Miet- und WEG-Recht -

Unterliegt ein qualifizierter Mietspiegel dem Urheberrechtsschutz?

LG Stuttgart, Urt. v. 12.01.2010 – 17 O 387/09

Ein qualifizierter Mietspiegel kann im Einzelfall dem Urheberrechtsschutz unterliegen. Soweit er von einer Gemeinde erstellt und anerkannt wurde, handelt es sich zwar um ein amtliches Werk, er ist aber mangels allgemeinen Regelungscharakters nicht gemeinfrei nach § 5 Abs. 1 UrhG. Er ist auch nicht gemeinfrei nach § 5 Abs. 2 UrhG, da es ein spezifisches öffentliches Interesse an seiner  Verbreitung nicht gibt.

Darum geht es
Die Stadt Heilbronn stellt die Mietspiegeltabelle ihres qualifizierten Mietspiegels 2008 gratis ins Internet. Die gesamte Mietspiegelbroschüre mit Vorgaben für Zu- und  Abschläge hinsichtlich Wohnlage und Ausstattungsmerkmalen einer Wohnung gibt sie nur gegen eine Gebühr von 6,50 € ab und macht hierfür Urheberrechtschutz geltend. Ein Heilbronner Vermieter klagt. Er fürchtet eine Urheberrechtsverletzung, wenn er den Mietspiegel kopiert und ihn zur Erfüllung seiner Begründungspflicht nach § 558a Abs. 3 BGB seinen Mieterhöhungsverlangen beifügt. Außerdem scheitert ein Urheberrechtsschutz seiner Meinung nach an der besonderen Bedeutung, die einem qualifizierten Mietspiegel nach dem Gesetz zukommt. Seine zunächst zum VG Stuttgart erhobene negative Feststellungsklage wird von diesem an das LG Stuttgart verwiesen. Das LG weist die Klage ab.

Wesentliche Entscheidungsgründe
Das LG stellt fest, dass ein Mietspiegel – abhängig von seiner inhaltlichen und formalen Ausgestaltung – grundsätzlich urheberrechtschutzfähig nach § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG sein kann.  Allerdings verbietet sich eine typisierende Betrachtungsweise, vielmehr ist eine konkrete Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.

Juristische Personen haben „nur“ das Nutzungsrecht

Soweit die Gemeinde sich auf einen Urheberrechtsschutz beruft, ist aber zunächst zu beachten, dass Urheber i.S.v. § 7 UrhG nur natürliche Personen sein können. Juristische Personen können sich lediglich vom natürlichen Urheber das ausschließliche Nutzungsrecht übertragen lassen. Dies erfolgt z.B. nach § 43 UrhG, wenn der Mietspiegel durch Mitarbeiter der Gemeinde erstellt wird. Beauftragt die Gemeinde Dritte mit der Erstellung, wird sie sich regelmäßig die Nutzungsrechte nach §§ 31, 37 UrhG einräumen lassen.

Mietspiegel ist nicht „gemeinfrei“
Ein von einer Gemeinde herausgegebener Mietspiegel stellt ein „amtliches Werk“ i.S.v. § 5 UrhG, gleichwohl ist er nicht „gemeinfrei“ i.S. dieser Vorschrift. Danach bezeichnet Gemeinfreiheit alle Werke, die keinem Urheberrecht  mehr unterliegen oder ihm nie unterlegen haben.

Keine Gemeinfreiheit nach § 5 Abs. 1 UrhG
Gemeinfreiheit nach § 5 Abs. 1 UrhG scheidet aus, weil es sich bei einem qualifizierten Mietspiegel nicht um eine Rechtsnorm oder regelnde Äußerung der Gemeinde handelt. Insbesondere hat er nicht den Charakter einer gemeindlichen Satzung. Die Gemeinde setzt hiermit nicht etwa die Miethöhe für die Wohnungen in ihrem Gebiet fest, sondern stellt lediglich eine Tatsachengrundlage für konkrete Mieterhöhungsverlangen bereit, der vom Gesetz besondere Wirkungen zugeschrieben werden. Ob und in welchem Umfang eine Mieterhöhung tatsächlich durchgeführt wird, ist durch einen qualifizierten Mietspiegel nur mittelbar vorgezeichnet. Mietspiegel haben keine eigenständige Bindungs- und Regelungswirkung. Die in ihnen enthaltenen Werte entfalten aus sich selbst heraus keine Wirkung, sondern allenfalls in Verbindung mit den mietrechtlichen Gesetzesbestimmungen. Aus der in § 558d Abs. 3 BGB enthaltenen widerleglichen Vermutung, dass der Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete richtig wiedergibt, ergibt sich nichts anderes, da diese keine regelnde, sondern lediglich verfahrensvereinfachende Funktion hat.

Keine Gemeinfreiheit nach § 5 Abs. 2 UrhG
Die Gemeinfreiheit ergibt sich auch nicht aus § 5 Abs. 2 UrhG. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt ein spezifisches Verbreitungsinteresse voraus, das über das normale öffentliche Interesse an der Verbreitung amtlicher Werke hinausgeht (BGH, Urt. v. 20.07.2006 – I ZR 185/03, Deubner Link 2006/29332 = NJW-RR 2007, 342). Auch die besondere mietrechtliche Bedeutung des qualifizierten Mietspiegels begründet kein spezifisches Veröffentlichungsinteresse. Soweit § 558c Abs. 4 Satz 2 BGB vorsieht, dass Mietspiegel veröffentlicht werden sollen, kommt die Gemeinde dem schon durch die von ihr veranlasste Vervielfältigung und Verbreitung des Mietspiegels nach. Das öffentliche Verbreitungsinteresse gebietet nicht, dass der Mietspiegel auch noch kostenlos abgegeben werden muss. Eine etwaig hieraus resultierende finanzielle Belastung des Vermieters hat dieser als verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung seines Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG hinzunehmen.

Praxishinweis
Unter den Voraussetzungen des § 558a Abs. 3 BGB muss der Vermieter sein Mieterhöhungsverlangen mit einem qualifizierten Mietspiegel begründen und die Angaben des Mietspiegels dem Mieter mitteilen. Hierzu muss er den Mietspiegel regelmäßig seinem Mieterhöhungsverlangen beifügen. Hiervon kann nach der nach der BGH-Rechtsprechung abgesehen werden, wenn der Mietspiegel allgemein zugänglich ist, weil er etwa im Amtsblatt oder im Internet veröffentlicht wurde (BGH, Urt. v. 12.12.2007 – VIII ZR 11/07, Deubner Link 2008/2885 = WuM 2008, 88) oder bei der Gemeinde bzw. dem örtlichen Mieter-  oder Vermieterverein erhältlich ist (BGH, Urt. v. 11.03.2009 – VIII ZR 74/08, Deubner Link 2009/9116 = WuM 2009, 293). Dabei schadet es auch nicht, wenn der Mietspiegel nur gegen eine geringe Schutzgebühr abgegeben wird, wobei der BGH einen Betrag von 3 bis 4 € pro Exemplar jedenfalls dann nicht beanstandet hat, wenn er zugleich vollständig im Internet veröffentlicht wurde (BGH, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 28.04.2009 – VIII ZB 7/08, 2009/13024 = WuM 2009, 352).

Je deutlicher die Schutzgebühr jedoch den Betrag von 3- 4 € pro Exemplar überschreitet, desto problematischer wird die Annahme einer allgemeinen Zugänglichkeit. Im vorliegenden Fall ging es um einen Betrag von 6,50 €. Zudem war lediglich die Mietspiegeltabelle im Internet veröffentlicht, nicht aber die für die Einordnung der Wohnung in diese Tabelle erforderlichen Vorgaben für die Zu- und Abschläge. Bei einer solchen Konstellation ist zweifelhaft, ob die Beifügung des Mietspiegels zur Begründung des Mieterhöhungsverlangens nicht doch erforderlich ist. In diesem Fall kann sich tatsächlich die Frage des Urheberrechtsschutzes und seiner Verletzung durch Anfertigung von Kopien stellen. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um einen nicht von der Gemeinde, sondern von den Interessenverbänden der Mieter und Vermieter erstellten Mietspiegel handelt, da ein solches privates Werk von vornherein nicht gemeinfrei nach § 5 UrhG sein kann.

Der Vermieter kann dieses Problem umgehen, wenn er den Mietspiegel am Ort der Mietwohnung z.B. in seinem Kundencenter zur Einsichtnahme bereithält. In diesem Fall muss er den Mietspiegel seinem Mieterhöhungsverlangen nicht beifügen (BGH, Urteil vom 30.09.2009 – VIII ZR 276/08, Deubner Link 2009/25730 = WuM 2009, 747).

Weiterführende Informationen in rechtsportal.de/mietrecht

 

Quelle: Thomas Emmert, RA, Regensburg - Urteilsbesprechung vom 23.06.10