Familienrecht -

Herausnahme eines Pflegekindes aus der Pflegefamilie

Ein Pflegekind kann nicht in eine Pflegefamilie zurückgeführt werden, wenn zum Schutz des Kindes vor Fehlentwicklungen und zur Korrektur bisheriger Defizite dessen Herausnahme aus der Familie die einzig geeignete Maßnahme ist. Das hat das OLG Braunschweig entschieden. Wird der Erziehungsauftrag nicht oder nur mangelhaft erfüllt, muss das Jugendamt im Zweifelsfall einschreiten.

Sachverhalt

Annährend seit seiner Geburt und damit für ca. vier Jahre lebte das in 2012 geborene Kind als Pflegekind im Haushalt der Antragsteller. Im Mai 2017 beendete das Jugendamt das Pflegeverhältnis mit Einverständnis der allein sorgeberechtigten Mutter wegen nicht förderlicher Erziehung und Betreuung mit Kindeswohlgefährdungen und Aufsichtspflichtverletzungen zum Nachteil des Kindes. Seitdem lebt das Kind in einer anderen Pflegefamilie in der Nähe seiner Mutter zur Erleichterung des monatlichen Umgangs.

Die Antragsteller haben der Beendigung des Pflegeverhältnisses und der Herausnahme des Kindes aus ihrer Familie widersprochen und die Rückführung des Kindes beantragt. Nach Anhörung des Kindes wurde der Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Ihrer Ansicht der vormaligen Pflegeltern erfolgte die Entscheidung rechtsfehlerhaft, da weder die negative Auswirkung der Herausnahme für das Kindeswohl erläutert noch ein Sachverständigengutachten beauftragt wurde, weshalb sie – erfolglos - Beschwerde eingelegt haben.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das Kind hat von Dezember 2012 bis Mai 2017 als Dauerpflegekind im Haushalt der Antragsteller gelebt, sodass ein Fall von Familienpflege gegeben ist. Der Rückführungsantrag wurde im engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Herausnahme des Kindes aus der Familie gestellt. Auch wenn das zur Herausnahme des Kindes erforderliche Einverständnis der Mutter vorlag, können Pflegeeltern bei Herausnahme durch das Jugendamt Schutz im Wege der Rückführung in Anspruch nehmen.

Im vorliegenden Fall fehlt es am Schutzzweck des § 1632 Abs. 4 BGB, die Herausnahme eines Kindes aus der Pflegefamilie zur Unzeit zu vermeiden, um insbesondere sein seelisches Wohl nicht zu gefährden. Eine mögliche Kindeswohlgefährdung durch Herausnahme aus der Pflegefamilie muss gegenüber einer anderen erheblicheren, dem betroffenen Kind bei dortigem Verbleib drohenden Gefährdung zurücktreten.

Das AG hat zu Recht eine Gefährdung des Kindes bei dessen Verbleib bei den Antragstellern festgestellt. Denn das Kind ist unstreitig ein motorisch unruhiges Kind mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefiziten, dem es schwerfällt, Regeln und Grenzen einzuhalten und sein Umfeld zu respektieren. Deshalb ist ihm gegenüber dringend eine konsequente, grenzsetzende Haltung einzunehmen mit klarer Familienstruktur sowie festen Zeiten und Ritualen, Sicherheit und Stabilität, was die Antragsteller augenscheinlich bisher nicht leisten konnten.

Trotz Erziehungshilfe, speziellem Video-Training zur Stärkung der Erziehungskompetenz und Unterstützung in Form von Entlastungsstunden konnte die Situation nicht verbessert werden. Anfang 2016 wurden weitere Verhaltensauffälligkeiten des Kindes sowie zunehmend aggressives Verhalten mit körperlichen Attacken festgestellt. Auch waren die Antragsteller nicht in der Lage, Gefahrenquellen durch Einbau von Sicherungen zu beseitigen.

Der Senat verkennt nicht, dass die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie einen Beziehungsabbruch darstellt, der angesichts der aufgezeigten Kindesgefährdungen jedoch als hinnehmbar bewertet wird. Pflegeeltern wissen von der zeitlichen Begrenzung der Pflegebeziehung und von dem mit der Herausgabe des Kindes verbundenen Verlust.

Zum Schutz des Kindes vor weiteren Fehlentwicklungen und zur Korrektur bisheriger Defizite kommt derzeit als einzig geeignete Maßnahme die Trennung von den Antragstellern in Betracht. Der angefochtene Beschluss des AG hat somit Bestand und die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller ist zurückzuweisen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Obhut von Kindern in Pflegefamilien umfasst i.d.R. eine begrenzte Zeit. In den meisten Fällen endet diese Betreuung durch Rückkehr des Kindes zu den leiblichen Eltern. Jedoch verdeutlicht diese Entscheidung, dass auch das Jugendamt aufgrund besonderer Umstände zur Beendigung des Pflegeeinsatzes berechtigt ist. Besteht die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung in der Pflegefamilie, muss geprüft werden, wie diese Gefahr vom Kind abzuwenden ist.

Die Pflegeeltern waren nicht in der Lage, dem Kind gegenüber eine konsequente und insbesondere grenzsetzende Haltung mit klarer Struktur sowie festen Zeiten und Ritualen einzunehmen. Zur Unterstützung der Antragsteller wurden erfolglos diverse Hilfen ausprobiert. Das Kind entwickelte sich bedingt durch die fehlenden erzieherischen Vorgaben leider zu einem motorisch unruhigen Kind mit erheblichen Defiziten. Es zeigt ein zunehmend aggressives Verhalten mit körperlichen Attacken.

Auch wenn das Kind selbst nicht unter körperlichen Attacken seiner Pflegeeltern leiden muss, führt auch dieses mangelhafte Verhalten der Eltern, das leider keine „Erziehung“ im eigentlichen Sinne darstellt, zu einer Gefahr für die kindliche Entwicklung und somit für das Kindeswohl. Obwohl die Herausnahme aus der Pflegefamilie für das Kind sicherlich schmerzlich ist, wiegt diese jedoch nicht so schwer wie die bei dortigem Verbleib drohende Gefährdung des Kindes.

Praxishinweis

Pflegeeltern obliegt – auch für die möglicherweise begrenzte Zeit – die Pflicht, das ihnen anvertraute Kind zu erziehen. Demnach sind Kindern ihrem Alter entsprechende Fähigkeiten, Verhaltensweisen und auch Regeln zu vermitteln, die sie für ihr eigenes Leben brauchen. Nur so können sie auf das Zusammenleben in der Gesellschaft vorbereitet werden. Erfüllen Eltern und Pflegeeltern diesen Erziehungsauftrag zulasten des Kindes nicht oder nur mangelhaft, ist das Jugendamt zum Einschreiten verpflichtet. Hierbei reicht deren Einsatz vom Angebot unterstützender Maßnahmen bis zur Herausnahme des Kindes aus der Familie.

OLG Braunschweig, Beschl. v. 09.03.2018 - 1 UF 191/17

Quelle: Ass. jur. Nicole Seier