Erbrecht -

Beginn der Ausschlagungsfrist bei einem minderjährigen Erben

OLG München, Beschl. v. 03.07.2012 - 21 Wx 22/12

Die Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft nach § 1944 BGB beginnt für den minderjährigen Erben erst mit der Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grunde der Berufung zum Erben bei beiden gemeinsam Erziehungsberechtigten. Die Kenntnis lediglich eines Elternteils reicht nicht.

Darum geht es

Die Erblasserin hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann vier Kinder. Zum Zeitpunkt ihres Todes im Jahr 2007 war die Erblasserin in zweiter Ehe verheiratet.

Das Nachlassgericht erteilte antragsgemäß einen Erbschein, der den zweiten Ehemann und eines der Kinder als Erben zu je 1/2 auswies. Die drei anderen Kinder hatten die Erbschaft ausgeschlagen. Später erfuhr das Nachlassgericht, dass zwei dieser Kinder selbst Kinder hatten. Daraufhin zog es den Erbschein ein und wies die Enkelkinder - bzw. in einem Fall wegen der Minderjährigkeit des Enkels dessen Vater - mit Schreiben vom 26.11.2009 auf den Anfall der Erbschaft hin. Bis auf eines haben daraufhin sämtliche Enkelkinder die Erbschaft ebenfalls fristgerecht ausgeschlagen.

Lediglich die notarielle Ausschlagungserklärung des minderjährigen Enkelkindes ging erst am 03.03.2010 beim Nachlassgericht ein.

Daraufhin hat der zweite Ehemann einen Erbschein beantragt, der ihn zu 1/2 und eines der Kinder sowie das minderjährige Enkelkind als Erben zu je 1/4 ausweisen sollte.

Im Rahmen einer Anhörung hat das Enkelkind, vertreten durch beide Elternteile, die Anfechtung der verspäteten Ausschlagung erklärt.

Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss entschieden, dass es die für den Erlass des Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachte. Die Ausschlagung des Enkelkindes sei verspätet eingegangen. Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das Amtsgericht nicht abgeholfen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die zulässige Beschwerde ist jedoch begründet. Nach Auffassung des OLG Frankfurt wurde die Erbschaft durch das Enkelkind rechtzeitig ausgeschlagen.

Streitentscheidend für den Beginn der sechswöchigen Ausschlagungsfrist war die rechtliche Frage, wann der minderjährige Erbe Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grunde der Berufung zum Erben erhält und ob hierfür die doppelte Kenntnis lediglich eines Elternteils ausreicht oder ob es notwendig ist, dass beide Elternteile doppelte Kenntnis erlangt haben.

Das OLG Frankfurt vertritt die Ansicht, dass die doppelte Kenntnis bei beiden Elternteilen vorhanden sein muss. Da vorliegend nicht mit Sicherheit feststellbar war, wann die Mutter des erbenden Enkelkindes Kenntnis erlangt hat, war von der Wirksamkeit der Ausschlagung auszugehen.

Dies stützt der Senat insbesondere darauf, dass im Rahmen der Ausschlagungsfrist hinsichtlich der Kenntnis von Tatsachen eher auf den Rechtsgedanken des § 166 BGB und nicht auf § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückzugreifen ist. Wobei entscheidend auf den Normzweck des § 1944 BGB abzustellen ist.

Hier überwiegen die Interessen des minderjährigen Erben, sich umfassend über den Bestand des Nachlasses zu unterrichten gegenüber den Interessen der anderen Nachlassbeteiligten, rasch über die tatsächliche Erbenstelllung Klarheit zu erlangen.

Zudem wäre die Überlegungsfrist des Elternteils, welcher erst später Kenntnis erlangt, noch weiter als die ohnehin knapp bemessenen sechs Wochen verkürzt.

Hauptargument ist weiterhin, dass die Ausschlagung einer Erbschaft für den Minderjährigen durch beide Elternteile zu erfolgen hat. Daher muss die doppelte Kenntnis auch bei beiden Elternteilen vorliegen.

Schließlich zeigt sich aus der verlängerten Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 3 BGB für Personen, die sich beim Tod des Erblassers im Ausland aufhalten, dass der Gesetzgeber auch besonderen Schwierigkeiten, die sich in der Person des Erben befinden, Rechnung getragen hat.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das OLG Frankfurt hat das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde ausdrücklich zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH gegebenenfalls dem OLG Frankfurt folgt. Die Stimmen, die der Ansicht sind, dass die Kenntnis lediglich bei einem Elternteil vorhanden sein muss, sind zwar zahlenmäßig betrachtet in der Unterzahl, jedoch gewichtig.

Praxishinweis

Die streitentscheidende Frage dürfte nach Ansicht des Verfassers noch nicht vollständig geklärt sein.

Der Berater muss nach wie vor darauf hinweisen, dass eine Ausschlagung durch die Erziehungsberechtigten sicherheitshalber innerhalb von sechs Wochen nach doppelter Kenntnis nur eines Elternteils zu erfolgen hat. Es sollte in Anbetracht der Problematik eines überschuldeten Nachlasses nicht auf die Rechtsprechung des OLG Frankfurt vertraut werden.

Quelle: RA Ralf Mangold - vom 05.11.12