Soweit die Altersgrenze von 70 Jahren in der Bundesnotarordnung (BNotO) Anwaltsnotare betrifft, ist diese mit Art 12 GG unvereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Altersgrenze erreicht demnach u.a. wegen des Bewerbermangels im Anwaltsnotariat nicht den vom Gesetzgeber angestrebten Zweck. Die derzeitige Altersgrenze gilt bis zum 30.06.2026 vorübergehend fort.
Darum geht es
Notare werden entweder zur hauptberuflichen Amtsausübung (sog. Nur-Notare) oder als Anwaltsnotare zur gleichzeitigen Amtsausübung neben dem Beruf des Rechtsanwalts bestellt.
Im Bereich des hauptberuflichen Notariats besteht fast flächendeckend ein Bewerberüberhang. Im Anwaltsnotariat bleibt die Zahl der Bewerbungen seit Jahren erheblich hinter der Zahl der ausgeschriebenen Notarstellen zurück, von einzelnen örtlichen Ausnahmen abgesehen.
Das Notaramt sowohl der hauptberuflichen als auch der Anwaltsnotare erlischt nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO mit Erreichen der Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres. Der Notar scheidet damit zwingend aus dem Notarberuf aus. Ausnahmen sind gesetzlich nicht vorgesehen.
Der Beschwerdeführer - ein Anwaltsnotar aus Nordrhein-Westfalen - rügt u.a., durch die Altersgrenze werde er in seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die Altersgrenze sei nicht mehr verhältnismäßig.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit sie sich mittelbar gegen die Regelung der Altersgrenze des vollendeten siebzigsten Lebensjahres wendet. Diese ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit sie das Anwaltsnotariat betrifft. Die Altersgrenze greift unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit der Anwaltsnotarinnen und -notare ein.
Art. 12 Abs. 1 GG ist ein einheitliches Grundrecht, das Wahl und Ausübung des Berufs schützt. Die Altersgrenze beschränkt die Berufswahlfreiheit unmittelbar, indem die betroffenen Berufsträger von der weiteren Tätigkeit als Anwaltsnotar ausgeschlossen sind.
Gemildert wird der Eingriff durch die Möglichkeit der ausgeschiedenen Anwaltsnotare, als Notarvertreter oder Notariatsverwalter im gleichen Berufsfeld tätig zu bleiben oder als Rechtsanwalt ihren Hauptberuf fortzuführen. Der Grad der Milderung ist allerdings jeweils als gering einzuschätzen.
Die Altersgrenze verfolgt allerdings verfassungsrechtlich legitime Zwecke. Sie soll eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs erreichen, um die Funktionstüchtigkeit der vorsorgenden Rechtspflege zu gewährleisten.
Die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege ist als legitimer Zweck für die Allgemeinheit und für Einzelne von großer Bedeutung. Ebenfalls gewichtig ist das arbeitsmarkt- und sozialpolitische Ziel des Gesetzgebers, die Berufschancen zwischen den Generationen gerecht zu verteilen.
Die Regelung der Altersgrenze kann im Anwaltsnotariat aber nur noch zu einem geringen Grad zur Verwirklichung dieser Ziele beitragen.
Die Wirkungsweise der Altersgrenze, durch das Freiwerden von Stellen das Notariat zu verjüngen und Berufschancen zu eröffnen, läuft in denjenigen Regionen des Anwaltsnotariats leer, in denen ein Mangel an Bewerbern besteht. Betroffen ist davon mittlerweile die Mehrzahl der OLG-Bezirke.
Der BGH hat im Ausgangsverfahren angenommen, die Funktion der Altersgrenze werde bei nicht ausreichender Bewerberzahl dadurch erfüllt, dass beim Ausscheiden eines lebensälteren Anwaltsnotars sein Urkunden- und Gebührenaufkommen auf die jüngeren Anwaltsnotare übergehe.
Empirische Erkenntnisse dafür, dass das „Freiwerden“ zusätzlichen Urkunden- und Gebührenaufkommens überhaupt entscheidungsrelevante Anreize setzt, gibt es jedoch nicht.
Eine abweichende Bewertung ist im Hinblick auf die Entwicklung des Urkundenaufkommens im Anwaltsnotariat nicht gerechtfertigt. Für einen dauerhaften Rückgang gibt es keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte.
Der Gesetzeszweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notarinnen und Notaren zu schützen, wird durch die Altersgrenze ebenfalls nur zu einem geringen Grad erreicht.
In den alternswissenschaftlichen Stellungnahmen wird übereinstimmend hervorgehoben, dass der kognitive Alterungsprozess stark individuell geprägt ist und im Notarberuf keine verallgemeinerungsfähigen Zusammenhänge zwischen dem Lebensalter und der beruflichen Leistungsfähigkeit bestehen.
So wird die große Mehrzahl von Amtsträgern gezwungen, mit Vollendung des siebzigsten Lebensjahres ihr Amt aufzugeben, obwohl sie weiterhin in der Lage wären, den Notarberuf ordnungsgemäß auszuüben.
Das Maß der Belastung der Grundrechtsträger steht damit nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu den deutlich verminderten Vorteilen, die dem Gemeinwohl aus der angegriffenen Regelung erwachsen.
Die Regelung nach § 47 Nr. 2 Variante 1, § 48a BNotO ist, soweit sie auf Anwaltsnotare anwendbar ist, nur für mit der Verfassung unvereinbar zu erklären. Zugleich ist die vorübergehende Fortgeltung der Altersgrenze bis zum 30.06.2026 anzuordnen. Anschließend ist die Regelung nicht mehr anwendbar.
Unberührt bleibt das Recht des Beschwerdeführers und anderer Anwaltsnotare, deren Notaramt aufgrund der Altersgrenze erloschen ist, sich nach Ablauf der Fortgeltungsfrist erneut auf ausgeschriebene Notarstellen zu bewerben.
Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, ein obligatorisches Erlöschen des Notaramtes älterer Anwaltsnotarinnen und -notare neu zu regeln. Aus den Erwägungen des Senats folgt, dass erhebliche Spielräume für eine verfassungskonforme Ausgestaltung bestehen.
Das mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des BGH hat trotz der hier festgestellten Unvereinbarkeit der Regelung der Altersgrenze mit Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil die Regelung mit den genannten Maßgaben weiter anzuwenden ist.
BVerfG, Urt. v. 23.09.2025 - 1 BvR 1796/23
Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 23.09.2025