Arbeitsrecht -

Hätten Sie es gewusst?

Wann entfällt bei Angebot eines Prozessarbeitsverhältnisses der Annahmeverzug des Arbeitgebers; wann kommt es zur Anrechnung anderweitigen – auch fiktiven – Erwerbs?

Antwort:

Gesicherte Erkenntnis jedes arbeitsrechtlich tätigen Rechtsanwalts oder Beraters war es bisher, dass der Arbeitgeber mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug geriet. Der Arbeitnehmer muss den Arbeitgeber nicht durch ein tatsächliches oder ein mündliches Angebot der Arbeitsleistung in Verzug setzen. Vielmehr fehlt es an der erforderlichen Mitwirkungshandlung der Zuweisung eines funktionsfähigen Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber, sodass es eines wie auch immer gearteten Angebots des Arbeitnehmers gem. § 296 BGB nicht bedarf.{DB:tt_content:2566:bodytext}

Im Fall eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit einer Kündigung versuchen Arbeitgeber deshalb, ihr Annahmeverzugsrisiko durch das Angebot einer Prozessbeschäftigung zu minimieren. Bei diesem so genannten Prozessarbeitsverhältnis handelt es sich um ein zweckbefristetes Arbeitsverhältnis im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG, das mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung im Kündigungsschutzprozess endet. Aus diesem Grund gilt u.A. das Schriftformgebot des § 14 Abs. 4 TzBfG uneingeschränkt (BAG, Urt. v. 22.10.2003 – 7 AZR 113/03). Das schlichte Angebot des Arbeitgebers beseitigt seinen Annahmeverzug zwar nicht, führt aber im Falle der Ablehnung zur Anrechnung fiktiven Zwischenerwerbs nach § 11 Nr. 2 KSchG, § 615 Satz 2 BGB. Im Fall der Annahme erhält der Arbeitgeber zumindest die Arbeitsleistung.

Darüber hinaus gilt es aber noch weitere Besonderheiten zu beachten, die das BAG jetzt herausgearbeitet hat:

Der Arbeitgeber befindet sich nicht im Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer die Annahme des Angebots einer Prozessbeschäftigung während der Dauer des Kündigungsschutzprozesses davon abhängig macht, dass der Arbeitgeber zuvor „die Kündigung zurücknimmt“. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer nämlich nicht leistungsbereit (BAG, Urt. v. 13. Juli 2005 – 5 AZR 578/04). Die Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers ist aber Voraussetzung des Annahmeverzugs. Selbst wenn der Arbeitgeber eine unwirksame betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen haben sollte, sind dann mangels Annahmeverzugs des Arbeitgebers Entgeltansprüche des Arbeitnehmers bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsrechtsstreits ausgeschlossen.

Ist der Arbeitnehmer im oben genannten Sinne leistungswillig und lehnt er das Angebot einer zumutbaren Prozessbeschäftigung ab, beendet dies zwar nicht den Annahmeverzug des Arbeitgebers. Allerdings führt seine Ablehnung zur Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs - auch beim bisherigen Arbeitgeber. Entscheidend ist zum einen die Zumutbarkeit des Beschäftigungsangebots.  Zum anderen ist nur ein Zwischenverdienst anrechenbar. Beim kündigenden Arbeitgeber kann ein solcher Zwischenverdienst nur aus einem Prozessarbeitsverhältnis erzielt werden, dass auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkt ist. Das Angebot der Änderung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses und dessen Fortsetzung zu den geänderten Arbeitsbedingungen ändert auch den künftigen Verdienst endgültig und ist damit ohne Weiteres unzumutbar (BAG, Urt. v. 11.01.2006 – 5 AZR 98/05). Die faktische Fortsetzung der Tätigkeit zu unveränderten Bedingungen ist hingegen grundsätzlich zumutbar (BAG, Urt. v. 24.9.2003 – 5 AZR 500/02).

Die Entscheidung über das Angebot und die Annahme eines Prozessarbeitsverhältnisses oder einer Prozessbeschäftigung ist also für beide, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, mit Risiken behaftet und sollte mit der notwendigen Sorgfalt vorbereitet und getroffen werden. Ansonsten kann es zu einem bösen Erwachen kommen. Insbesondere anwaltliche Vertreter von Arbeitnehmern begehen einen Beratungsfehler, wenn sie ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ein Beschäftigungsangebot mit schlichtem Hinweis auf eine aufrechterhaltene Kündigung ablehnen.

Quelle: BAG - Urteil vom 11.01.06