Einschränkung von Leistungen

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Sonderfälle Einschränkung und Stilllegung ("Einfrieren") der betrieblichen Altersversorgung

Existieren in einem Betrieb Regelungen über eine betriebliche Altersversorgung, so werden die Rückstellungen und laufenden Ausgaben dafür einer Überprüfung zu unterziehen sein. Ansatzpunkte finden sich in den gesetzlichen Regelungen des BetrAVG selbst, in aller Regel enthalten betriebliche Versorgungszusagen – seien es Direktzusagen, Direktversicherungen, die Einrichtung von Pensions- oder Unterstützungskassen oder Pensionsfonds – aber auch Widerrufs- oder Einschränkungsvorbehalte, die nach steuerrechtlichen Grundsätzen formuliert sind, für den Fall der drohenden Insolvenz des Arbeitgebers. Diese Vorbehalte werden von der Rechtsprechung als Anwendungsfälle des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" behandelt.

Aussetzung der regelmäßigen Anpassung:

Bei der Anpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG kommt es nicht auf die frühere, sondern auf die voraussichtliche künftige Leistungsfähigkeit des Unternehmens an. Die zurückliegende Entwicklung liefert lediglich die benötigten Anhaltspunkte für die langfristig zu erstellende Prognose. Die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens in der Zeit vor dem Anpassungsstichtag ist nur insoweit von Bedeutung, als daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung des Unternehmens gezogen werden können (BAG, Urt. v. 23.04.1985 – 3 AZR 156/83, AP Nr. 17 zu § 16 BetrAVG; Urt. v. 17.04.1996 – 3 AZR 56/95, AP Nr. 35 zu § 16 BetrAVG). Besondere Entwicklungen, die nicht fortwirken und sich voraussichtlich nicht wiederholen werden, eignen sich nicht als Prognosegrundlage, ebenso wenig die gem. § 274 Abs. 1 Satz 2 HGB zu bilanzierenden "aktiven latenten Steuern" (BAG, Urt. v. 21.02.2017 – 3 AZR 455/15, AP § 16 BetrAVG Nr. 120).

Bei drohender Insolvenz des Arbeitgebers werden regelmäßig die Voraussetzungen für die Ablehnung einer Anpassung gem. § 16 BetrAVG vorliegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitgeber nicht erst bei Vorliegen eines Insolvenztatbestands berechtigt, das Anpassungsbegehren zurückzuweisen, sondern schon, wenn das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet wären (BAG, Urt. v. 02.09.2014 – 3 AZR 227/12, AP BetrAVG § 16 Nr. 101). Der Arbeitgeber darf jedenfalls dann von einer Anpassung der Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG absehen, wenn das Eigenkapital unter das Stammkapital der Gesellschaft sank, daraufhin die Gesellschafter durch zusätzliche Einlagen eine Kapitalrücklage bildeten, die anschließend erzielten Gewinne nicht ausgeschüttet, sondern zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung verwandt wurden und trotzdem das Stammkapital bis zum nächsten Anpassungsstichtag ohne die Kapitalrücklage voraussichtlich nicht wieder erreicht wird. Das gilt auch, wenn die Versorgung über eine Pensionskasse durchgeführt wird und ab Rentenbeginn sämtliche auf den Rentenbestand entfallenden Überschussanteile zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden (BAG, Urt. v. 10.12.2019 – 3 AZR 122/18, NZA 2020, 931).

Entscheidend bei der Anpassung der Betriebsrenten nach § 16 BetrAVG ist auch bei konzernzugehörigen Arbeitgeberfirmen die wirtschaftliche Lage des versorgungspflichtigen Arbeitgebers. Eine schlechte wirtschaftliche Lage der Konzernobergesellschaft oder des Gesamtkonzerns kann nur dann von Bedeutung sein, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in den nächsten drei Jahren die im Konzern bestehenden Schwierigkeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem für die Betriebsrentenanpassung relevanten Umfang auf das Tochterunternehmen "durchschlagen" werden (BAG, Urt. v. 10.02.2009 – 3 AZR 727/07).

Einschränkung:

Echte "freiwillige" und damit einseitig unter den oben (siehe Teil 14/1.1.2.1.2) beschriebenen Voraussetzungen widerrufliche oder einschränkbare "Zusagen" auf betriebliche Altersversorgung kommen in der Praxis nicht vor – sie wären nicht steuerlich begünstigt.

Einzelvertragliche Versorgungszusagen gegenüber dem Arbeitnehmer sind nur in den engen Grenzen der erklärten Vorbehalte einschränkbar, ansonsten bedarf es der Erklärung einer Änderungskündigung (siehe dazu Teil 14/1.1.2.2).

Wurde die Zusage in Form einer Gesamtzusage (einseitige Erklärung des Arbeitgebers gegenüber allen oder einer Gruppe von Arbeitnehmern) oder arbeitsvertraglichen Einheitsregelung (Vielzahl identischer Einzelarbeitsverträge) erteilt, so kommt bei kollektivem Änderungsvorbehalt – also der "betriebsvereinbarungsoffenen" Ausgestaltung – die Einschränkung durch eine ablösende Betriebsvereinbarung in Betracht, weil Gesamtzusagen grundsätzlich ablösungsoffen gegenüber neuen kollektiven Regelungen sind (BAG, Urt. v. 13.10.2020 – 3 AZR 410/19, NZA-RR 2021, 192). Inhaltlich ist jedoch allenfalls eine Umstrukturierung bei gleichbleibender Gesamtdotierung möglich. Einzig unter der Voraussetzung des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" der Versorgungszusage – bei einer angenommenen Opfergrenze von 50 % – verliert die Zusage ihre Verbindlichkeit (BAG, Urt. v. 17.01.2012 – 3 AZR 555/09; Urt. v. 08.12.2020 – 3 AZR 65/19, NZA 2021, 344).

Sind Zusagen schließlich durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag begründet, so sind Einschränkungen (nur) durch ablösende Betriebsvereinbarung oder Tarifvertragsänderung möglich. Verschlechternde Tarifverträge können von den Gerichten nur darauf überprüft werden, ob sie gegen das Grundgesetz, gegen zwingendes Gesetzesrecht, gegen die guten Sitten oder gegen tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (BAG, AP Nr. 31 zu § 1 BetrAVG "Zusatzversorgungskassen"). Tarifverträge unterliegen keiner Billigkeitskontrolle (BAG, Urt. v. 18.08.1999 – 10 AZR 424/98, BAGE 92, 218, 221; BAG, Urt. v. 21.08.2007 – 3 AZR 102/06, NZA 2008, 182).

Soweit unter den dargestellten Voraussetzungen Einschränkungen überhaupt in Betracht kommen, gelten bei kollektiven Regelungen – ausgenommen tarifliche (dazu sogleich) – zusätzliche materielle Anforderungen für Eingriffe, zu denen das BAG eine "Drei-Stufen"-Lehre entwickelt hat:

Bei den Besitzständen des Arbeitnehmers ist zu unterscheiden zwischen den (1) nur ausnahmsweise antastbaren, insolvenzgeschützten Teilbeträgen, die sich aus der Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG ergeben, (2) der sogenannten "zeitanteilig erdienten Dynamik" (Schutz des Berechnungsfaktors "ruhegehaltsfähiges Entgelt") und (3) den Steigerungsbeträgen, die ausschließlich von der weiteren Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängen. Bei den Eingriffsgründen ist zu unterscheiden zwischen (1) zwingenden, (2) triftigen und (3) sachlich-proportionalen Gründen.

Diese "Drei-Stufen"-Lehre (vgl. BAG, Beschl. v. 08.12.2020 – 3 ABR 44/19) ist wegen der Tarifautonomie nicht auf tarifvertragliche Regelungen anwendbar. Laufende Betriebsrenten hat das Bundesarbeitsgericht einer Regelungsmöglichkeit durch die Tarifvertragsparteien unterstellt und Eingriffe für die Zukunft durch ablösenden Tarifvertrag unter der Voraussetzung für möglich gehalten, dass "besondere rechtfertigende Gründe" gegeben sind und die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden (BAG, Urt. v. 27.02.2007 – 3 AZR 734/05, NZA 2007, 1371). Das dreistufige Prüfungsschema wendet das BAG aber auch an, wenn das Arbeitsverhältnis gem. § 613a BGB auf einen anderen Arbeitgeber übergeht und dort durch eine bereits geltende Betriebsvereinbarung abgelöst wird (BAG, Urt. v. 22.10.2019 – 3 AZR 429/18, AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 81), das gilt auch im Fall mehrerer Ablösungen, es ist dann jede Ablösung einzeln zu prüfen (BAG, Urt. v. 19.03.2019 – 3 AZR 201 /17, NZA 2020, 1031).

Bei tariflichen Regelungen, die für die betroffenen Arbeitnehmer oder Versorgungsempfänger nur zu geringfügigen Nachteilen führen, genügen (einfache) "sachliche Gründe" für die Rechtfertigung des Eingriffs (vgl. BAG, Urt. v. 28.06.2011 – 3 AZR 282/09, Rdnr. 39; BAG, Urt. v. 20.09.2016 – 3 AZR 273/15, NZA 2017, 64, Rdnr. 35 ff.).

In erdiente unverfallbare Anwartschaften – Gegenleistung für die Betriebstreue – darf grundsätzlich nicht eingegriffen werden. Die erforderlichen zwingenden Eingriffsgründe dürften sich aus der Aufzählung in § 7 Abs. 1 BetrVG abschließend ergeben. Der frühere Eingriffsgrund der "wirtschaftlichen Notlage" ist mit der Änderung des BetrAVG im Zuge der Einführung der InsO 1999 entfallen (BAG, Urt. v. 31.07.2007 – 3 AZR 373/06, Nr. 27 zu § 7 BetrAVG "Widerruf").

Zeitunabhängige Steigerungsraten, also eine erdiente, wie etwa die gehaltsabhängige Dynamik, bedürfen zu ihrer Schmälerung "triftiger Gründe", wozu auch die langfristige Gefährdung der Substanz eines Unternehmens gehört (erhebliche, nicht kalkulierbare Kostenbelastung, für die Rückstellungen fehlen, und die auf einer nicht vorwerfbaren, lange zurückliegenden Fehleinschätzung beruht). "Triftige Gründe" müssen über die sachliche Rechtfertigung hinaus ein größeres Gewicht haben und "durch eine Dringlichkeit gekennzeichnet sein, die eine schonendere Übergangsregelung unangebracht erscheinen lässt". Sie sind nicht schematisch zu beurteilen und können wirtschaftlicher Art sein: "wenn die Gefahr besteht, dass das Unternehmen durch die Versorgungslast langfristig ausgezehrt wird" (BAG, Urt. v. 09.12.2008 – 3 AZR 384/07, NZA 2009, 1341), sie können aber auch nichtwirtschaftlicher Art sein: "wenn ohne Schmälerung des Gesamtaufwandes für die Versorgung Leistungskürzungen durch Verbesserung des Versorgungsschutzes aufgewogen werden"; (BAG, Urt. v. 11.09.1990 – 3 AZR 380/89, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG "Besitzstand").

"Dringende betriebliche Bedürfnisse" im Sinne triftiger Gründe können beispielweise sein

Verstärkung des Entgeltgedankens der betrieblichen Altersversorgung,

bessere Entlohnung längerer Betriebstreue,

Bestreben nach Vereinheitlichung (Erleichterung der Mobilität im Konzern, Verhinderung unterschiedlicher Begünstigungen).

Die Zustimmung des Betriebsrats gilt dabei als Indiz für das Bedürfnis der Neuregelung und deren Ausgewogenheit.

Dienstzeitabhängige zukünftige Steigerungen schließlich, also nicht erdiente Wertzuwächse, dürfen geschmälert werden, nur nicht willkürlich. Die Neuregelung, die in künftige Zuwächse eingreift, die auf der Grundlage der abgelösten Regelungen hätten erdient werden können, bedarf sachlich-proportionaler Gründe. Dafür soll der allgemeine Hinweis auf wirtschaftliche Schwierigkeiten nicht ausreichen, sie müssen im Einzelnen dargelegt werden (BAG, Urt. v. 15.01.2013 – 3 AZR 705/10, AP § 1 BetrAVG "Ablösung" Nr. 59). Anderweitige naheliegende Einsparmöglichkeiten müssen zumindest erwogen und ihre Unterlassung plausibel erklärt werden. Eines ausgewogenen Sanierungsplans bedarf es indes nicht. Die vom Arbeitgeber darzulegenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten müssen derart sein, dass ein vernünftiger Unternehmer auf sie reagieren darf und der Eingriff in die betriebliche Altersversorgung in der eingetretenen wirtschaftlichen Situation nicht unverhältnismäßig ist. Verhältnismäßig ist der Eingriff dann, wenn er sich in ein auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zur Beseitigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgerichtetes Gesamtkonzept einpasst und die Ausgestaltung des Gesamtkonzepts plausibel ist. Der Arbeitgeber hat einen Beurteilungsspielraum (BAG, Urt. v. 09.12. 2014 – 3 AZR 323/13, AP § 1 BetrAVG "Ablösung" Nr. 67).

Sachlich-proportionale Gründe liegen bereits dann vor, wenn ein unabhängiger Sachverständiger Feststellungen getroffen hat, die einen dringenden Sanierungsbedarf begründen. Allenfalls offensichtliche und ergebnisrelevante Fehler oder die Erstellung der Bilanz entgegen den anerkannten Regeln können der Annahme entgegenstehen, ein Eingriff zu Sanierungszwecken sei nicht willkürlich erfolgt (BAG, a.a.O.).

Auch Fehlentwicklungen in der betrieblichen Altersversorgung können einen Eingriff in die Versorgungsansprüche rechtfertigen, wenn z.B. eine erhebliche, zum Zeitpunkt der Schaffung des Versorgungswerks unvorhersehbare Mehrbelastung eingetreten ist, die auf Änderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung oder im Steuerrecht beruht. Nach der Neuregelung darf der Gesamtbarwert der Versorgung, bezogen auf den einzubeziehenden Personenkreis, nicht geringer sein als bei ihrer Schaffung (BAG, Urt. v. 10.11.2015 – 3 AZR 393/14).

Schließlich können Eingriffe durch Anpassung an geänderte rechtliche Rahmenbedingungen – Änderung des sozialversicherungsrechtlichen Rentenrechts (BAG, Urt. v. 30.09.2014 – 3 AZR 998/12) – oder infolge einer Umgestaltung der Versorgung gerechtfertigt sein, wenn vereinbart wird, die feste Altersgrenze anzuheben und gleichzeitig erstmals versicherungsmathematische Abschläge für vorzeitige Leistungen einzuführen, sofern nur der Dotierungsrahmen erhalten bleibt (BAG, Urt. v. 13.10.2016 – 3 AZR 439/15).

Vollständiger Widerruf/Stilllegung:

Erst recht für den vollständigen Widerruf von Versorgungszusagen, auch in Form der Kündigung von Betriebsvereinbarungen, gelten die vorstehend beschriebenen strengen Voraussetzungen; das BAG verweist insoweit auf den besonderen Vertrauensschutz der Arbeitnehmer. Ohne eigenständige Bedeutung ist die ausdrückliche Regelung eines Widerrufsvorbehalts in der Versorgungszusage, da ohnehin an den Maßstäben des "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" zu messen. Sakrosankt sind – wie dargestellt – die unverfallbaren und insolvenzgeschützten Anwartschaften (BAG, Beschl. v. 21.08.2001 – 3 ABR 44/00, AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG "Betriebsvereinbarung"). Zum Insolvenzschutz von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung siehe zunächst den Hinweis oben in Teil 14/1.1.1.2 am Ende, im Übrigen in Teil 14/3.3. Seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.07.2007 (3 AZR 373/06, AP Nr. 27 zu § 7 BetrAVG "Widerruf") ist geklärt, dass der Wegfall der Tatbestandsalternative "wirtschaftliche Notlage" im früheren § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 BetrAVG, der bis zur Einführung der InsO am 01.01.1999 die Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage dem Versicherungsschutz durch den Träger der Insolvenzsicherung, also den Pensions-Sicherungs-Verein, unterstellte, auch den Wegfall der Widerrufsmöglichkeit und des korrespondierenden Sicherungsfalls bedeutet. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 29.02.2012 (1 BvR 2378/10) als verfassungskonform bestätigt. Bei einer zulässigen vollständigen Stilllegung der betrieblichen Altersversorgung entfällt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats (siehe Teil 14/1.1.2.1.2).