Entscheidung nach Ablauf der Abtretungsfrist

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Wirkungen der Restschuldbefreiung

Geltungszeitpunkt

Die erteilte Restschuldbefreiung gilt als mit Ablauf der Abtretungsfrist erteilt, auch wenn die Rechtskraft der Entscheidung erst später eintritt (§ 300 Abs. 1 Satz 3 InsO). Gehen in der Zwischenzeit noch abgetretene Einkünfte beim Treuhänder ein, hat sie dieser zu verwahren und nach Rechtskraft der Restschuldbefreiung an den Schuldner auszukehren.

Asymmetrisches Verfahren

Läuft die Abtretungsfrist ab, bevor das Insolvenzverfahren beendet ist, so ist davon unabhängig über die Restschuldbefreiung zu entscheiden. Wird dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt, gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Ende der Abtretungsfrist oder nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 2 Satz 1 InsO erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse (§ 300a Abs. 1 Satz 1 InsO). Dabei gehört der Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuerzahlungen zur Insolvenzmasse und nicht zum insolvenzfreien Neuerwerb des Schuldners, wenn der die Erstattungsforderung begründende Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens vor Ablauf der Abtretungsfrist verwirklicht worden ist (BGH v. 13.01.2022 – IX ZR 64/21; vgl. Teil 11/6.3.3).

Wirkung gegenüber allen Insolvenzgläubigern

Die Restschuldbefreiung wirkt gegen alle Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38 InsO und § 39 InsO, auch wenn sie ihre Forderungen im Insolvenzverfahren verspätet oder nicht angemeldet haben oder nicht anmelden konnten (§ 301 Abs. 1 InsO; Uhlenbruck/Sternal, InsO, § 301 Rdnr. 8).

Keine "partielle Restschuldbefreiung"

Eine "partielle Restschuldbefreiung" dergestalt, dass von der Restschuldbefreiung nur diejenigen Forderungen umfasst sein sollen, die der Schuldner im Rechtsverkehr unter seinem Aliasnamen begründet hat, kommt nicht in Betracht (AG Hamburg v. 08.11.2022 – 68g IK 608/17AG; a.A. AG Marburg v. 28.01.2010 – 22 IK 163/07).

Neuverbindlichkeiten

Verbindlichkeiten des Schuldners, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet werden, sind nicht von der Restschuldbefreiung umfasst. Wenn einem Verfahrensbeteiligten Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, hindert eine ihm danach erteilte Restschuldbefreiung die Einziehung von auf die Staatskasse übergegangenen Vergütungsansprüchen des beigeordneten Rechtsanwalts nur, soweit dessen Gebühren schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen sind (OLG Frankfurt v. 10.08.2018 – 6 WF 158/18). Insofern kommt keine nachträgliche Anordnung von Ratenzahlungen für vor der Insolvenzeröffnung der Partei entstandene Ansprüche der Staatskasse auf zu erstattende Leistungen der Prozesskostenhilfe in Betracht (LAG Hamm [Westfalen] v. 14.09.2022 – 5 Ta 133/22).

Unvollkommene Verbindlichkeiten

Die Forderungen der Gläubiger werden zu unvollkommenen Verbindlichkeiten (BT-Drucks. 12/2443, S. 194). Die Forderung erlischt jedoch nicht. Der Schuldner kann die Forderungen weiterhin erfüllen, der jeweilige Gläubiger kann sie aber nicht mehr fordern (FG Niedersachsen v. 23.08.2022 – 13 K 18/21); gegen eine Zwangsvollstreckung steht dem Schuldner die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu (BGH v. 25.09.2008 – IX ZB 205/06).

Verwaltungsrechtsweg

Den gegen die Vollstreckbarkeit einer bestandskräftigen Abgabenfestsetzung erhobenen Einwand der Erlangung der Restschuldbefreiung kann der Abgabenschuldner im Wege der Feststellungsklage nach § 43 VwGO geltend machen. Eine solche Feststellungsklage ist gegen den Rechtsträger Vollstreckungsbehörde zu richten (VG Greifswald v. 20.06.2018 – 3 A 1365/16 HGW).

Kfz-Zulassung

Nach erteilter Restschuldbefreiung stellt die Vorenthaltung der Kfz-Zulassung bis zur vorherigen Begleichung rückständiger Gebühren aus Zulassungsvorgängen und die dadurch herbeigeführte Gebührenzahlung einen Verstoß gegen die sich aus § 301 InsO ergebenden Wirkungen der Restschuldbefreiung dar mit der Folge, dass ein rechtlicher Grund für das Behaltendürfen der Leistung nicht gegeben ist. § 301 Abs. 3 InsO steht der Rückforderung nicht entgegen, wenn der auf die Zulassung des Kfz angewiesene Antragsteller unter dem Druck der Verweigerung der begehrten Zulassung seine Rechte aus der Restschuldbefreiung preisgibt und Zahlung leistet (OVG Saarlouis v. 14.09.2016 – 1 A 121/15).

Sperrfrist für einen neuerlichen Antrag auf Restschuldbefreiung

Die Erteilung der Restschuldbefreiung hat zur Folge, dass ein erneuter Antrag auf Restschuldbefreiung erst nach Ablauf von elf Jahren gestellt werden kann (§ 287a Abs. 2 Satz 1 InsO; vgl. Teil 11/3.3.4). Außerdem beträgt die Abtretungsfrist in einem weiteren Verfahren statt drei dann fünf Jahre287 Abs. 2 InsO; vgl. Teil 11/5.1.1).

Verzicht des Schuldners auf die Wirkungen einer Restschuldbefreiung

Der Schuldner kann weder vor noch innerhalb eines Insolvenzverfahrens gegenüber einem Gläubiger auf die Wirkungen der Restschuldbefreiung verzichten. Eine solche Vereinbarung während der Treuhandzeit zugunsten eines einzelnen Gläubigers ist schon nach § 294 Abs. 2 InsO unzulässig, weil danach Sonderabkommen zugunsten einzelner Gläubiger verboten sind. Der vollständige oder teilweise Verzicht auf die Wirkungen der Restschuldbefreiung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist unwirksam (BGH v. 25.06.2015 – IX ZR 199/14).

Neuverpflichtung

Etwas anderes soll für die von der Restschuldbefreiung erfassten, unbefriedigt gebliebenen Verbindlichkeiten gelten, die nach der Erteilung der Restschuldbefreiung grundsätzlich durch Vereinbarungen neu sollen begründet werden können. Durch ein abstraktes Schuldanerkenntnis oder durch ein Schuldversprechen i.S.d. §§ 780, 781 BGB soll die Forderung wieder klagbar gemacht werden können. Allerdings wird darauf verwiesen, dass dann, wenn das selbständige Schuldanerkenntnis ohne Gegenleistung erklärt werde, es schenkweise gegeben werde und deswegen gem. § 518 Abs. 1 Satz 2 BGB der notariellen Beurkundung bedürfe (MüKo-InsO/Stephan, § 301 Rdnr. 23; vgl. BGH v. 05.12.1979 – IV ZR 107/78).

Einzug von übergegangenen Vergütungsansprüchen durch die Staatskasse

Ist einem Verfahrensbeteiligten Verfahrenskostenhilfe bewilligt, hindert eine ihm danach erteilte Restschuldbefreiung die Einziehung von auf die Staatskasse übergegangenen Vergütungsansprüchen des beigeordneten Rechtsanwalts nur, soweit dessen Gebühren schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angefallen sind (OLG Frankfurt v. 10.08.2018 – 6 WF 158/18).

Haftung des Bürgen

Pfandrechte und Sicherungsrechte der Gläubiger wie auch die Schuld eines Bürgen bleiben von einer erteilten Restschuldbefreiung unberührt301 Abs. 2 InsO). Der Gläubiger kann auf diese Rechte ungehindert Zugriff nehmen. Der Schuldner wird durch die Restschuldbefreiung aber gegenüber dem Bürgen oder einem anderen Rückgriffsberechtigten befreit (§ 301 Abs. 2 Satz 2 InsO). Der Bürge kann damit seinen Anspruch nach § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht mehr geltend machen. Die Rechtsfolge des § 301 Abs. 2 InsO entspricht der Regelung im Insolvenzplanverfahren nach § 254 Abs. 2 InsO.

Absonderungsrechte bleiben erhalten

Die Rechte der Insolvenzgläubiger aus einem Recht, das im eröffneten Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung nicht berührt (§ 301 Abs. 2 Satz 1 InsO). So kann etwa ein Gläubiger auch dann auf das mit einer Grundschuld zu seinen Gunsten belastete Grundstück im Wege der Zwangsvollstreckung Zugriff nehmen, wenn der zugrundeliegende Darlehensanspruch der Restschuldbefreiung unterliegt. Die Restschuldbefreiung begründet keinen Anspruch auf Erteilung einer Löschungsbewilligung hinsichtlich einer vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetragenen Zwangshypothek (BGH v. 10.12.2020 – IX ZR 24/20). Dies hat zum einen zur Folge, dass eine – außerhalb der Rückschlagsperre nach § 88 InsO erlangte – (Zwangssicherungs-)Hypothek, die eine Insolvenzforderung sichert, durch die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht gem. § 1163 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Eigentümer übergeht. Weiter werden die Rechte der Insolvenzgläubiger aus einem solchen Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, durch die Restschuldbefreiung gem. § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht berührt. Die Hypothek berechtigt daher weiterhin zur Befriedigung aus dem belasteten Grundstück (vgl. § 1113 Abs. 1 BGB), als sie im Insolvenzverfahren gem. § 49 InsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigt (FG Niedersachsen v. 23.08.2022 – 13 K 18/21). Ein Gläubiger kann somit aus der eingetragenen Sicherungshypothek während des Insolvenzverfahrens, nach Freigabe des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter oder nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung vollstrecken.

Ebenso wird die wirksam und insolvenzfest vorgenommene Sicherungsübereignung eines beweglichen Gegenstands nicht dadurch obsolet, dass der Schuldner von der gesicherten Forderung befreit wird. Der gesicherte Gläubiger kann davon ausgehen, dass ihm die gestellte Sicherheit ungeachtet einer erteilten Restschuldbefreiung erhalten bleibt. Dies dient letztlich der Kreditfähigkeit des Schuldners.

Lohnabtretung

In Verfahren, die nach dem 30.06.2014 beantragt werden, ist mangels einer dem § 114 Abs. 1 InsO entsprechenden Regelung allein auf die Vorschrift des § 301 Abs. 2 Satz 1 InsO abzustellen. Nachdem eine Lohnabtretung im eröffneten Verfahren hinsichtlich der in dieser Zeit fällig werdenden Ansprüche nach § 91 InsO nicht zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, bleibt die Lohnabtretung auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung unbeachtlich. Die Lohnabtretung stellt kein insolvenzfestes Absonderungsrecht dar (BGH v. 26.06.2008 – IX ZR 87/07).

Lohnpfändung

Mangels einer der Vorschrift des § 114 Abs. 3 InsO vergleichbaren Regelung kann eine Lohnpfändung innerhalb eines nach dem 30.06.2014 beantragten Insolvenzverfahren gem. § 91 InsO kein Recht auf abgesonderte Befriedigung begründen. Entsprechend wird eine Lohnpfändung auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung nicht durch § 301 Abs. 2 Satz InsO geschützt. Wird dagegen dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt, lebt die Lohnpfändung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens bzw. der Wohlverhaltensphase wieder auf, soweit die titulierte Forderung, aufgrund derer die Pfändung ursprünglich ausgebracht wurde, fortbesteht und nicht etwa während des Insolvenzverfahrens oder der Wohlverhaltensphase getilgt wurde (vgl. BGH v. 24.03.2011 – IX ZB 217/08). Während des eröffneten Verfahrens bzw. innerhalb der Wohlverhaltensphase genügt es, wenn das Vollstreckungsgericht die Pfändung aussetzt, um die Wirkungen der Verstrickung zu suspendieren. Eine Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme ist nicht erforderlich und würde dem Pfändungsgläubiger die Möglichkeit des Wiederauflebens seiner Pfändungsmaßnahme nehmen (BGH v. 02.12.2021 – IX ZB 10/21). Dieselben Folgen ergeben sich bei der Pfändung sonstiger wiederkehrender künftiger Leistungen, wo diese Pfändung nicht zu einem insolvenzfesten Absonderungsrecht führt, also z.B. bei der Pfändung von Kontoguthaben i.S.d. § 833a ZPO.

Aufrechnung

Die Möglichkeit der Aufrechnung wird durch die Restschuldbefreiung dann nicht beeinträchtigt, wenn die Aufrechnungslage bereits zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestand (§ 94 InsO; vgl. BGH v. 19.05.2011 – IX ZR 222/08 für den Fall, dass die Gegenforderung von den Regelungen eines Insolvenzplans betroffen wird). Nach Erteilung der Restschuldbefreiung kann dagegen mit einer Insolvenzforderung, die von der Restschuldbefreiung betroffen wird, nicht mehr gegen Forderung aufgerechnet werden, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugunsten des Schuldners begründet werden. Insoweit steht die notwendige Durchsetzbarkeit der Gegenforderung der Aufrechnung entgegen (§§ 387, 390 BGB; OLG München v. 30.11.2017 – 23 U 1226/17; a.A. OLG Oldenburg v. 05.11.2013 – 12 U 94/13). Mit Forderungen, die erst nach Verfahrenseröffnung begründet wurden (Neuforderungen), ist eine Aufrechnung gegenüber den Ansprüchen des Schuldners wiederum möglich. Diese Forderungen werden von einer Restschuldbefreiung nicht betroffen. Ebenso kann mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden, die gem. § 302 InsO nicht von einer Restschuldbefreiung betroffen sind.

Aufrechnung mit Masseansprüchen

Nach Ansicht des BFH kann mit Steuerschulden, die als Masseverbindlichkeiten entstanden sind, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit Erstattungsansprüchen des ehemaligen Insolvenzschuldners verrechnet werden. Der Verrechnung stehe eine dem Insolvenzverfahren immanente sogenannte Haftungsbeschränkung bzw. eine Einrede der beschränkten Haftung des Insolvenzschuldners nicht entgegen (BFH v. 28.11.2017 – VII R 1/16).

Wegfall von Berufsbeschränkungen

Ein allein aufgrund der Insolvenz des Schuldners erlassenes Verbot, eine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder freiberufliche Tätigkeit aufzunehmen oder auszuüben, tritt mit Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung außer Kraft (§ 301 Abs. 4 Satz 1 InsO). Dies gilt nicht für die Versagung und die Aufhebung einer Zulassung zu einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit.

Akteneinsicht

Die im Anschluss eines Verbraucherinsolvenzverfahrens dem Schuldner erteilte Restschuldbefreiung schließt ein rechtliches Interesse von Gläubigern an der Einsicht in die Verfahrensakten nicht aus, auch wenn deren Forderungen möglicherweise von der Restschuldbefreiung erfasst sein könnten und die Forderungen von ihnen im Insolvenzverfahren selbst nicht angemeldet worden sind (KG v. 12.04.2016 – 1 VA 14/15).

Steuerliche Behandlung des Sanierungsgewinns

Der Erlass von Verbindlichkeiten zum Zwecke der Sanierung führt zur Erhöhung des Betriebsvermögens und stellt damit einen Sanierungsgewinn dar. Mit der bis zum 01.11.1997 geltenden Fassung des § 3 Nr. 66 EStG waren Sanierungsgewinne steuerfrei gestellt, wenn der Schuldenerlass der Sanierung des Unternehmens diente. Für die Steuerfreiheit eines Sanierungsgewinns gem. § 3 Nr. 66 EStG mussten nach ständiger Rechtsprechung des BFH folgende Voraussetzungen erfüllt sein: die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens, der volle oder teilweise Erlass seiner Schulden, die insoweit bestehende Sanierungsabsicht der Gläubiger sowie die Sanierungseignung des Schuldenerlasses (BFH v. 19.03.1991 – VIII R 214/85; BFH v. 19.03.1993 – III R 79/91; BFH v. 06.03.1997 – IV R 47/95; BFH v. 17.11.2004 – I R 11/04).

Sanierungserlass

Nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG hat das BMF mit dem sogenannten Sanierungserlass vom 27.03.2003 (IV A 6 – S 2140 – 8/03) die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen faktisch wieder hergestellt. Für die Einkommen- und Körperschaftsteuer konnte die Finanzbehörde seither im Festsetzungs- und Feststellungsverfahren (§ 163 AO) und im Erhebungsverfahren (§§ 222, 227 AO) Billigkeitsmaßnahmen ergreifen und die Steuer auf den Sanierungsgewinn – nach Verrechnung mit Verlustvorträgen – stunden und im Ergebnis ganz erlassen. Mit BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (IV C 6 – S-2140/07/10001-01) wurde die entsprechende Anwendung der genannten Grundsätze auf Gewinne aus einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) und aus einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) festgelegt. Danach war auch die aufgrund einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) oder einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) entstehende Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 163 AO abweichend festzusetzen und nach § 222 AO mit dem Ziel des späteren Erlasses (§ 227 AO) zunächst unter Widerrufsvorbehalt ab Fälligkeit (AEAO zu § 240 Nr. 6 Buchst. a) zu stunden.

Entscheidung des Großen Senats des BFH

Mit Beschluss vom 28.11.2016 hat der Große Senat des BFH (GrS 1/15) festgestellt, dass die Finanzverwaltung mit dem sogenannten Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße.

Gesetz vom 27.06.2017

Mit Gesetz vom 27.06.2017 (BGBl I, 2074) hat der Gesetzgeber reagiert und mit § 3a EStG die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen normiert. Grundsätzlich sind nur unternehmensbezogene Sanierungen begünstigt, die darauf gerichtet sind, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Ergänzend hierzu enthält § 3a Abs. 5 EStG die Aussage, dass auch Erträge aus einer nach den §§ 286 ff. InsO erteilten Restschuldbefreiung, einem Schuldenerlass aufgrund eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans zur Vermeidung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens nach den §§ 304 ff. InsO oder aufgrund eines Schuldenbereinigungsplans, dem in einem Verbraucherinsolvenzverfahren zugestimmt wurde oder wenn diese Zustimmung durch das Gericht ersetzt wurde, ebenfalls steuerfrei sind, soweit es sich um Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen handelt, auch wenn die Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung i.S.d. § 3a Abs. 2 EStG nicht vorliegen.

Anwendung des § 3a EStG

Die Regelungen des § 3a EStG sind gem. § 52 Abs. 4a EStG auf alle Fälle anzuwenden, in denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 08.02.2017 (Tag der Veröffentlichung des Beschlusses des Großen Senats des BFH (GrS 1/15)) erlassen wurden. Für Steuerfälle, in denen der Schuldenerlass bis zum 08.02.2017 ausgesprochen wurde oder in denen bis zum Stichtag eine verbindliche Auskunft erteilt wurde, ist nach dem BMF-Schreiben vom 27.04.2017 (IV C 6 – S 2140/13/10003) der Sanierungserlass aus Vertrauensschutzgründen weiterhin anwendbar. In Fällen mit nicht aufgehobener oder widerrufener verbindlicher Auskunft und Schuldenerlass nach dem 08.02.2017 kann der Steuerpflichtige wählen, ob er die Steuerbefreiung nach § 3a EStG oder die Vertrauensschutzregelung in Anspruch nehmen will (BT-Drucks. 18/12128, S. 33).

Beschluss der Europäischen Kommission

Die genannten Vorschriften des EStG treten jedoch erst an dem Tag in Kraft, an dem die Europäische Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Regelungen entweder keine staatlichen Beihilfen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen. Der Tag des Beschlusses der Europäischen Kommission sowie der Tag des Inkrafttretens werden vom Bundesministerium der Finanzen gesondert im Bundesgesetzblatt bekanntgemacht.

Anfechtung nach AnfG

Eine dem Schuldner erteilte Restschuldbefreiung steht der Gläubigeranfechtung auch dann nicht entgegen, wenn der Gläubiger die Anfechtungsklage, die Rechtshandlungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens betrifft, erst nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erhebt. Der Anfechtungsgegner kann sich nicht auf die dem Schuldner gewährte Restschuldbefreiung berufen. Zwar ist er grundsätzlich berechtigt, in den Grenzen des § 767 ZPO Einwände gegen den Bestand des titulierten Anspruchs zu erheben. Die Restschuldbefreiung schützt jedoch zunächst allein den Schuldner, dessen Vermögen im Rahmen des Insolvenzverfahrens vollständig zugunsten der Gläubiger verwertet worden ist. Gegenstand einer Gläubigeranfechtung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ist ehemaliges Vermögen des Schuldners, welches zur Insolvenzmasse gehört hätte und zugunsten aller Insolvenzgläubiger hätte verwertet werden müssen. Der Anfechtungsgegner verdient in einem solchen Fall – das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestands unterstellt – keinen Schutz. Die Interessen des Schuldners werden durch die Gläubigeranfechtung nicht beeinträchtigt, weil etwaige Folgeansprüche des Anfechtungsgegners, die sich gem. § 12 AnfG ausschließlich gegen den Schuldner richten, der Restschuldbefreiung unterfallen (BGH v. 22.03.2018 – IX ZR 163/17).