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Neuordnung der verdeckten Ermittlungsmaßnahmen

Die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im Strafverfahren sollen neu geordnet werden und damit ein besserer Grundrechtsschutz als bisher gewährleistet werden.

Das Bundesministerium der Justiz hat den Bundesressorts einen Referentenentwurf zugeleitet, mit dem die Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung neu geordnet und der Rechtsschutz bei verdeckten Ermittlungsmaßnahmen erheblich verbessert werden sollen.

Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs sind:

1. Grundrechtsschutz durch Verfahrenssicherungen

Harmonisierung: Die Vorschriften der vorgenannten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen in der Strafprozessordnung (StPO) werden harmonisiert, indem die formellen Anordnungsvoraussetzungen (z. B. Richtervorbehalt) und die Vorschriften zum Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen (z. B. Benachrichtigung, nachträglicher Rechtsschutz) vereinheitlicht werden.

Zuständigkeitskonzentration: Zuständig für die Anordnung einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme wird generell ein darauf spezialisiertes Gericht sein – der Ermittlungsrichter am Sitz der Staatsanwaltschaft. Dies stärkt den Richtervorbehalt und verbessert den Grundrechtsschutz der Betroffenen bereits vor Durchführung der Maßnahme. Die Konzentration der Zuständigkeit wird zur Bündelung ermittlungsrichterlicher Fachkompetenz führen. Ermittlungsrichter werden dann häufiger über solche Maßnahmen entscheiden müssen, die nicht nur ein rechtliches sondern auch ein technisches Grundverständnis erfordern (z. B. Telekommunikationsüberwachungen, Verkehrsdatenauskünfte).

Benachrichtigung: Der nachträgliche Rechtsschutz wird verbessert, indem bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen Benachrichtigungspflichten zugunsten des Betroffenen eingeführt und je nach Maßnahme spezifisch konkretisiert werden. Bislang finden sich solche Regelungen verstreut an verschiedenen Stellen in der StPO, beziehen aber beispielsweise längerfristige Observationsmaßnahmen oder den Einsatz des IMSI-Catchers nicht ein. Der Gesetzentwurf schafft hier einheitliche Regelungen für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.

Gerichtliche Kontrolle über die Einhaltung der Benachrichtigungspflicht: Will die Staatsanwaltschaft den Betroffenen länger als 12 Monate seit Abschluss der letzten Maßnahme – etwa, weil sonst die noch laufenden Ermittlungen gefährdet würden – vorerst nicht unterrichten, muss sie das Gericht einschalten, das dann die weiteren Entscheidungen trifft – beispielsweise über eine befristete Zurückstellung der Benachrichtigung.

Nachträglicher Rechtsschutz: Bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wird den Betroffenen ausdrücklich die Möglichkeit eines nachträglichen Rechtsschutzes ohne verfahrensrechtliche Hürden eröffnet. Im Gegensatz zu den allgemeinen Prozessrechtsgrundsätzen muss ein Betroffener in diesen Fällen kein besonderes Rechtsschutzbedürfnis nachweisen.

Einheitliche Verwendungsregelungen: Die Regelungen, zu welchen Zwecken die aus einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Erkenntnisse außerhalb eines Strafverfahrens (z. B. zur polizeilichen Gefahrenabwehr) verwendet werden dürfen, werden vereinheitlicht.

Kennzeichnungspflichten: Alle Erkenntnisse, die aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gewonnen wurden, müssen als solche gekennzeichnet werden. Damit wird die Einhaltung der entsprechenden Verwendungsregelungen gesichert – und damit der Datenschutz verbessert.

Einheitliche Löschungspflichten: Für alle Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt künftig gleichermaßen, dass sie unverzüglich gelöscht werden müssen, wenn sie weder zur Strafverfolgung noch zur gerichtlichen Überprüfung der Maßnahme erforderlich sind.


2. Besonderer Schutz von Berufsgeheimnisträgern

Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete werden durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung werden sie von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Damit stellt der Gesetzgeber zugleich die Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafverfahren klar.

Auch der Schutz von Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und weiteren Berufsgeheimnisträgern wird verbessert. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen nur nach einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall einbezogen werden dürfen.

„Verstrickungsregelung“: Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können bereits nach geltendem Recht beispielsweise Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Dabei soll es bleiben, allerdings unter erschwerten Bedingungen.

Zum besonderen Schutz der Pressefreiheit setzen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gegen Medienmitarbeiter bei Verrat von Dienstgeheimnissen zusätzlich voraus, dass die nach dem materiellen Strafrecht erforderliche Strafverfolgungsermächtigung der zuständigen obersten Behörde bereits erteilt wurde – und zwar auch gegenüber dem Medienmitarbeiter.

Für die Berufshelfer von Berufsgeheimnisträgern (z. B. Rechtsanwaltsgehilfen) soll derselbe Schutz gelten wie für den Zeugnisverweigerungsberechtigten selbst.


3. Überarbeitung des § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung)

Der Katalog von Straftaten, die Anlass für eine Telekommunikationsüberwachungsmaßnahme nach § 100a StPO sein können, wird auf schwere Straftaten begrenzt.

Aus dem Katalog gestrichen werden daher alle Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Das betrifft z. B.:

  • die durch einen Nichtsoldaten begangene Anstiftung oder Beihilfe zur Fahnenflucht oder Anstiftung zum
  • Ungehorsam (§§ 16, 19 Wehrstrafgesetzbuch);
  • die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB);
  • die Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsverbot nach dem Vereinsgesetz (§ 20 VereinsG);
  • fahrlässige Straftaten nach dem Waffengesetz (§ 51 Abs. 4 WaffG).

Neu in den Katalog aufgenommen werden schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität, wie etwa

  • Korruptionsdelikte (z. B. Bestechlichkeit und Bestechung),
  • gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug,
  • gewerbs- oder bandenmäßige Urkundenfälschung,
  • schwere Steuerdelikte, wie etwa der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel.

Zudem wird eine Telefonüberwachung künftig möglich sein bei der Aufklärung

  • aller Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen),
  • aller Menschenhandelsdelikte sowie
  • bei jeder Form der Verbreitung von Kinderpornographie.

Der Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung wird entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung (vom 27. Juli 2005 – 1 BvR 668/04) zum niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch entsprechende Regelungen bei der Telekommunikationsüberwachung gewährleistet.


4. Umsetzung europäischer Vorgaben

Die EU-Richtlinie zur so genannten „Vorratsdatenspeicherung“ soll entsprechend den Vorgaben des Deutschen Bundestages mit einer Speicherungsfrist von sechs Monaten umgesetzt und die Verwendung der gespeicherten Daten auf Strafverfolgungszwecke begrenzt werden. Zu speichern sein werden die näheren Umstände der Telekommunikation, d. h. wer mit wem, wann und – bei der Mobilfunktelefonie – von wo aus telekommuniziert hat; hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen sowie – bei der Mobilfunktelefonie – die Standorte bei Beginn der Mobilfunkverbindung. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden. Aus dem Bereich des Internets sind nur Daten über den Internetzugang sowie über E-Mail-Kommunikation und Internettelefonie erfasst. Kommunikationsinhalte dürfen auch hier nicht gespeichert werden. Im Übrigen müssen die genannten Daten – anders als in der Regel nach geltendem Recht – auch dann gespeichert werden, wenn sie nicht für die Gebührenabrechnung benötigt werden, wie dies bei Pauschaltarifen (Flatrates) der Fall ist. Für die internetbezogenen Daten sieht der Entwurf im Einklang mit europäischen Vorgaben allerdings einen Aufschub der Speicherungspflicht bis 15. März 2009 vor.

Die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Übereinkommens des Europarats über Computerkriminalität werden umgesetzt. Dadurch kann der Computer- und Internetkriminalität noch wirksamer begegnet werden. So wird bei den Regelungen über die Durchsuchung klargestellt, dass diese sich auch auf vorgefundene Computer und mit diesen verbundene Speichermedien (z. B. externe Server), zu denen der Besitzer des Computers zugangsberechtigt ist, erstrecken darf.


5. Berichts- und Statistikpflichten zur Ermöglichung der parlamentarischen Kontrolle

Die Richtlinie zur „Vorratsdatenspeicherung“ verpflichtet die Mitgliedsstaaten, jährlich statistische Daten zu erheben, um die Entwicklung von Verkehrsdatenabfragen zu beobachten. Daher sind einheitliche Bestimmungen für statistische Erhebungen über solche Maßnahmen vorgesehen. Über die Richtlinie hinausgehend werden solche statistischen Erhebungen auch für Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen nach § 100a StPO vorgesehen, um dem Gesetzgeber eine effektive Kontrolle zu ermöglichen. Zugleich wird die Telekommunikationswirtschaft von Statistikpflichten entlastet, diese werden künftig ausschließlich von den Strafverfolgungsbehörden getragen.

Der Gesetzentwurf wird neben den Bundesressorts zeitnah auch Ländern und Verbänden zur Stellungnahme zugeleitet. Die Kabinettbefassung ist für Frühjahr 2007 geplant. Das Gesetz ist zustimmungsbedürftig.

Quelle: BMJ - Pressemitteilung vom 08.11.06