Sozialrecht -

Gesetzliche Neuregelungen zum 1. Juli 2006

Zum 1. Juli 2006 treten zahlreiche gesetzliche Neuerungen in Kraft, die insbesondere das Sozialrecht betreffen.

Höhere Pauschalabgaben für Minijobs sollen stärker zur Sicherung der Sozialsysteme beitragen. Patientinnen und Patienten können bestimmte Arzneimittel ohne Zuzahlungen erhalten. Zur Verbesserung der Liquidität kleinerer und mittlerer Unternehmen wird die Umsatzsteuergrenze in den alten Bundesländern erhöht. ALG II - Empfänger in Ost und West erhalten die gleichen Regelleistungen.

Überblick über die Neuregelungen:

1. Zuzahlungsbefreiung für bestimmte Arzneimittel

Das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz ist eine notwendige Antwort der Bundesregierung auf den unverhältnismäßigen Anstieg der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zum überwiegenden Teil trat es bereits am 1. Mai 2006 in Kraft. Ab dem 1. Juli können Patientinnen und Patienten bestimmte Arzneimittel ohne Zuzahlung erhalten, wenn der entsprechende Arzneimittelpreis mindestens 30 Prozent unterhalb des jeweiligen Festbetrags liegt. Die Festbeträge sind Obergrenzen für die Erstattung von Arzneimitteln durch die gesetzliche Krankenversicherung. Die Patientinnen und Patienten können sich ab dem 1. Juli in ihrer Apotheke informieren, welche Arzneimittel zuzahlungsfrei erhältlich sind. Für Arzneimittel aus 79 Festbetragsgruppen der Stufe 1 (Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen) haben die Spitzenverbände der Krankenkassen bereits die Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiung festgelegt. Das sind rund ein Fünftel der insgesamt über 350 Festbetragsgruppen. Die Spitzenverbände beabsichtigen außerdem, die aktuell zuzahlungsbefreiten Arzneimittel in einer Übersicht auf der Internetseite www.gkv.info zu veröffentlichen.

2. Haushaltskonsolidierung: Änderungen bei "Minijobs" und "Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen"

Zum 1. Juli werden höhere Pauschalabgaben für Minijobs fällig. Die Sozialversicherungsfreiheit bei Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen wird begrenzt. Diese Maßnahmen wurden mit dem Haushaltsbegleitgesetz 2006 beschlossen, das den Weg für die nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ebnet. Die Konsolidierung ist dringend geboten, um 2007 wieder einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen zu können. Wesentliche Bestandteile des Haushaltsbegleitgesetzes, wie die Anhebung der Mehrwertsteuer, greifen zum 1. Januar 2007. Der pauschale Beitragssatz des Arbeitgebers für geringfügig Beschäftigte ("Minijobs") wird im gewerblichen Bereich zum 1. Juli von 25 auf 30 Prozent erhöht. Die Arbeitnehmer zahlen weiterhin in der Regel keine Abgaben. Der Pauschalbetrag des Arbeitsgebers zur gesetzlichen Rentenversicherung wird auf 15 Prozent, der Pauschalbetrag zur gesetzlichen Krankenversicherung auf 13 Prozent erhöht, unverändert bleiben 2 Prozent Steuern. Für Arbeitsentgelte zwischen 400,01 Euro und 800 Euro im Monat (so genannte Gleitzone) werden die Abgaben entsprechend angepasst. Für "Minijobs" in Privathaushalten ändert sich nichts: Die Arbeitgeber zahlen jeweils 5 Prozent zur Renten- und Krankenversicherung, 1,6 Prozent zur Unfallversicherung, 2 Prozent Pauschsteuer und 0,1 Prozent zum Aufwendungsausgleich. Die Sozialversicherungsfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen wird ab dem 1. Juli auf einen Grundlohn von 25 Euro die Stunde begrenzt.

3. Erhöhung der Umsatzsteuergrenzen in den alten Bundesländern

Zur Entlastung und besseren Liquidität kleinerer und mittlerer Unternehmen wird zum 1. Juli die Grenze bei der Umsatzbesteuerung (Ist-Besteuerung) in den alten Bundesländern von 125.000 Euro auf 250.000 Euro angehoben. Das bedeutet, die Unternehmen müssen bei einem Gesamtumsatz bis zu 250.000 Euro künftig die Umsatzsteuer erst abführen, wenn ihre Kunden die Rechnungen bezahlt haben. Unternehmen, die mehr als 250.000 Euro jährlich umsetzen, müssen die Umsatzsteuer mit Rechnungslegung zahlen. In den neuen Bundesländern besteht zur Förderung der Wirtschaft eine Umsatzgrenze von 500.000 Euro. Sie wird bis 2009 verlängert. Beide Maßnahmen sind im Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung geregelt.

4. Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte

Da die gesetzliche Rente an die Löhne und Gehälter gekoppelt ist, hätte eine negative Entwicklung der Löhne eine Kürzung der Rentenbezüge erforderlich gemacht. Nach den Feststellungen des Statistischen Bundesamtes war die Lohnentwicklung 2005 für die alten Bundesländer mit 0,2 Prozent zwar leicht positiv, für die neuen Bundesländer war sie mit minus 0,4 Prozent jedoch negativ. Nach der Rentenanpassungsformel ergäbe sich eine rechnerische Senkung der Renten um 0,91 Prozent im Westen und um 1,51 Prozent im Osten. Mit dem Gesetz über die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte werden Rentenkürzungen für die laufende Legislaturperiode ausgeschlossen. Es tritt zum 1. Juli in Kraft. Diese Festlegung ist Teil der Strategie der Bundesregierung zur generationengerechten Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung, die die wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland ist. Die Bundesregierung hat das Ziel, die gesetzliche Rentenversicherung nachhaltig auf eine solide Finanzgrundlage zu stellen und langfristig zu sichern. Da mit dem Gesetz ein Jahrzehnte lang geltender Grundsatz des Umlageverfahrens verletzt wird, ist es ein Gebot des generationengerechten Ausgleichs, dass die Kürzung nachgeholt wird. Der Nachholfaktor sieht vor, dass die Renten in konjunkturell besseren Zeiten nicht im gleichen Umfang steigen wie die Löhne. Dadurch wird die nicht erfolgte Kürzung der Vergangenheit ausgeglichen.

5. Änderungen für unverheiratete unter 25-jährige ALG II-Empfänger

Nach bisherigem Recht bildeten minderjährige unverheiratete Kinder mit ihren Eltern eine Bedarfsgemeinschaft. Sie erhielten 80 Prozent der Regelleistung. Sobald sie volljährig wurden, bildeten sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft und erhielten 100 Prozent der Regelleistung, auch wenn sie weiterhin bei den Eltern wohnten. Nach den neuen Sozialgesetzbuch II - Änderungen werden ab dem 1. Juli unverheiratete unter 25-jährige in die Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern einbezogen. Das bedeutet: Einkommen und Vermögen der Eltern wird bei der Prüfung und Berechnung von Ansprüchen der Kinder berücksichtigt. Kindergeld wird bei den unter 25-jährigen als Einkommen angerechnet. Unverheiratete unter 25-jährige, die bei ihren Eltern leben, bekommen nur noch 80 Prozent der Regelleistung. Der Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz kann nun auch für unverheiratete Kinder unter 25 Jahren gezahlt werden, die im Haushalt ihrer Eltern leben, wenn dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird. Bereits seit 1. April 2006 müssen unverheiratete unter 25-jährige ALG II - Empfänger die Zustimmung des Leistungsträgers einholen, wenn sie eine Bedarfsgemeinschaft gründen und eine eigene Wohnung beziehen wollen. Nur wer aus zwingenden Gründen - zum Beispiel beruflichen oder schwerwiegenden sozialen - aus der elterlichen Wohnung ausziehen muss, erhält noch 100 Prozent der Regelleistung und eine eigene Wohnung.

6. Angleichung des ALG II - Satzes in den neuen Bundesländern an Westniveau

Die bisherige unterschiedliche Regelleistung für ALG II - Empfänger in den alten und den neuen Bundesländern wurde mit geringeren Lebenshaltungskosten und unterschiedlichem Verbrauchsverhalten begründet. Der Ombudsrat kam in seinem Zwischenbericht im Juni 2005 zu der Einschätzung, dass das Verbrauchsniveau und Konsumverhalten tatsächlich Unterschiede aufweisen, diese jedoch nicht nur zwischen alten und neuen Ländern bestehen, sondern dass innerhalb des gesamten Bundesgebietes regionale Besonderheiten auftreten. Aus diesem Grund plädierte er für einen einheitlichen Wert auf West-Niveau, um dem Grundsatz der Bedarfsdeckung und dem soziokulturellen Existenzminimum zu genügen. Für ALG II - Empfänger in den neuen Bundesländern wird vom 1. Juli an nun die Regelleistung um 14 Euro erhöht - von 331 Euro auf 345 Euro - und damit auf das Niveau in den alten Bundesländern angepasst.

7. Beendung der Förderung von Ich-AGs

Die mit dem Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt im Januar 2003 eingeführte, zunächst bis Ende 2005 befristete und nochmals verlängerte Förderung von Ich-AGs läuft am 30. Juni 2006 aus. Ab dem 1. August 2006 wird es einen neuen Gründungszuschuss als Anschlussregelung geben, der die Ich-AG-Förderung und das Überbrückungsgeld ersetzt. Ziel des neuen Gründungszuschusses ist eine neue kombinierte Förderung. Diese wird als konditionierte Pflichtleistung ausgestaltet und soll in einer ersten Förderphase den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung der Gründer sicherstellen. In einer zweiten Förderphase sichert sie nur noch den Sozialversicherungsschutz.

8. Änderung der Rechtsanwaltsvergütungsverordnung

Ab 1. Juli müssen Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Rechtsanwalt über das Honorar verhandeln. Es entfällt die Vorschrift, wonach die gesetzliche Gebührentabelle gilt, wenn nichts anderes vereinbart wurde. Anwalt und Mandant schließen für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens oder für die Tätigkeit als Mediator eine Gebührenvereinbarung ab. Für die Beratung oder Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens für einen Verbraucher darf die Gebühr höchstens 250 Euro betragen, für ein erstes Beratungsgespräch fallen höchstens 190 Euro an.

9. Beschränkung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten

Seit Inkrafttreten des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes am 24. März 2006 können Verbraucherinnen und Verbraucher ihre alten Elektro- und Elektronikgeräte kostenlos bei den kommunalen Sammelstellen abgeben. Die Hersteller müssen die dort gesammelten Geräte zurücknehmen und entsorgen. Am 1. Juli greift eine weitere Regelung des Gesetzes: Gemäß einer EU-Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten dürfen bestimmte Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Cadmium und bromierte Flammschutzmittel in neuen Geräten nicht mehr verwendet werden. Zu möglichen Ausnahmen von den Verwendungsverboten führt die EU-Kommission Konsultationen unter den Wirtschaftsbeteiligten in der EU durch.

10. Umgang mit "parallelimportierten" Pflanzenschutzmitteln in der EU

Das Pflanzenschutzgesetz wird um Regelungen zum Umgang mit parallelimportierten Pflanzenschutzmitteln ergänzt. Parallelimportierte Pflanzenschutzmittel sind Mittel aus anderen Mitgliedsstaaten der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums, die mit einem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Mittel übereinstimmen, ohne hier selbst zugelassen zu sein. Es wird ein vereinfachtes Verfahren eingeführt, mit dem parallelimportierte Pflanzenschutzmittel auf ihre Übereinstimmung mit einem in Deutschland zugelassenen Mittel überprüft werden. Festgelegt werden auch die Kennzeichnung dieser Mittel und die Pflichten des Importeurs. Gleichzeitig wird eine Abverkaufsfrist für Parallelimporte eingeräumt, wenn die Zulassung des Originalpräparates auf Antrag des Zulassungsinhabers widerrufen wurde. Die Maßnahmen sind im Zweiten Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes geregelt. Mit ihm wird einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Juli 2005 Rechnung getragen. Die Vorschrift tritt am Tage nach der Verkündung im Bundesanzeiger - voraussichtlich im Juli 2006 - in Kraft.
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11. "Die Deutsche Bibliothek" wird zur "Deutschen Nationalbibliothek"

Ebenfalls nach Verkündung im Bundesanzeiger tritt das Gesetz über die "Deutsche Nationalbibliothek" in Kraft. Mit dem Gesetz wird der bisherige Name der Bundesanstalt "Die Deutsche Bibliothek" ihrer tatsächlichen Funktion entsprechend in "Deutsche Nationalbibliothek" geändert. Gleichzeitig erfolgt eine Aufgabenerweiterung: Bislang ist "Die Deutsche Bibliothek" als Nationalbibliothek beauftragt, körperliche Medienwerke wie Bücher und Tonträger seit 1913 zu sammeln, zu erschließen, zu bewahren und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Mit dem neuen Gesetz wird der Sammelauftrag der Deutschen Bibliothek aus dem Jahre 1969 auf Netzpublikationen - Publikationen, die keinen körperlichen Träger haben - erweitert. Damit erstreckt sich der Sammelauftrag zur Bewahrung und Nutzung des Kulturerbes für Literatur, Wissenschaft und Praxis auch auf die weitverbreiteten digitalen Veröffentlichungsformen.

Quelle: Bundesregierung - Pressemitteilung vom 28.06.06