Arbeitsrecht -

Urlaubsabgeltung bei Arbeitsunfähigkeit und Europarecht

Urteilsbesprechung: Welche Auswirkungen hat das Urteil des EuGH vom 20.01.2009 in Sachen Schultz-Hoff auf das deutsche Urlaubsrecht?

Worum geht es im Urteil des EuGH?

Das LAG Düsseldorf hat dem EuGH mit Vorlagebeschluss vom 02.08.2006 – 12 Sa 486/06 (DRsp Nr. 2006/27786 = NZA-RR 2006, 628) die Frage gestellt, ob die Auslegung des deutschen Rechts, nach dem unter bestimmten Umständen der gesetzliche Mindesturlaub von vier Wochen verfällt, wenn er wegen Arbeitsunfähigkeit nicht gewährt werden kann, mit Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG vereinbar sei.

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Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der schwerbehinderte Kläger war seit dem 01.04.1971 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem Jahr 1995 lösten sich Zeiten der Arbeitsfähigkeit und solche krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ab. Im Jahr 2004 war der Kläger bis Anfang September arbeitsfähig. Ab dem 08.09.2004 wurde er ununterbrochen bis zum 30.09.2005 ärztlich krank geschrieben. Mit Schreiben vom 13.05.2005 beantragte der Kläger, ihm ab dem 01.06.2005 den Urlaub 2004 zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass zuvor seine Dienstfähigkeit festgestellt werden müsse. Aufgrund der rückwirkenden Bewilligung einer unbefristeten Rente seit 01.03.2005 nach Feststellung der vollen Erwerbsminderung des Klägers endete sein Arbeitsverhältnis zum Ablauf des 30.09.2005. Im November 2005 hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Klage auf Abgeltung des Urlaubs 2004 und 2005 erhoben.

Der EuGH hat mit dem Urteil vom 20.01.2009 (C-350/06) für die nationalen deutschen Arbeitsgerichte die Auslegung der Richtlinie RL 2003/88/EG hinsichtlich der Vorlagefragen des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf verbindlich beantwortet.

Danach erlischt der Mindesturlaubsanspruch eines Arbeitnehmers nicht, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Urlaubsjahres oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Dem Arbeitnehmer steht dann ein Anspruch auf Abgeltung des offenen Urlaubsanspruchs in Höhe des gewöhnlichen Arbeitsentgelts zu.

Welches sind die Folgen des Urteils des EuGH?

Bei den Folgen ist zwischen den unmittelbaren und mittelbaren Folgen zu differenzieren, mit anderen Worten zwischen den Rechtswirkungen des Urteils des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV und den tatsächlichen Wirkungen, die aus dem Urteil abgeleitet werden.

Auch Arbeitnehmer, die nicht arbeiten, haben Anspruch auf bezahlten Urlaub

Mit seinem Urteil hat der EuGH die Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verbindlich ausgelegt. Die Mitgliedstaaten einschließlich der staatlichen Gerichte sind auf das Erreichen der Richtlinienziele und zur Verwirklichung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts positiv verpflichtet. Diese Verpflichtung folgt aus dem in Art. 10 EGV verankerten Grundsatz der Gemeinschaftstreue i.V.m. dem Umsetzungsgebot aus Art. 249 Abs. 3 EGV. Aus diesen Vorschriften erwächst das an die Gerichte der Mitgliedstaaten gerichtete Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung allen innerstaatlichen Rechts.

Das LAG Düsseldorf ist dieser europarechtlichen Verpflichtung bereits nachgekommen und hat das Verfahren ausgesetzte Verfahren 12 Sa 486/06 wieder aufgenommen und entschieden:

„Für den gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub von jährlich vier Wochen gilt, dass diesen auch ein Arbeitnehmer erwirbt, der während des ganzen Jahres krankgeschrieben war. Zudem verfällt nicht genommener Urlaub nicht, sondern ist nachzugewähren beziehungsweise nach Ende des Arbeitsverhältnisses abzugelten.“ (LAG Düsseldorf, Urt. v. 02.02.2009 – 12 Sa 486/06, DRsp Nr. 2009/3912).

Auch die übrigen deutschen Arbeitsgerichte werden dem EuGH die Gefolgschaft in Zukunft nicht versagen. Der EuGH hat damit einen richterrechtlich entwickelten Grundsatz des deutschen Urlaubsrecht gekippt. Der Rechtsanwender muss sich damit abfinden, dass der sog. Erholungsurlaub, vgl. §§ 1 , 8 BUrlG, keine bezahlte Freistellung mit dem Zweck der Erholung von der Arbeit ist. Auch derjenige Arbeitnehmer, der nicht arbeitet und sich deshalb nicht von derselben erholen kann, hat einen Anspruch auf bezahlten (Erholungs-) Urlaub.

Praktische Auswirkungen / Missbrauchsgefahr

Praktisch wird die EuGH-Entscheidung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Fällen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen mit unlauteren Arbeitnehmern. Die Gewährung des Resturlaubs während der Dauer der Kündigungsfrist kann hier durch die – weitaus übliche – Erschleichung einer AU-Bescheinigung verhindert werden. Auf Arbeitgeber kommt deshalb im Einzelfall eine erhebliche Kostenbelastung zu, weil Ansprüche auf Entgeltfortzahlung mit solchen auf Urlaubsabgeltung für die Dauer von vier Wochen „kombiniert“ werden. Hier ist offener Missbrauch sozialer Schutzrechte zu erwarten.

Auswirkungen auf weitere Konstellationen?

Offen ist die Frage, ob sich dem Urteil des EuGH weitergehende rechtliche Konsequenzen für die Auslegung des deutschen Urlaubsrechts entnehmen lassen. Verbindlich entschieden wurde nur die Auslegung des Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG für die vorgelegte Rechtsfrage.

Denkbar sind aber noch weitere Fälle, in denen der „Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub“ nicht ausgeübt werden konnte. Denkbar ist der Fall des Beschäftigungsverbots gemäß §§ 3, 6 MuSchG. In der Praxis sind auch diejenigen Fälle nicht selten, in denen sich die Parteien eines Rechtsstreits nach Ausspruch einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Kündigungsfrist einigen.

Der EuGH bezieht sich in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auf die Vorschrift des Artikel 5 Abs. 4 Übereinkommen Nr. 132 der ILO vom 24.06.1970. Die Vorschrift handelt von „Gründen, die unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers bestehen, wie z.B. Krankheit, Unfall oder Mutterschaft“. Hierauf bezieht sich der EuGH auch für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung. M.E. ist der Fall des (gerichtlichen) Vergleichs über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit nicht „unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers“, so dass hier ein Verfall von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen nach nationalem Recht möglich bleibt. Sofern hier Zweifel bestehen, müsste ein solcher Fall dem EuGH unabhängig von dem jüngsten Urteil noch einmal vorgelegt werden. Dabei kann man sich an Gliederung und Inhalt des Vorlagebeschlusses vom 02.08.2006 – 12 Sa 486/06 des LAG Düsseldorf orientieren – da steht, wie man es macht.

Hier können Sie die Entscheidungen im Volltext nachlesen:

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Quelle: Rechtsanwalt Dr. Martin Kolmhuber - Urteilsbesprechung vom 25.02.09