Familienrecht -

Verfassungsrechtliche Maßstäbe zur Ausgestaltung des Umgangsrechts

Bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts ist auch der Aufwand des Elternteils zur Wahrnehmung des Umgangskontakts zu beachten.

Das BVerfG hat im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 GG klargestellt, dass Einschränkungen des Umgangsrechts neben dem Kindeswohl den Verhältnismäßigkeitsgrundsätz wahren müssen. Deshalb sei bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts auch der Aufwand des Elternteils zur Wahrnehmung der Umgangskontakte zu berücksichtigen. Da der Kläger im vorliegenden Fall für jeden Besuch von Berlin nach Köln anreisen müsse, sei die vom OLG Köln vorgenommene Reduzierung des Umgangsrechts von fünf auf zwei Stunden monatlich unverhältnismäßig.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine Beschwerdeentscheidung, mit der das Oberlandesgericht namentlich eine amtsgerichtliche Umgangsregelung zu seinen Lasten eingeschränkt hat.

1. Aus der Beziehung des Beschwerdeführers mit der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens ist das im Mai 2000 geborene Kind hervorgegangen; es lebt bei der Mutter.

Erstmals regelte das Amtsgericht im August 2001 den Umgang. Danach war der Beschwerdeführer berechtigt, mit seinem Kind einmal monatlich jeweils für zwei Stunden begleiteten Umgang zu haben. Später beantragte der Beschwerdeführer ein erweitertes Umgangsrecht. Im Anhörungstermin vom 4. August 2003, in dem das Amtsgericht neben den Eltern auch das Kind angehört hatte, schlossen die Eltern eine Zwischenvereinbarung, wonach die Übergabe des Kindes im Beisein der Großmutter mütterlicherseits erfolgen sollte. Bei dem daraufhin am 5. September 2003 durchgeführten Umgang kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und der Großmutter, die ihren - insoweit übereinstimmenden - Angaben zufolge zu einer Verängstigung des Kindes führte.

Mit Beschluss vom 27. November 2003 erweiterte das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der Eltern und des Kindes das Umgangsrecht des Beschwerdeführers. Zum einen verlängerte es den Besuchszeitraum von zwei auf fünf Stunden; zum anderen beschränkte es die Begleitung des Umgangs nur noch auf die Übergabe des Kindes beim Abholen und Zurückbringen. Zur Begründung führte das Gericht aus, es halte fünf Stunden an einem Tag im Monat für angemessen. Es sei nur noch erforderlich, die Übergabe des Kindes durch einen Pfleger zu begleiten. Das Kind habe den Beschwerdeführer durch die vergangenen Kontakte kennen gelernt. Es habe auf das Gericht im Termin einen stabilen, aufgeweckten Eindruck gemacht. Es bestünden danach keine Bedenken, wenn das Kind auch einige wenige Stunden im Monat mit dem Beschwerdeführer allein verbringe. Sollte eine Auseinandersetzung zu einer noch bei dem Kind vorhandenen Irritation geführt haben, biete gerade die angeordnete Begleitung bei der Übergabe die Gewähr dafür, dass diese Irritation fachkundig ausgeräumt werde und dass das Kind keine weiteren Feindschaften zwischen seinen Bezugspersonen bei der Übergabe erlebe.

Auf die hiergegen von der Kindesmutter eingelegte Beschwerde hob das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 9. Februar 2004 den amtsgerichtlichen Beschluss ohne persönliche Anhörung der Beteiligten auf; zugleich wies es den Antrag des Beschwerdeführers auf Abänderung des Umgangsrechts zurück. Der Senat sei nach der derzeitigen Sachlage der Auffassung, dass das im angefochtenen Beschluss ausgesprochene Umgangsrecht dem Kindeswohl nicht entspreche. Der aktenkundig gewordene Zwischenfall vom 5. September 2003 sei geeignet gewesen, bei dem Kind Ängste hervorzurufen. Es entspreche daher dem Wohl des Kindes, die bislang praktizierte Umgangsregelung bestehen zu lassen. Eine zeitliche Ausdehnung der Umgangskontakte stelle aus der Sicht des Senats eine Überforderung des erst drei Jahre alten Kindes dar. Dem Kind sei vielmehr Gelegenheit zu geben, auf der Grundlage des früheren Beschlusses aus dem Jahre 2001 ein Vertrauensverhältnis zum Beschwerdeführer wieder aufzubauen. Zu dem im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Mitteilung der neuen Anschrift der Kindesmutter führte das Oberlandesgericht aus, der Beschwerdeführer habe hierauf keinen Anspruch; er könne jederzeit den notwendigen Kontakt zu seiner Tochter über das Jugendamt herstellen.

2. Mit seiner gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 9. Februar 2004 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Bei den Ausführungen zu einer Überforderung des (seinerzeit) fast vier Jahre alten Kindes handele es sich um eine schlichte Vermutung des Senats. Hier wären eine ins Einzelne gehende Prüfung sowie eine Anhörung der Parteien und des Kindes notwendig gewesen. Auch sei nicht ersichtlich, warum er nicht die Wohnanschrift seiner Tochter erhalten könne.

3. Die Verfassungsbeschwerde ist der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Beteiligten des Ausgangsverfahrens, der Kindesmutter, zugestellt worden. Die Landesregierung hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Kindesmutter hat unter anderem dargetan, dass inzwischen regelmäßig "sehr harmonisch verlaufende Besuchskontakte" stattfänden.

II.

Soweit der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde rügt, das Oberlandesgericht habe ihm nicht die Anschrift seiner - bei der Mutter lebenden - Tochter vorenthalten dürfen, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, weil sie unzulässig ist (1.). Im Übrigen liegen die Annahmevoraussetzungen vor (2.).

1. Der Rüge des Beschwerdeführers, das Oberlandesgericht habe ihm die Anschrift seiner Tochter mitteilen müssen, fehlt die für die Begründung einer Verfassungsbeschwerde notwendige Substanz. Der Beschwerdeführer hat nicht ansatzweise dargelegt, wieso er durch das Unterlassen der Mitteilung in seinem Elternrecht verletzt ist.

2. Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum Umgangsrecht (vgl. BVerfGE 31, 194 <206 f.>; 64, 180 <187 f.>) und zum Einfluss des Grundrechtsschutzes auf die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>) sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

aa) (1) Das Umgangsrecht eines Elternteils steht ebenso wie die elterliche Sorge unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Beide Rechtspositionen erwachsen aus dem natürlichen Elternrecht und der damit verbundenen Elternverantwortung und müssen von den Eltern im Verhältnis zueinander respektiert werden. Der sorgeberechtigte Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, muss demgemäß grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil ermöglichen. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, haben die Gerichte eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt (vgl. BVerfGE 31, 194 <206 f.>; 64, 180 <187 f.>). 

(2) Der Grundrechtsschutz beeinflusst auch weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts (vgl. BVerfGE 53, 30 <65>; 55, 171 <182>). Zwar muss auch in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz dem erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen (vgl. BVerfGE 79, 51 <62>). Das Verfahren muss aber grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>).

bb) Diesen Anforderungen ist das Oberlandesgericht mit der angegriffenen Entscheidung nicht gerecht geworden, vielmehr hat es das Elternrecht des Beschwerdeführers verkannt.

(1) Das Oberlandesgericht hat sich nicht hinreichend mit der Frage befasst, ob es zur Wahrung des Kindeswohls und damit auch des Elternrechts des Beschwerdeführers nicht angezeigt gewesen wäre, lediglich die Begleitung der Übergabe des Kindes durch einen Jugendamtsmitarbeiter - wie vom Amtsgericht entschieden - anzuordnen, um so mögliche Spannungen zu vermeiden.

Auch hat das Oberlandesgericht nicht erwogen, den von ihm nach dem vorgenannten Zwischenfall für möglich erachteten Anlaufschwierigkeiten beim Umgang mit milderen Maßnahmen zu begegnen, um dem Elternrecht des Beschwerdeführers die ihm gebührende Beachtung zu schenken. So hätte der Senat zur (erneuten) Anbahnung der Umgangskontakte nur für eine Übergangszeit einen begleiteten und für die Folgezeit einen unbegleiteten Umgang anordnen können; genauso hätte er die Dauer der Kontakte von zunächst zwei auf dann fünf Stunden verlängern können. Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Beschwerdeführer pro Monat überhaupt nur einen Umgangskontakt hat, für den er ersichtlich eigens von Berlin nach Köln anreisen muss.

(2) Ebenso wenig hält das vom Oberlandesgericht eingeschlagene Verfahren verfassungsrechtlichen Maßstäben stand. Zwar ist das Beschwerdegericht verfassungsrechtlich nicht stets gehalten, die Beteiligten selbst persönlich anzuhören beziehungsweise ein Sachverständigengutachten einzuholen; die Gestaltung des Verfahrens bleibt vielmehr grundsätzlich dem Fachgericht überlassen (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>). Wenn es von einer solchen Anhörung beziehungsweise von der Beiziehung eines Sachverständigen absieht, muss es aber anderweit über eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügen. Dass dies der Fall ist, lässt sich der angegriffenen Entscheidung nicht entnehmen.

Insbesondere fehlen Ausführungen darüber, woraus der Senat seine Erkenntnis gewonnen hat, das Kind wäre mit einer zeitlichen Ausdehnung der Kontakte oder einem unbegleiteten Umgang überfordert. Anlass zu entsprechenden Ausführungen hätte namentlich der Jugendamtsbericht vom 10. Juni 2003 geben müssen. Dem ist zu entnehmen, dass sich die Umgangskontakte zwischen Beschwerdeführer und Kind positiv gestaltet haben und ein unbegleiteter Umgang (perspektivisch) erfolgen könne. Nachdem es zu dem Vorfall vom September 2003 gekommen war, regte das Jugendamt in seinem Bericht vom 4. November 2003 an, (nur) die Übergabe des Kindes über die Familienberatungsstelle abzuwickeln.

Genauso wenig erhellt sich aus der Begründung der angegriffenen Entscheidung, wie der Senat nur aufgrund der Aktenlage feststellen konnte, dass das Verhältnis zwischen Beschwerdeführer und Kind durch den Zwischenfall vom 5. September 2003 so beeinträchtigt worden sei, dass eine langfristige Einschränkung des Umgangsrechts erforderlich wäre. Aus der Kindesanhörung durch das Amtsgericht konnte das Oberlandesgericht keinen Nutzen ziehen, da diese bereits vor dem Zwischenfall vom September 2003 stattgefunden hatte und im Übrigen nicht aussagekräftig protokolliert ist.

b) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht bei hinreichender Beachtung des Elternrechts, vor allem bei Durchführung der gebotenen Sachverhaltsermittlung, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

c) Da der angegriffene Beschluss den Beschwerdeführer bereits in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt, kann die Frage, ob auch die übrigen vom Beschwerdeführer gerügten Grundrechtsverletzungen vorliegen, hier dahin stehen.

3. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass die angegriffene Entscheidung, soweit sie die Regelung des Umgangs betrifft, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Nach § 95 Abs. 2 BVerfGG ist die Entscheidung aufzuheben.

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Die vollständige Kostenerstattung ist angezeigt, weil der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen Erfolg hat (vgl. BVerfGE 104, 220 <238>).

Quelle: Bundesverfassungsgericht - Beschluss vom 18.01.06