Arbeitsrecht -

Kirchliches Arbeitsrecht: Religion als Einstellungsvoraussetzung

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen Arbeitgebers stattgegeben. Zuvor hatte das BAG einer konfessionslosen Bewerberin eine Entschädigung zugesprochen, nachdem diese nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war. Die Verfassungsrichter betonten auch im Bezug zur betreffenden EuGH-Rechtsprechung das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.

Darum geht es

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein kirchlicher Arbeitgeber für eine konkret zu besetzende Stelle die Mitgliedschaft in der Kirche verlangen darf und inwieweit die staatlichen Gerichte dies im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht überprüfen können.

Der Beschwerdeführer ist ein kirchlicher Arbeitgeber. In einer Ausschreibung für eine Projektstelle gab der Beschwerdeführer u.a. an: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus.“. 

Die konfessionslose Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle, ohne sich zu ihrer Religionszugehörigkeit zu äußern. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. 

Sie erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht und verlangte vom Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung, weil sie aus religiösen Gründen benachteiligt worden sei. 

Nachdem das Arbeitsgericht der Klägerin eine Entschädigung zusprach, wies das Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Beschwerdeführers die Klage ab. Ein Anspruch bestehe nicht, weil die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion jedenfalls nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt sei.

Im Rahmen des von der Klägerin angestrengten Revisionsverfahrens leitete das BAG ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union ein. Es sei notwendig, die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie) klären zu lassen. 

Der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung sei ausschlaggebend für die Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG und insbesondere sei zu klären, welche Anforderungen an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie zu stellen seien und ob den staatlichen Gerichten eine umfassende Kontrolle obliege.

Mit Urteil vom 17.04.2018 erkannte der EuGH - vereinfacht dargestellt -, dass die Ablehnung eines Bewerbers mit der Begründung, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. 

Die Kontrolle der Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie festgelegten Kriterien liefe ins Leere, wenn sie in Zweifelsfällen keiner unabhängigen Stelle wie einem staatlichen Gericht obläge. 

Bei der Auslegung des Begriffs „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung“ in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie müssten die Gerichte einerseits beachten, dass die Legitimität des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation nicht beurteilt werden dürfe, andererseits, dass das Recht der Arbeitnehmer, wegen der Religion keine Diskriminierung zu erfahren, nicht verletzt werde. 

Es obliege den nationalen Gerichten zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 1 AGG im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie ausgelegt werden könne oder unangewendet bleiben müsse.

Mit hier angegriffenem Urteil verurteilte das BAG den Beschwerdeführer, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG sei nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar und müsse unangewendet bleiben. Auch § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG könne die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nicht rechtfertigen. Zwar bestehe vorliegend ein direkter Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der ausgeschriebenen Tätigkeit. 

Auch unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft stelle sich die Kirchenmitgliedschaft nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung jedoch nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts durch die Anwendung der Vorgaben des EuGH rügt (inzidente Ultra-vires-Rüge). Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht.

Beurteilungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde sind die Grundrechte des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, durch dieses aber nicht vollständig determiniert ist. 

Die hier maßgeblichen Normen der Gleichbehandlungsrichtlinie zur Reichweite des religiösen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des religiösen Arbeitsrechts belassen den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung Gestaltungsspielräume und indizieren Grundrechtspluralität. 

Die Gestaltungsspielräume bestehen innerhalb des Rahmens, den Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH setzt.

Der Schutzbereich des religiösen Selbstbestimmungsrechts ist eröffnet, da hier das streitige Einstellungskriterium „Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag“ vom Gewährleistungsumfang des Selbstbestimmungsrechts umfasst ist.

Das religiöse Selbstbestimmungsrecht unterliegt der Schranke „des für alle geltenden Gesetzes“. Darunter fallen die hier einschlägigen Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. 

Bei Auslegung und Anwendung dieser Bestimmungen ist das religiöse Selbstbestimmungsrecht mit jenen Rechtsgütern, deren Schutz das einschränkende Gesetz dient, grundsätzlich weiterhin auf der Grundlage einer zweistufigen Prüfung in Ausgleich zu bringen.

Die erste Prüfungsstufe knüpft an die für die Eröffnung des Schutzbereichs anzustellende Plausibilitätsprüfung an, die der Klärung der Frage dient, welche Angelegenheit als eine religiöse betrachtet wird und welche Bedeutung ihr nach dem kirchlichen Selbstverständnis für die Verwirklichung des religiösen Ethos zukommt. 

Auf der zweiten Prüfungsstufe der Schrankenziehung erfolgt eine offene Gesamtabwägung zwischen den Interessen und Belangen der Arbeitnehmer und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht.

Bei der Durchführung des Ausgleichs zwischen den Belangen des religiösen Arbeitgebers und der Arbeitnehmer ist aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts der durch Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH gesetzte Rahmen zu berücksichtigen. 

Dies lässt sich über eine unionsrechtskonforme Auslegung der einschlägigen nationalen Bestimmungen umsetzen und führt zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung.

Die erste Stufe der Schrankenziehung erfährt insoweit eine Schärfung, als ausgehend vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft eine wirksame gerichtliche Kontrolle dahingehend erfolgt, inwieweit sich aus der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung objektiv ein direkter Zusammenhang zwischen der aufgestellten beruflichen Anforderung - hier der Kirchenmitgliedschaft - und der fraglichen Tätigkeit ergibt. 

Der Religionsgemeinschaft obliegt es, diesen Zusammenhang für die konkret betroffene Tätigkeit im Hinblick auf ihr religiöses Selbstverständnis plausibel darzulegen.

Die auf der zweiten Stufe erfolgende Gesamtabwägung der betroffenen rechtlichen Belange erfährt eine Konturierung dahingehend, dass die in Rede stehende berufliche Anforderung im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit für die Wahrung des religiösen Selbstverständnisses geeignet, erforderlich und angemessen im engeren Sinn, mithin verhältnismäßig sein muss. 

Dies lässt es weiterhin zu, dem religiösen Selbstverständnis aufgrund seiner Nähe zum vorbehaltlos gewährten Recht auf korporative Religionsfreiheit ein besonderes Gewicht beizumessen. 

Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen oder außen, desto mehr Gewicht besitzt der von der Kirche in Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts vorgetragene Belang und ein daraus abgeleitetes Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. 

Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein. Dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung ist bei der Abwägung durch die Gerichte Rechnung zu tragen.

Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens für den mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum ist kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend. Der Vorrang des Unionsrechts entfällt vorliegend nicht.

Das Urteil des EuGH vom 17.04.2018 stellt keinen Ultra-vires-Akt dar. Es liegt weder ein offensichtlicher Verstoß gegen das Prinzip der Einzelermächtigung vor, noch ist erkennbar, dass der Gerichtshof die Kompetenznorm des Art. 19 Abs. 1 AEUV, wonach die EU im Rahmen der ihr durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten geeignete Vorkehrungen gegen Diskriminierungen aus Gründen u.a. der Religion oder der Weltanschauung treffen kann, offensichtlich willkürlich ausgelegt hat. 

Auch führt das Urteil nicht zu einer Rechtslage, die den vom Grundgesetz als unabdingbar vorausgesetzten Grundrechtsstandard im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht unterschreitet.

Nach den genannten Maßstäben verletzt das Urteil des BAG den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht, weil die bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Das BAG berücksichtigt nicht hinreichend, dass Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH im Urteil vom 17.04.2018 dem nationalen Recht Spielräume belässt, innerhalb derer die grundrechtlichen Vorgaben des religiösen Selbstbestimmungsrechts gelten. 

Dies bildet den Ausgangspunkt dafür, dass das BAG dem religiösen Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der Abwägung mit dem Recht der Klägerin, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden, nicht das Gewicht beimisst, welches ihm nach der Verfassung zukommt. 

Das BAG stellt sein eigenes Verständnis einer glaubwürdigen Vertretung des kirchlichen Ethos nach außen an die Stelle des Verständnisses des Beschwerdeführers. Damit, dass dessen Verständnis von vornherein nicht plausibel dargelegt sei, setzt sich das Gericht nicht auseinander.

Mangels Berücksichtigung des plausibel - und damit ausreichend - dargelegten christlichen Profils der verfahrensgegenständlichen Stelle überspannt das BAG in der Folge bei der Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG die nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts. 

Indem das Gericht seine Sicht auf die ausgeschriebene Tätigkeit und deren Zusammenhang mit der Kirchenmitgliedschaft an die Stelle der Sicht des Beschwerdeführers setzt, wird das Interesse des Beschwerdeführers nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gewichtet.

Die vom BAG geäußerten erheblichen Zweifel daran, dass die vom Beschwerdeführer geforderte berufliche Anforderung der Zugehörigkeit zu einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche „wesentlich“ im Sinne von § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist, lassen die gebotene Einbeziehung des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Beschwerdeführers nicht erkennen. 

Auch soweit das BAG ausführt, dass die vom Beschwerdeführer formulierte berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt ist, trägt es dem religiösen Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend Rechnung. 

Das BAG geht davon aus, dass der Beschwerdeführer weder eine Gefahr der Beeinträchtigung seines Rechts auf Autonomie noch seines Ethos dargetan habe. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass die Sicht des Beschwerdeführers auf den Inhalt und die Bedeutung der Aufgabe überhaupt in die Prüfung eingeflossen ist.

BVerfG, Beschl. v. 29.09.2025 - 2 BvR 934/19

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v. 23.10.2025

Spezialreport Kündigung

Hier erhalten Sie praxisgerechte Antworten auf die 20 wichtigsten Fragen, die Mandanten zum Thema Kündigung stellen

» Jetzt hier kostenlos herunterladen!

Jetzt auch als Onlineplattform für den jederzeitige Zugriff erhältlich: Alle seniorenspezifischen Beratungsthemen dank des mandatsorientierten Konzeptes allumfassend beraten und Mandanten langfristig begleiten.

19,90 € mtl. zzgl. USt
 

Die erste Wahl für Arbeitsrechtler in Sachen Onlineplattform: Lösungsorientierte Fachinformationen, Antworten auf aktuelle Diskussionsthemen, Besprechungen der neuesten relevanten Urteile u.v.m.

29,95 € mtl. zzgl. USt