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Bund-Länder-Haftung für EU-Anlastungen

Der Rückgriff des Bundes gegen ein Land wegen Anlastungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften richtet sich nach Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG.

Insoweit ist die Norm eine unmittelbar anwendbare Haftungsgrundlage. Die Haftung ist verschuldensunabhängig. Allerdings hat sich der Bund in diesen Fällen mögliche Mitverursachungsbeiträge anrechnen zu lassen.

Damit steht der Bundesrepublik Deutschland gegen die Länder Mecklenburg- Vorpommern und Brandenburg dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung der Beträge zu, die der Bundesrepublik Deutschland von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften im Zusammenhang mit der gemeinschaftsrechtlichen Agrarmarktförderung auferlegt wurden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

  1. Der Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist auch dann eröffnet, wenn durch Anlastungsentscheidungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften dem Bund ein Schaden entsteht.

    Nach dem Wortlaut der Norm haften Bund und Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Ein Anlass, ihren Anwendungsbereich auf die Verletzung national gesetzten Rechts zu beschränken, besteht auf der Grundlage dieses Wortlauts nicht. Die ordnungsmäßige Verwaltung umfasst sämtliche diesen Gebietskörperschaften obliegenden staatlichen Aufgaben, zu denen auch der Vollzug des Gemeinschaftsrechts gehört. Ein sachlich gerechtfertigter Grund, den Bund oder die Länder bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht von einer innerstaatlichen Haftung freizustellen, ist nicht ersichtlich.
  2. Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG ist in den Fällen der gemeinschaftsrechtlichen Anlastung auch ohne ein Bundesgesetz nach Art. 104a Abs. 5 Satz 2 GG eine unmittelbar anwendbare Haftungsgrundlage.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellt Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG für einen Kernbereich der Haftung, der sich auf vorsätzliche Schädigungen beschränkt, eine unmittelbare Anspruchsgrundlage dar. Dieser Haftungskernrechtsprechung kann jedenfalls insoweit gefolgt werden, als sich sowohl dem Wortlaut des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als auch dessen Entstehungsgeschichte deutliche Hinweise darauf entnehmen lassen, dass der Verfassungsgeber im Bund-Länder-Verhältnis eine Haftung begründen wollte. Die Frage, ob die Beschränkung einer Haftung ohne Ausführungsgesetz auf einen Kernbereich zwingend ist, bedarf für die Streitsachen jedoch keiner allgemeinen Antwort. Jedenfalls gebieten die Funktion und die strukturelle Ausgestaltung der gemeinschaftsrechtlichen Anlastung eine vom Verschuldenserfordernis gelöste innerstaatliche Zuweisung der Verantwortlichkeit. Die verschuldensunabhängige Ausgestaltung der Haftung beschreibt für die Anlastungsfälle einen Mindeststandard einer Haftung, den Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG gewährleisten will.

    Die gemeinschaftsrechtlichen Anlastungen sind ein Haftungsinstrument, das rein objektiven, von jeglichen Verschuldensgesichtspunkten gelösten Grundsätzen folgt. Die Kommission wie auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften stellen im Rahmen der Prüfung der sachlichen Finanzierungsvoraussetzungen allein auf die Gemeinschaftskonformität der von den nationalen Stellen getätigten, mit Ausgaben verbundenen Maßnahmen ab. Alle objektiv gemeinschaftsrechtswidrigen Ausgaben bleiben von der Übernahme ausgeschlossen. Auf eine subjektive Vorwerfbarkeit kommt es dabei nicht an.

    Dies kann nicht ohne Rückwirkung auf die Auslegung des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG als innerstaatliches Gegenüber bleiben. Würde bei der innerstaatlichen Zuordnung der Bundesrepublik Deutschland auf der supranationalen Ebene angelasteten Beträge auf Verschuldenskriterien als maßgebliches Zuordnungsprinzip zurückgegriffen, so wäre dies ein Systembruch ohne sachliche Rechtfertigung. Nur der Gleichlauf der gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Zuordnungsprinzipien gewährleistet eine sachgerechte und folgerichtige Verteilung der Finanzlast auf ihre innerstaatlichen Verursacher. In den Fällen gemeinschaftsrechtlicher Anlastungen ist das Normsetzungsermessen des Gesetzgebers daher dergestalt eingeschränkt, dass es ihm verwehrt ist, innerstaatlich eine Verschuldenshaftung anzuordnen. Entscheidend für die Anlastung ist allein, dass die Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Kontrollregeln oder bestimmter Mindestanforderungen unzureichend oder fehlerhaft war.
  3. Allerdings hat sich der Bund in diesen Fällen mögliche Mitverursachungsbeiträge anrechnen zu lassen. Der Wortlaut des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG, wonach der Bund und die Länder „im Verhältnis zueinander“ für eine ordnungsmäßige Verwaltung haften, macht deutlich, dass den Bund unter den gleichen Voraussetzungen wie die Länder eine Verantwortlichkeit treffen kann.

    Die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang im konkreten Fall eine Mitverantwortung des Bundes unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Wahrnehmung der ihm nach dem Gemeinschaftsrecht obliegenden Koordinierungspflicht in Betracht kommt, ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Nach der nunmehr erfolgten Klärung des Anspruchsgrundes obliegt es den Beteiligten, die Höhe des dem Bund zustehenden Erstattungsbetrages vor dem Bundesverwaltungsgericht feststellen zu lassen.

Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 17.10.06