Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Hohe Hürden für Änderungskündigung

Das BAG hat hohe Anforderungen an die Bestimmtheit des Fortsetzungsangebots bei Änderungskündigungen gestellt. Das Vertragsangebot muss hinreichend konkret gefasst sein und die soziale Rechtfertigung sämtlicher Änderungen der Arbeitsbedingungen vorliegen. Die notwendige Konkretisierung muss sich aber nicht zwingend allein aus dem Inhalt des Kündigungsschreibens ergeben.

Sachverhalt

Ein Elektrotechniker war seit 1997 u.a. im Bereich Softwareerstellung tätig. Am 23.11.2001 hatte er einen Verkehrsunfall, bei dem er eine schwere Hirnverletzung erlitt. Im Dezember 2005 führte das Unternehmen mit dem Arbeitnehmer einen Arbeitstest durch. Danach war der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage, die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete komplexe Programmiertätigkeit durchzuführen. Mit Schreiben vom 30.03.2006 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich.

In dem Kündigungsschreiben heißt es auszugsweise:

„Hiermit kündigen wir das Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgemäß zum 30.06.2006, gleichzeitig bieten wir Ihnen ein Arbeitsverhältnis an zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen mit folgenden Abweichungen. Folgende Punkte werden abgeändert:

1. Tätigkeit und Aufgabengebiet
Der Arbeitnehmer tritt als Elektrotechniker in das Unternehmen ein. Das Aufgabengebiet umschließt die Software-Erstellung (…) usw. In das Aufgabengebiet wird der Arbeitnehmer ca. ein halbes Jahr eingearbeitet. Der Arbeitnehmer erklärt sich im Rahmen seiner Tätigkeit mit Einsätzen auf Baustellen einverstanden.
3. Bezüge
Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit eine monatliche Vergütung von brutto € 2.709,00.

Sie lauten neu:
1. Tätigkeit und Aufgabengebiet
Der Arbeitnehmer tritt als Elektrotechniker in das Unternehmen ein. Das Aufgabengebiet umschließt alle Arbeiten im Lager, vorrangig Fahrer- und Kuriertätigkeiten, hierzu gehören u.a. das Be- und Entladen von Baustellen- oder sonstigem Material in und von Transportfahrzeugen, Staplerfahren sowie allgemeine Lagertätigkeiten usw. In das Aufgabengebiet wird der Arbeitnehmer ca. einen Monat eingearbeitet. Der Arbeitnehmer erklärt sich im Rahmen seiner Tätigkeit mit Einsätzen auf Baustellen einverstanden.
3. Bezüge
Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit einen Stundenlohn von brutto € 8,50.“

Der Elektrotechniker nahm die Änderung der Arbeitsbedingungen unter Vorbehalt an und erhob im Übrigen Klage. Das ArbG Weiden hat die Klage mit Urteil vom 18.12.2006 (5 Ca 468/06 (S)) abgewiesen, das LAG Nürnberg hat die dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 16.06.2015 (7 (2) Sa 229/07) zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat das BAG mit Urteil vom 26.01.2017(2 AZR 68/16) das Urteil des LAG Nürnberg aufgehoben und das Urteil des ArbG Weiden dahingehend abgeändert, dass der Klage stattgegeben wird.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen ist sozial nicht gerechtfertigt. Die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer einen Teilbereich der vertraglich geschuldeten Leistungen nicht mehr erbringen kann, führt nicht zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit, die es dem Arbeitnehmer unmöglich macht, die vertraglich festgelegte Arbeitsleistung überhaupt zu erbringen.

Das LAG hat weder geprüft, ob das mit der Kündigung verbundene Vertragsangebot hinreichend konkret gefasst war, noch die soziale Rechtfertigung sämtlicher Änderungen der Arbeitsbedingungen festgestellt. Diese Rechtsfehler des LAG zwingen nicht zu einer Zurückverweisung. Es kann unterstellt werden, dass dem Arbeitnehmer aufgrund vorangegangener Erläuterungen klar sein musste, dass er überhaupt nicht mehr als Elektrotechniker eingesetzt werden sollte.

Jedenfalls war das mit der Kündigung verbundene Fortsetzungsangebot hinsichtlich der ausdrücklich vorbehaltenen „Einsätze auf Baustellen“ nicht hinreichend konkret gefasst. Der Arbeitnehmer konnte die Art der geschuldeten Arbeitsleistung(en) nicht ausreichend erkennen. Sollten Tätigkeiten eines Elektrotechnikers überhaupt nicht mehr zugewiesen werden können, musste dies auch für mögliche „Einsätze auf Baustellen“ gelten.

Dem Kündigungsschreiben ließ sich nicht entnehmen, dass der Kläger auch im Rahmen von „Einsätzen auf Baustellen“ mit den aufgeführten Hilfstätigkeiten befasst werden solle, die ausdrücklich als „Arbeiten im Lager“ bzw. „Lagertätigkeiten“ bezeichnet sind. Das gilt umso mehr, als nach dem ihm bekannten Sprachgebrauch bei dem Arbeitgeber mit „Baustellen“ alle auswärtigen Einsätze bei Kunden gemeint sind. Dem Arbeitnehmer konnte sich auch auf andere Weise nicht die Art der insoweit geschuldeten Tätigkeit erschließen.

Ein entscheidungserheblicher weiterer Vortrag des Arbeitgebers stand nicht zu erwarten. Der Arbeitgeber hat auf die Hinweise des Senats vom 16.11.2016 und 09.01.2017 nicht vorgetragen, mit welchem Inhalt er die vom Arbeitnehmer nach dem Fortsetzungsangebot geschuldeten Leistungen auf „Baustellen“ ausreichend konkretisiert habe.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG bestätigt seine Rechtsprechung, wonach nicht jede gesundheitlich bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit ein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.d. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG begründet (vgl. BAG Urt. v. 22.10.2015, 2 AZR 550/14; BAG, Urt. v. 09.04.2014, 10 AZR 637/13). Gleiches gilt für seine ständige Rechtsprechung bezüglich der Bestimmtheit des Fortsetzungsangebots (vgl. zuletzt BAG, Urt. v.17.02.2016, 2 AZR 613/14) und des Erfordernisses der sozialen Rechtfertigung der Änderung jeder einzelnen Arbeitsbedingung einschließlich der Höhe der Vergütung (BAG, Urt. v. 03.04.2008, 2 AZR 500/06).

Praxishinweis

Die Entscheidung macht deutlich, dass der zweite Senat des BAG seine strikte Haltung hinsichtlich der Anforderungen an eine wirksame Änderungskündigung beibehält. Für die Praxis wichtig ist die Tatsache, dass das BAG davon ausgeht, dass die hinreichende Konkretisierung der geänderten Arbeitsbedingungen auch durch Erklärungen außerhalb des Kündigungsschreibens erfolgen kann.

BAG, Urt. v. 26.01.2017 - 2 AZR 68/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber