Familienrecht -

Bemessung des nachehelichen Unterhalts

Der BGH hat mit Versäumnisurteil vom 06.02.2008 zur Bemessung des nachehelichen Unterhalts gemäß dem nach der Unterhaltsrechtsreform geltenden Recht entschieden.

Leitsatz:

a) Bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) sind spätere Änderungen des verfügbaren Einkommens grundsätzlich zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, wann sie eingetreten sind, ob es sich um Minderungen oder Verbesserungen handelt oder ob die Veränderung aufseiten des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten eingetreten ist.

b) Das Unterhaltsrecht will den geschiedenen Ehegatten nicht besser stellen, als er während der Ehe stand oder aufgrund einer absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde. Daher sind nur solche Steigerungen des verfügbaren Einkommens zu berücksichtigen, die schon in der Ehe angelegt waren, nicht aber z.B. ein Einkommenszuwachs infolge eines Karrieresprungs.

c) Die Berücksichtigung einer nachehelichen Verringerung des verfügbaren Einkommens findet ihre Grenze erst in der nachehelichen Solidarität. Nur bei unterhaltsrechtlich leichtfertigem Verhalten ist deswegen von einem fiktiven Einkommen auszugehen. Diese Voraussetzung liegt nicht vor, wenn ein Unterhaltsschuldner Kinder aus einer neuen Beziehung bekommt. Daher ist in solchen Fällen von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen und auch die neue Unterhaltspflicht bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts zu berücksichtigen.

Auf die Revision des Klägers hat der BGH das vorinstanzliche Urteil des OLG Karlsruhe vom 22.12.2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.

Mit dem Revisionsverfahren verfolgt der Kläger u.a. seinen von der Vorinstanz zurückgewiesenen Antrag auf Abänderung des mit seiner geschiedenen Frau geschlossenen Vergleichs wegen Wegfalls des Anspruchs auf nachehelichen Unterhalt weiter.

Der Kläger hat mit seiner früheren Frau, der Beklagten zu 1, zwei Kinder (Beklagte zu 2 und 3). Seit Juni 2000 ist er wieder verheiratet und hat mit der neuen Ehepartnerin ein Kind.

Der Kläger hat mit seinem Klageantrag Erfolg. Die Revision ist begründet. Der BGH hat in dem Verfahren zwar durch Versäumnisurteil gegen die im Verhandlungstermin nicht erschienenen Beklagten entschieden. Dieses beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern berücksichtigt den gesamten Sach- und Streitstand.

Auf der Grundlage des bis zum 31.12.2007 geltenden Rechts hat das Oberlandesgericht der Beklagten zu Recht einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt zugesprochen. Nach dem früher einhellig in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Altersphasenmodell war die Beklagte lediglich zu einer Halbtagstätigkeit verpflichtet und konnte im Übrigen vom Kläger Unterhalt nach § 1570 BGB verlangen.

Für die Zeit ab dem 01.01.2008 hatte der BGH allerdings die Änderung des § 1570 BGB durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007 (BGBl. 2007 I S. 3189) zu berücksichtigen. Danach kann der geschiedene Ehegatte Betreuungsunterhalt ohne weitere Begründung nur für die Dauer von drei Jahren nach der Geburt des Kindes beanspruchen (§ 1570 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Zwar kann der Anspruch auf Betreuungsunterhalt im Einzelfall aus kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB) oder aus elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründen verlängert werden. Für die Umstände, die eine solche Verlängerung rechtfertigen können, ist allerdings die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig.

Im Ansatz zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Höhe des Unterhaltsanspruchs der Beklagten zu 1 (im Folgenden „der Beklagten“) gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen richtet.

Im Ausgangspunkt ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht die Ansprüche der Beklagten zu 2 und 3 auf Kindesunterhalt bei der Bemessung des geschuldeten nachehelichen Unterhalts berücksichtigt. Zu Unrecht hat es dabei allerdings den Unterhaltsanspruch des weiteren Kindes des Klägers aus seiner zweiten Ehe unberücksichtigt gelassen.

Nach der neueren Rechtsprechung des XII. Senats zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen will die Anknüpfung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB für den unterhaltsberechtigten Ehegatten keine die früheren ehelichen Lebensverhältnisse unverändert fortschreibende Lebensstandardgarantie begründen, die nur in den Grenzen fehlender Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Ehegatten an dessen dauerhaft veränderte wirtschaftliche Verhältnisse angepasst und nur insoweit auch "nach unten korrigiert" werden könnte. Für eine solche Absicherung bietet das Recht des nachehelichen Unterhalts, das - jedenfalls im Grundsatz - nur die Risiken der mit der Scheidung fehlgeschlagenen Lebensplanung der Ehegatten und der von ihnen in der Ehe praktizierten Arbeitsteilung angemessen ausgleichen will, keine Rechtfertigung.

Das Unterhaltsrecht will den bedürftigen Ehegatten nach der Scheidung wirtschaftlich nicht besser stellen, als er sich ohne die Scheidung stünde.

Bei Fortbestehen der Ehe hätte ein Ehegatte die negative Einkommensentwicklung des anderen Ehegatten wirtschaftlich mit zu tragen. Es ist nicht einzusehen, warum die Scheidung ihm das Risiko einer solchen - auch vom unterhaltspflichtigen Ehegatten hinzunehmenden - Entwicklung, wenn sie dauerhaft und vom Schuldner nicht durch in Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheit gebotene Anstrengungen vermeidbar ist, abnehmen soll (BGH, Urteil vom 28.02.2007 - XII ZR 37/05, FamRZ 2007, 793, 795; siehe auch Gerhardt FamRZ 2007, 845 f.). Nichts anderes kann für sonstige Änderungen der maßgeblichen Verhältnisse gelten, wenn sich dadurch das dem Unterhaltspflichtigen verfügbare Einkommen vermindert (vgl. schon BGH, Urteil vom 15.03.2006 - XII ZR 30/04, FamRZ 2006, 683, 685 f.). Daher muss eine Korrektur nicht erst bei der Leistungsfähigkeit, sondern schon bei der Bedarfsbemessung ansetzen.

Die Anknüpfung an den Stichtag der rechtskräftigen Scheidung, wonach für die Bemessung der ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich die Entwicklungen bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils maßgebend und Änderungen in der Folgezeit nur dann zu berücksichtigen seien, wenn diese schon in der Ehe angelegt gewesen seien (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1998 - XII ZR 98/97 - FamRZ 1999, 367, 368 f. mit kritischer Anmerkung Graba), ist damit überholt.

Das gilt insbesondere für den früheren Ansatz, dass unvorhersehbare Änderungen nach der Trennung der Parteien nur deswegen grundsätzlich noch die ehelichen Lebensverhältnisse prägen sollten, weil sie - zufällig - noch vor Rechtskraft des Scheidungsurteils eintraten und deshalb etwa die Unterhaltspflicht für ein Kind aus einer anderen Verbindung bereits als "während der ehelichen Lebensgemeinschaft angelegt" anzusehen sei, wenn das Kind noch vor Rechtskraft der Scheidung geboren ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.1998 - XII ZR 98/97, FamRZ 1999, 367, 368 f.).

Entscheidend ist aber, wie der Senat in seiner neueren Rechtsprechung wiederholt betont hat, dass dem Recht des nachehelichen Unterhalts keine Lebensstandardgarantie entnommen werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 14.11.2007 - XII ZR 16/07, FamRZ 2008, 134, 135; BGH, Urteil vom 28.02.2007 - XII ZR 37/05, FamRZ 2007, 793, 795; BGH, Urteil vom 15.03.2006 - XII ZR 30/04, FamRZ 2006, 683, 685 f.). Deswegen sind spätere Einkommensveränderungen bei der Bemessung des nachehelichen Ehegattenunterhalts grundsätzlich zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sie vor der Rechtskraft der Ehescheidung oder erst später eingetreten sind, und grundsätzlich auch unabhängig davon, ob es sich um Einkommensminderungen oder -verbesserungen handelt, wobei allerdings wegen der Anknüpfung an die ehelichen Lebensverhältnisse in § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB Ausnahmen geboten sind.

Die Berücksichtigung einer nachehelichen Einkommensminderung findet ihre Grenze erst in der nachehelichen Solidarität der geschiedenen Ehegatten (vgl. dazu jetzt ausdrücklich den Gesetzentwurf BT-Drucks. 253/06 S. 59). Soweit das Gesetz einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt vorsieht, darf der Unterhaltspflichtige diesen nicht unterhaltsrechtlich leichtfertig gefährden. Beruhen Einkommensminderungen auf einer Verletzung der Erwerbsobliegenheit des Unterhaltspflichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 12.04.2000 - XII ZR 79/98, FamRZ 2000, 815, 816 f.; zum umgekehrten Fall beim Unterhaltsberechtigten vgl. BGH, Urteil vom 14.12.1983 - IVb ZR 38/82, FamRZ 1984, 364, 367) oder sind sie durch freiwillige berufliche oder wirtschaftliche Dispositionen des Unterhaltspflichtigen veranlasst und hätten sie von diesem durch zumutbare Vorsorge aufgefangen werden können (vgl. BGH vom 25.02.1987 - IVb ZR 28/86, FamRZ 1987, 930, 933 und vom 21.01.1987 - IVb ZR 94/85, FamRZ 1987, 372, 374) bleiben sie deswegen unberücksichtigt, sodass stattdessen fiktive Einkünfte anzusetzen sind.

In gleicher Weise sind auch Einkommenssteigerungen grundsätzlich zu berücksichtigen, gleichgültig, ob sie vor oder nach Rechtskraft der Ehescheidung auftreten. Ausnahmen bestehen nur dort, wo die Steigerungen nicht schon in der Ehe angelegt waren wie etwa allgemeine Lohnsteigerungen, sondern auf eine unerwartete Entwicklung, z.B. einen Karrieresprung, zurückzuführen sind. Nur solche unvorhersehbar gestiegenen Einkünfte sind deswegen nicht mehr den ehelichen Lebensverhältnissen im Sinne des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zuzurechnen. Denn das Unterhaltsrecht will den geschiedenen Ehegatten nicht besser stellen, als er während der Ehezeit stand oder aufgrund einer schon absehbaren Entwicklung ohne die Scheidung stehen würde. Auch insoweit kommt es nicht darauf an, ob es sich um Einkommenssteigerungen des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten handelt.

Bereits in seiner Surrogatrechtsprechung zur Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte aus einer späteren Erwerbstätigkeit anstelle früherer Haushaltstätigkeit und Kindererziehung (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 07.09.2005 - XII ZR 311/02, FamRZ 2005, 1979, 1981) hat der Senat ausgeführt, dass auch die später hinzugekommenen Einkünfte schon in Gestalt der Haushaltstätigkeit und Kindererziehung in der Ehe angelegt waren. Ebenso kann es nach ständiger Rechtsprechung keinen Unterschied machen, ob die Steigerung des für Unterhaltszwecke verfügbaren Einkommens auf einer Einkommenssteigerung oder darauf beruht, dass Zahlungsverpflichtungen aufgrund einer absehbaren Entwicklung entfallen sind.

Im Hinblick auf diese Betrachtungsweise sind auch sonstige Veränderungen der maßgeblichen Verhältnisse zu berücksichtigen, wenn sie Einfluss auf das dem Unterhaltspflichtigen verfügbare Einkommen haben. Die Berücksichtigung dadurch bedingter Einkommensminderungen findet ihre Grenze ebenfalls erst in einem vorwerfbaren Verhalten, das - ähnlich wie bei der fiktiven Anrechnung vorwerfbar nicht erzielten Einkommens - unterhaltsbezogen mutwillig sein muss.

Das ist nicht der Fall, wenn ein geschiedener Unterhaltsschuldner eine neue Familie gründet und in dieser neuen Ehe Kinder geboren werden.

Auch in solchen Fällen wäre es verfehlt, die Unterhaltspflicht für das neu hinzu gekommene Kind bei der Bemessung des Ehegattenunterhalts unberücksichtigt zu lassen, was dazu führen könnte, dass der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten das dem Unterhaltspflichtigen für den eigenen Unterhalt verbleibende Einkommen übersteigen würde, was nur im Rahmen des Selbstbehalts korrigiert werden könnte. Insofern muss bei der Neuberechnung des nachehelichen Unterhalts auch der Unterhaltsbedarf des in zweiter Ehe geborenen Kindes zu berücksichtigen.

Bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den ehelichen Lebensverhältnissen hat das Berufungsgericht wiederum zu Recht den vollen Unterhaltsbedarf der Kinder des Klägers berücksichtigt. Daran hat sich auch durch die Unterhaltsrechtsreform nichts geändert. Denn mit dem nunmehr in § 1609 BGB geschaffenen Vorrang des Unterhalts minderjähriger und privilegierter volljähriger Kinder ist insoweit keine Änderung der früheren Rechtslage verbunden. Die Vorschrift des § 1609 BGB beschränkt sich auf die Regelung der Rangfolgen mehrerer Unterhaltsberechtigter, betrifft also die Leistungsfähigkeit. Auf die Höhe des Unterhaltsbedarfs hat diese Vorschrift hingegen keine Auswirkung.

Soweit der Unterhaltsanspruch von Kindern ohne eigene Lebensstellung mit Ansprüchen anderer Unterhaltsberechtigter, wie Unterhaltsansprüchen getrennt lebender oder geschiedener Ehegatten oder Ansprüchen nach § 1615 l BGB, konkurriert, kann eine ausgewogene Verteilung des Einkommens etwa mit Hilfe der Bedarfskontrollbeträge der Düsseldorfer Tabelle hergestellt werden (vgl. insoweit Klinkhammer FamRZ 2008, 193, 197 f.). Mit dem Vorrang des Unterhaltsanspruchs minderjähriger und privilegierter volljähriger Kinder haben derartige Korrekturen für die Bemessung eines ausgewogenen Unterhaltsbedarfs aller Berechtigten allerdings eine noch größere Bedeutung gewonnen.

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Quelle: Online Redaktion - Beitrag vom 14.05.08