Arbeitsrecht -

Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken

Welche zusätzlichen Rechte wurden den Organen der betrieblichen Mitbestimmung durch das Risikobegrenzungsgesetz verliehen?

Das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) ist am 19.08.2008 in Kraft getreten. Die arbeitsrechtlichen Regelungen stellen ein Paradebeispiel für unausgegorenen Aktionismus des Gesetzgebers dar, der ein erhebliches Erfahrungsdefizit hinsichtlich der Praxis des Transaktionsgeschäfts offenbart. Trotzdem muss der Rechtsanwalt auch mit diesen gesetzgeberischen Fehlleistungen vertraut sein.{DB:tt_content:2566:bodytext}

In allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern hat der Unternehmer den Wirtschaftsausschuss („WA“) rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten, soweit dadurch nicht Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet werden, sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Personalplanung darzustellen, § 106 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Nr. 9a BetrVG.

Wurde kein WA gebildet, ist der Betriebsrat zu unterrichten. Diese Unterrichtungspflicht nach § 109a BetrVG besteht selbstverständlich nur in Unternehmen, in denen der Schwellenwert von 100 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern überschritten wird. In Unternehmen mit bis zu 100 regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern ist mangels Erfüllung der Voraussetzung des § 106 BetrVG ohnehin kein WA zu bilden. In solchen Kleinunternehmen besteht keine Unterrichtungspflicht über einen Tatbestand des § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG gegenüber dem Betriebsrat.

Damit soll sichergestellt werden, dass der WA und bei dessen Fehlen der Betriebsrat bei der Übernahme des Unternehmens sowie bei einem Bieterverfahren unterrichtet wird, sofern mit der Übernahme der Erwerb der Kontrolle über das Unternehmen verbunden ist. Eine solche Unterrichtungspflicht bestand bei börsennotierten Unternehmen schon vor Erlass des Risikobegrenzungsgesetzes aufgrund entsprechender Regelungen des WpÜG. Durch die vorgenommene Ergänzung des BetrVG soll eine Gleichstellung der börsennotierten mit den nicht börsennotierten Unternehmen erfolgen (BT-Drucks. 449/08, S. 9).

Die Zukunft wird zeigen, welche tatsächlichen Auswirkungen diese für das Transaktionsgeschäft wichtigen rechtlichen Neuerungen haben werden. An dieser Stelle soll die Neuregelung unter praktischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

1. Unterrichtungspflichtiger Unternehmer
Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 106 III Nr. 9a BetrVG („die Übernahme des Unternehmens“) ergibt sich eine Pflicht zur Unterrichtung des WA der Zielgesellschaft eines geplanten Unternehmenskaufs, wenn damit der Erwerb der Kontrolle durch den Käufer verbunden ist. Schuldner des Unterrichtungsanspruchs ist danach allein die Zielgesellschaft als Unternehmer. Aus der Vorschrift ergibt sich keine Unterrichtungspflicht des potentiellen Erwerbers.

2. Inhalt der Unterrichtungspflicht
Der Unternehmer hat im Rahmen seiner Informationspflicht Angaben über den potenziellen Erwerber und dessen Absichten im Hinblick auf die künftige Geschäftstätigkeit des Unternehmens sowie die sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Arbeitnehmer zu machen. Die Unterrichtungspflicht ist insoweit auf Tatsachen beschränkt, die dem Unternehmer tatsächlich bekannt sind. In vielen Fällen wird der Unternehmer den WA nicht sehr präzise informieren können. Belässt es der potentielle Erwerber bei dem Hinweis, keine konkreten Maßnahmen zu planen, die für das Personal erheblich sind, genügt der Unternehmer seiner Informationspflicht durch Weitergabe dieser Angaben. Durch den Zusatz „insbesondere“ wird deutlich gemacht, dass die Information über die im Gesetz ausdrücklich genannten Gegenstände Mindestangaben sind.

Bei so genannten „share deals“ agieren auf beiden Seiten in aller Regel nicht die Geschäftsführungen, sondern die Gesellschafter. Dann aber ist der Unternehmer i.S.d. gesetzlichen Vorschrift nicht in der Lage, vollständig zu informieren. Selbst wenn man einen „Informationsdurchgriff“ des Unternehmers der Zielgesellschaft auf deren Gesellschafter bejaht, besteht ein solcher Anspruch gegenüber den Gesellschaftern des Erwerbers nicht – vorbehaltlich einer zukünftigen Rechtsfortbildung durch das BAG.

3. Zeitpunkt der Information
Nach den bisherigen Auslegung der Vorschrift des § 106 BetrVG muss der Unternehmer den WA informieren, sobald die Schwelle zu konkreten Planungen überschritten ist. Der Neuregelung des § 106 Abs. 2 BetrVG lässt sich hinsichtlich des Zeitpunkt der Unterrichtung mit Sicherheit entnehmen, dass eine Unterrichtungspflicht bereits vor Abschluss der Transaktion besteht. Nicht der Erwerber, sondern der „potentielle Erwerber“ ist Gegenstand der Informationspflicht.

Die Feststellung des frühest möglichen Zeitpunkt, zu dem die Unterrichtungspflicht im Falle einer geplanten Transaktion ausgelöst wird, wird durch die Tatsache erschwert, dass der in § 106 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verwendete Begriff des "Bieterverfahrens" gesetzlich nicht definiert ist. Tatsächlich wird in der Praxis im Rahmen eines Bieterverfahrens zunächst eine Unternehmensprüfung im Rahmen einer so genannten Due Diligence durchgeführt. Vor Abschluss dieser (legal/ tax/ environmental/ financial) Due Diligence steht noch nicht fest, ob und welche Unternehmen als potenzielle Erwerber in Betracht kommen.

Im Falle der Information über eine geplante Transaktion ist festzustellen, dass auch die Frage des frühest möglichen Zeitpunkts der Information durch die Zielgesellschaft vom potentiellen Erwerber abhängig ist. Dieser wird sich über Details seiner zukünftige Unternehmensstrategie im Hinblick auf die Zielgesellschaft und die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer ("Personalkonzept") im Prozess des Unternehmenskaufs häufig erst im Rahmen des verbindlichen Angebotes bzw. eines überarbeiteten „share purchase agreement“ äußern. Zu einem früheren Zeitpunkt kann die Zielgesellschaft nicht informieren und muss sie deshalb auch von Rechts wegen nicht informieren.

4. Form der Unterrichtung
Das Gesetz spricht von einer Unterrichtung unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen. Vorlage der Unterlagen bedeutet, dass den Mitgliedern des WA die Möglichkeit der Einsichtnahme eingeräumt wird, § 108 Abs. 3 BetrVG. Der Unternehmer ist also zur Weitergabe von Informationen, nicht von Dokumenten verpflichtet. Grundsätzlich ist die Zielgesellschaft damit verpflichtet, dem WA/ Betriebsrat Einsicht in alle Dokumente und Unterlagen Dritter, nämlich der potentiellen Erwerber zu gewähren.

Dass Gesetz sieht eine Schranke vor, indem es den Vorbehalt schützenswerter Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse macht. Mit Hinweis auf eine Gefährdung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen des Unternehmens, also der Zielgesellschaft, kann diese von einer Unterrichtung von WA, respektive Betriebsrat absehen. Der Unternehmer muss hierfür nach pflichtgemäßer Prüfung der objektiv begründeten Ansicht sein, dass trotz der Geheimhaltungspflicht, die für den WA/ Betriebsrat gilt, eine Gefährdung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse eintreten kann.

Von einem Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des potentiellen Erwerbers ist im Gesetz nicht die Rede. Der Gesetzgeber kann aber nicht allen Ernstes die schützwürdigen Interessen dieser Unternehmen schutzlos stellen wollen. So ist z.B. gerade im Fall von Auktionsverfahren und bei so genannten „negotiated sales“ Vertraulichkeit oberstes Prinzip. Das Prinzip einer verdeckten Auktion bzw. einer vertraulichen Verhandlung im Kreis der Entscheidungsträger wäre damit mit dem Gesetz nicht vereinbar, solche Transaktionsmodelle undurchführbar.

Die Rechte Dritter im Rahmen der Unterrichtung von WA/ Betriebsrat müssen durch angemessene Auslegung der gesetzlichen Regelungen gewahrt werden. Hier sind noch viele Fragen offen. Welche Daten darf oder muss der Unternehmer bei der Vorlage von Unterlagen zur Einsicht unkenntlich, z.B. durch Schwärzung machen? Welche Wirkung entfaltet eine Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen Zielgesellschaft und potentiellen Erwerbern?

M.E. muss der Ausgleich zwischen Informationsinteresse des WA bzw. Betriebsrats und dem Geheimhaltungsinteresse der Vertragsparteien einer Unternehmensübernahme so hergestellt werden, dass erst mit Wegfall des Vertraulichkeitserfordernisses oder Beendigung der Verschwiegenheitsverpflichtung der Zielgesellschaft eine Unterrichtungspflicht entsteht. Dieser Zeitpunkt muss aber vor Durchführung der Transaktion liegen.

Wenn das Gesetz in § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sogar eine Beratung der Transaktion zwischen Unternehmen und WA vorsieht, ist die Vorschrift hier teleologisch zu reduzieren. Hier zeigt sich deutlich, dass die neue Ziff. 9a des § 106 Abs. 3 BetrVG völlig systemfremd sind. Unternehmer und WA/ Betriebsrat der Zielgesellschaft sollen die Absichten eines Dritten, nämlich des potentielle Erwerbers beraten. Die Vorschrift muss auch insoweit teleologisch reduziert werden. Im Rahmen von Unternehmensübernahmen kommt weder der Unternehmensleitung noch dem WA/ Betriebsrat irgendeine Entscheidungsbefugnis zu. Es muss also bei der schlichten Unterrichtung über die geplante Transaktion bleiben.

Gleiches gilt für das Verfahren nach § 109 BetrVG, das vom Gesetzgeber durch das Risikobegrenzungsgesetz nicht an die neuen Tatbestände angepasst wurde. Der potentielle Erwerber ist niemals Beteiligter des Einigungsstellenverfahrens und ist nicht gemäß § 109 Satz 2 BetrVG („Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.“) an den Spruch der Einigungsstelle gebunden. Die Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens wäre also blanker – kostenträchtiger – Unsinn.

5. Erwerb der Kontrolle über das Unternehmen
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass das Risikobeschränkungsgesetz nach der Gesetzesbegründung darauf abzielt, eine Gleichstellung der börsennotierten mit den nicht börsennotierten Unternehmen zu erreichen. Zur Frage, wann der Erwerb der Kontrolle vorliegt, verweist die Gesetzesbegründung auf § 29 Abs. 2 WpÜG verweist. Danach ist – bei börsennotierten Unternehmen – ein Wechsel von mindestens 30 % der Stimmrechte Tatbestandsvoraussetzung des Kontrollerwerbs.

Die bloße Gleichstellung im Rahmen des § 106 Abs. 3 Nr. 9a BetrVG, also die Annahme eines Kontrollerwerbs bei nicht börsennotierten Unternehmen bei Erwerb von mindestens 30 % der Stimmanteile, stellte eine grobe Vernachlässigung oder Unkenntnis rechtlicher Unterschiede dar. Bei nicht börsennotierte Unternehmen ist ein Kontrollerwerb mit diesem Stimmanteil schlechterdings kein Kontrollerwerb. Wer 30 % der Geschäftsanteile einer GmbH erwirbt, kontrolliert die GmbH nicht. Kontrolliert wird eine GmbH durch den Allein- oder Mehrheitsgesellschafter. Ein Kontrollerwerb ist tatsächlich erst beim Erwerb von mindestens 50 % der Geschäftsanteile nicht börsennotierter Unternehmen anzunehmen. Auch hier hat der Gesetzgeber nicht gewusst, was er tat. Der Ausdruck seiner lückenhaften Rechtskenntnis in den Gesetzesmaterialien muss unberücksichtigt bleiben und einer sinnvollen Auslegung des Gesetzes, die sich am Zweck orientiert, weichen.

6. Sanktionen bei Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht
Einziger Lichtblick im Zusammenhang mit der gesetzlichen Erweiterung der Rechte des WA/ Betriebsrats ist die Tatsache, dass ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht "nur" eine Ordnungswidrigkeit nach § 121 BetrVG ist und danach ein Bußgeld bis zu 10.000 EUR verhängt werden kann.

Insbesondere ist ein Spruch der Einigungsstelle nach § 109 BetrVG nicht vollstreckbar und kann lediglich die Unvollständigkeit der Unterrichtung feststellen.

Der Betriebsrat kann einen Verkaufsprozess insbesondere nicht mit Hilfe einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Arbeitsgericht verzögern, weil eine einstweiligen Verfügung sich gegen die Zielgesellschaft richtete, nicht hingegen gegen die Gesellschafter/Anteilseigner der Zielgesellschaft.

Quelle: Dr. Martin Kolmhuber, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht - Anmerkung zum Risikobegrenzungsgesetz vom 03.06.09