Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Versetzung: Verbindlichkeit einer Weisung des Arbeitgebers

Es ist für den Arbeitnehmer zumutbar, die Versetzung an einen anderen Arbeitsort im arbeitsgerichtlichen Hauptsachverfahren überprüfen zu lassen. Eine Weisung des Arbeitgebers ist bis dahin bindend. Fehler im Beteiligungsverfahren mit dem Betriebsrat begründen die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer Versetzung grundsätzlich nicht. Das hat das LAG Köln entschieden.

Sachverhalt

Ein 51-jähriger AT-Angestellter ist seit 1982 am Standort Bonn beschäftigt. Bestandteil seines Arbeitsvertrages ist eine wirksame Versetzungsklausel. Der Arbeitgeber hat mit dem Gesamtbetriebsrat mit Wirkung zum 01.01.2013 einen Interessenausgleich über Reorganisationsmaßnahmen geschlossen. Weil die Stelle des Angestellten weggefallen war, versetzte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer befristet in einen Betrieb am Standort Darmstadt. Vor dem ArbG Bonn sind Zustimmungsersetzungsverfahren nach den §§ 99, 100 BetrVG bezüglich der Versetzung von Bonn und bezüglich der Einstellung in Darmstadt anhängig.

Der Angestellte hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt, dem Arbeitgeber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu untersagen, ihn gemäß dem Versetzungsschreiben vom 01.12.2016 nach Darmstadt zu versetzen. Das ArbG Bonn hat den Antrag mit Urteil vom 10.01.2017 (6 Ga 52/16) zurückgewiesen. Das LAG Köln hat die Berufung zurückgewiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Es fehlt an dem für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund. Einem Arbeitnehmer ist es in der Regel zuzumuten, einer Versetzungsanordnung zunächst Folge zu leisten und sodann den Umfang des Direktionsrechts in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen. Allein der Umstand, dass eine möglicherweise vertragswidrige Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, reicht hierfür nicht aus.

Erforderlich ist ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers, wie es allenfalls bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten bestehen kann. Daneben kann lediglich die offenkundige Rechtswidrigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme einen Verfügungsgrund darstellen.

Im Streitfall kann eine Dringlichkeit des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs nicht festgestellt werden Der Kläger hat eine besonders schwerwiegende Belastung wie eigene finanzielle Notlage, Unabkömmlichkeit wegen der Pflege naher Angehöriger oder die Unmöglichkeit der Ausübung des Umgangsrechts mit seinem Sohn bei einem Tätigwerden in Darmstadt nicht schlüssig dargelegt.

Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ergibt sich nicht daraus, dass die Beklagte möglicherweise den zuständigen Betriebsrat nicht ordnungsgemäß nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG beteiligt hat. Außerdem kann sich der Arbeitnehmer für die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer Versetzung nicht auf Fehler im Beteiligungsverfahren nach §§ 99, 100 BetrVG stützen, weil er ansonsten weitergehende Rechte aus kollektivrechtlichen Normen ableitet als das Organ der betrieblichen Mitbestimmung selbst innehat. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 99, 100 BetrVG dienen aber vor allem der kollektiven Interessenwahrnehmung und nicht primär dem Individualschutz.

Folgerungen aus der Entscheidung

Die Entscheidung bestätigt die obergerichtliche Rechtsprechung zur Verbindlichkeit einer Weisung des Arbeitgebers (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 10.11.201, 5 SaGa 12/11; LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.03.2014, 5 SaGa 13/13). Neu ist die geringe Prüfungsintensität der Ordnungsgemäßheit der Beteiligung des Betriebsrats. Fehler im Beteiligungsverfahren begründen die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer Versetzung grundsätzlich nicht.

Die – im Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes letztinstanzlichen – Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte bewirken mit dem Urteil des BAG vom 22.02.2012 (5 AZR 249/11) einen erheblichen Druck auf den Arbeitnehmer. Danach ist der Arbeitnehmer an eine Weisung des Arbeitgebers, die nicht aus sonstigen Gründen unwirksam ist, vorläufig gebunden, bis durch ein rechtskräftiges Urteil gem. § 315 Abs. 3 S. 2 BGB die Unverbindlichkeit der Leistungsbestimmung festgestellt wird.

Kommt der Arbeitnehmer einer Weisung nicht nach, geht er das Risiko ein, dass die Weisung sich als rechtmäßig und damit verbindlich herausstellt. Dann scheiden Annahmeverzugslohnansprüche aus. Außerdem ist objektiv eine Arbeitsverweigerung gegeben, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge haben kann.

Praxishinweis

Die Rechtsprechung wertet das Weisungsrecht des Arbeitgebers erheblich auf. Wer sich im Arbeitsvertrag zur u.a. örtlich flexiblen Erbringung seiner Leistung verpflichtet, wird zur Erfüllung angehalten. In der Praxis werden die Arbeitgeber sich darauf einstellen müssen, dass der Standpunkt der Arbeitsgerichte, von einem Arbeitnehmer könne die Erbringung seiner vertraglich vereinbarten Leistungen erwartet werden, im Einzelfall einen solchen psychischen Druck erzeugen wird, dass Arbeitsunfähigkeit eintritt.

Unter prozessualen Gesichtspunkten ist anzumerken, dass ein Arbeitnehmer wegen des Vorrangs des Leistungs- vor dem Feststellungsantrag den Antrag auf Zuweisung einer konkreten anderweitigen Beschäftigung stellen muss. Hierbei handelt es sich i.d.R. um die bisherige Tätigkeit. Ist der Arbeitnehmer nach Wegfall seines ursprünglichen Arbeitsplatzes ohne Beschäftigung, ist ein Feststellungsantrag ausnahmsweise zulässig. Auf einen solchen Antrag hin wird für die Dauer bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache geklärt, ob eine solche Versetzung wirksam ist.

LAG Köln, Urt. v. 10.02.2017 - 4 SaGa 3/17

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber