.10.2025

Welche Gerichte sind nun zuständig bei internationalen Ehe- und Kindschaftssachen?

Mit diesem Praxisleitfaden sind Sie bei Ihren internationalen Fällen sofort wieder im Bilde! PLUS: Zahlreiche typische Fallbeispiele zeigen Ihnen an, wo die Rechtslage sich nun konkret geändert hat.

» Jetzt hier kostenlos herunterladen!

 

Die smarte Lösung – auch für Apple-Betriebssysteme (Mac-OS)!

Mit dem übersichtlichen Berechnungsprogramm erledigen Sie Ihre familienrechtlichen Berechnungen schnell und rechtssicher.

23,32 € mtl. zzgl. USt

Der Klassiker jetzt auch als Online-Version: Bearbeiten Sie Ihre Familienrechtsmandate schnell und zielsicher. Auch für Neueinsteiger und Gelegenheitsfamilienrechtler geeignet!

19,95 € mtl. zzgl. USt