Arbeitsrecht -

Antidiskriminierungstag in Bonn

Grusswort der Abgeordneten Schmidt zum ersten Antidiskriminierungstag der DGAR in Bonn

Am 03.02.2006 fand unter reger Beteiligung der Anwaltschaft und vieler Betriebsräte und Personalverantwortlicher der erste Antidiskriminierungstag in Bonn statt. Veranstalter waren die Deutsche Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht (DGAR), der Deutsche Antidiskriminierungsverband (DADV) sowie der Europäische Antidiskriminierungsrat (European Anti-Discrimination Council).

Das Grußwort hielt die Bundestagsabgeordnete Silvia Schmidt.{DB:tt_content:2566:bodytext}

„Meine Damen und Herren,

Als Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion ist es mir eine freudige Pflicht, Sie zu Ihrem Antidiskriminierungstag begrüßen zu dürfen. Das AGG ist noch relativ neu; Grund genug, nach knapp sechs Monaten eine Bilanz zu wagen.

Die je spezifische Ausrichtung der drei einladenden Verbände deckt ein breites Spektrum zwischen juristischer Reflexion und gelebter Rechtswirklichkeit ab und bürgt für den dringend gebotenen Blick über den deutschen Tellerrand; es ergibt sich dadurch eine verdoppelte Sicht auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und das Problem Antidiskriminierung:

Einerseits sollte das junge AGG seine Wirksamkeit und Praktikabilität auch im Vergleich mit internationalen Rechtsnormen und ihren Auswirkungen auf alltägliche Lebensrealitäten erweisen. Andererseits wird Dr. Prystawik den vergleichenden Blick aus europäischer bzw. internationaler Perspektive auf das AGG werfen; das mag den nationalen Rahmen auf internationale Zugänge zum Problem Antidiskriminierung hin öffnen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Tätigkeit des Europäischen Antidiskriminierungsrates hinweisen, der als der Dachverband der europäischen Diskriminierungsverbände mit seiner wegweisenden Forschungs- und Zertifizierungstätigkeit einen Eckpfeiler für die weitere Entwicklung einer europäischen Bürgergesellschaft darstellt. Der EAC ist die einzige für Zertifizierung und Normierung berufene Stelle und EU weit anerkannt.

Der Deutsche Antidiskriminierungsverband DADV wiederum stellt die zentrale Stelle und den Ansprechpartner für Diskriminierungsfragen dar. Er ist eine führende Nichtregierungsorganisationen auf EU Ebene und in Deutschland.

Die Deutsche Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht DGAR hat als zentrale Organisation die Praxis und Theorie des Antidiskriminierungsrechts wegweisend und verbindlich interpretiert unter der Leitung von Herrn Dr. Alenfelder, dem führenden Experten des Antidiskriminierungsrechts. [...]

Nun, nach Abschluß der Gesetzgebung, versachlicht sich die Diskussion und Befürchtungen, deutsche Unternehmen würden gerade beim Schadensersatz mit amerikanischen Verhältnissen bedroht, haben sich als unbegründet erwiesen. In Deutschland wie auch den anderen EU Staaten hat sich in Theorie und Praxis beispielsweise ein Schmerzensgeld in Höhe eines Jahresgehaltes, mindestens aber von 30.000 EUR durchgesetzt. Dies entspricht im übrigen auch den aktuellen EU- und OECD-Werten hinsichtlich des Bruttosozialprodukts pro Kopf in der EU. Allerdings ist sehr zweifelhaft, ob diese sehr zurückhaltende Bemessung des Schmerzensgeldes ausreicht, um abschreckend und generalpräventiv zu wirken, wie dies die EU Richtlinien zwingend vorschreiben.

Auch hinsichtlich des materiellen Schadensersatzes wurden unnötig Befürchtungen geweckt. Wie bereits in der Bundestagsdebatte bei Verabschiedung des AGG mehrfach festgehalten, ist der materielle Schadensersatz entsprechend der Vento Entscheidung in Großbritannien zu berechnen, also als Einmalzahlung. Dieser Betrag errechnet sich aus dem kompletten Gehalt bis zur Verrentung unter Berücksichtigung der zu erwartenden Fortbeschäftigungsdauer (Kattenstein-Formel).

Andere Bereiche des AGG sind noch auslegungsbedürftig. Hier ist es dringend erforderlich, dass deutsche Gerichte dem Europäischen Gerichtshof Verfahren zur Vorabentscheidung vorlegen. Nur so kann eine verbindliche Auslegung erreicht werden, die Rechtssicherheit für alle Betroffenen schafft. Andernfalls droht eine Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen durch die Instanzgerichte, mit der Tendenz, die europarechtlichen Vorgaben nur unvollständig zu berücksichtigen. Sollten dadurch wichtige Punkte der EU Richtlinien, wie z.B. die Beweiserleichterung zugunsten der Opfer von Diskriminierung in der Praxis nicht hinreichend umgesetzt werden, führt dies zu einem Vertragsverletzungsverfahren der EU Kommission gegen Deutschland verbunden mit massiven Strafzahlungen. Hier hat die Justiz eine besondere Verantwortung für das Gemeinwohl.

Liebe Gäste, Sie wissen es so gut wie ich: die Umsetzung des AGG wird ein hindernisreicher Parcours und viele Wünsche sind noch offen.

Das AGG ist ein Anfang. Wie in den USA und Großbritannien wird auch in den übrigen EU Staaten der Nachweis sozialer Mindeststandards, insbesondere der Diskriminierungsfreiheit, Voraussetzung für öffentliche Aufträge und Subventionen. Die Entwicklung der Barrierefreiheit auf EU Ebene ist dafür ein Vorbild. Die Zertifizierung der Diskriminierungsfreiheit ist damit Voraussetzung internationaler Geschäftstätigkeit insbesondere im anglo-amerikanischen Wirtschaftsraum. Dies gilt bereits jetzt für den Bereich öffentlicher Aufträge und demnächst auch für die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Das AGG eröffnet deutschen Unternehmen die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf diese Entwicklung einzustellen.

Ich werde die weitere Umsetzung des Gesetzes hin zu einer konsequenten Diskriminierungsfreiheit nicht nur als politische Beobachterin begleiten, sondern aktiv unterstützen. Das kann auch bedeuten, Betroffene zu ermutigen, bei mutmaßlichen Diskriminierungen den Klageweg zu beschreiten. 

Nachdrücklich begrüße ich die Kompetenz und das Engagement Ihrer Verbände und wünsche Ihnen eine gehaltvolle und erfolgreiche Tagung!"

Quelle: DGAR - Pressemitteilung vom 09.02.07