Familienrecht -

Befristung von Unterhalt wegen Kindesbetreuung

In der Praxis wird zukünftig verstärkt darauf abgestellt werden müssen, inwieweit aufgrund der konkreten Betreuungssituation vor Ort von dem betreuenden Elternteil eine (Teil-)Erwerbstätigkeit neben der Kinderbetreuung erwartet werden kann.

BGH Urt. v. 06.05.2009 — XII ZR 114/08, DRsp. Nr. 2009/13175

Redaktioneller Leitsatz

  1. Bei der Billigkeitsentscheidung nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ist zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die notwendige Betreuung der Kinder auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte.
  2. Ein Altersphasenmodell, das allein auf das Alter der Kinder abstellt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
  3. Soweit die Betreuung der Kinder auf andere Weise sichergestellt oder in einer kindgerechten Einrichtung möglich ist, kann einer Erwerbsobliegenheit des betreuenden Elternteils auch entgegenstehen, dass der ihm daneben verbleibende Anteil an der Betreuung und Erziehung der Kinder zu einer überobligationsmäßigen Belastung führen kann.

Darum geht es

In seiner Entscheidung vom 18.03.2009 (XII ZR 74/08, DRsp Nr. 2009/846 = FamRZ 2009, 770, 1="Anm." Viefhues, FamExpress 2009, 74) hat der BGH ein Altersphasenmodell für das neue Recht - auch in modifizierter Form - eindeutig abgelehnt . Dies hat er in der hier besprochenen Entscheidung erneut bestätigt.

Entscheidungsgründe

Der BGH stellt noch einmal klar, dass mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahrs grundsätzlich der Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben wurde . Die Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit findet erst dort ihre Grenzen, wo die Betreuung nicht mehr mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Dies ist jedenfalls bei öffentlichen Betreuungseinrichtungen wie Kindergärten, Kindertagesstätten oder Kinderhorten regelmäßig nicht der Fall.

Der unterhaltsberechtigte Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus.

Bei der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Unterhaltsanspruchs über diesen Zeitraum hinaus ist zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die notwendige Betreuung der Kinder auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte.

Praxishinweise

In der Praxis wird nach den beiden Entscheidung des BGH zukünftig verstärkt darauf abgestellt werden müssen, inwieweit aufgrund des Einzelfalls und insbesondere der konkreten Betreuungssituation vor Ort von dem betreuenden Elternteil eine (Teil-) Erwerbstätigkeit neben der Kinderbetreuung erwartet werden kann. Dazu muss konkret festgestellt, werden ob im näheren Einzugsbereich eine kindgerechte Einrichtung existiert, die die Betreuung des Kindes — ggf. bei Schulkindern nach ihrem Schulbesuch einschließlich der Hausaufgabenhilfe — ganztags sicherstellt.

Die betreuenden Eltern und ihre Anwälte müssen daher in Zukunft substantiiert und einzelfallbezogen vortragen, warum eine Fremdbetreuung nicht möglich oder für die besonderen Bedürfnisse des Kindes nicht angemessen ist. Eine weitere Rolle spielen die Art der Berufstätigkeit und die tatsächlich vorhandene Fremdbetreuung sowie hinsichtlich elternbezogener Gründe die Frage, ob mehrere Kinder aus einer Verbindung betreut werden. Vgl. dazu:

  • BGH, Urt. v. 06.05.2009 — XII ZR 114/08, DRsp-Nr. 2009/13175
  • OLG Hamm, Urt. v. 30.10.2008 — 2 UF 43/08, DRsp. Nr. 2008/23684 = NJW-RR 2009, 294
  • KG, Beschl. v. 18.08.2008 — 13 WF 111/08, Drsp. Nr. 2008/19445 = NJW 2008, 3793
  • Born, Betreuungsunterhalt nach neuem Recht, FF 2009, 92, 95).

In der Praxis besteht vielfach die Hoffnung oder — je nach Blickwinkel — auch die Befürchtung, in sog. Problemkindfällen sei mit einer Vielzahl von Einwänden, ärztlichen Attesten und Sachverständigengutachten zu rechnen (vgl. Sanders, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 18.03.2009 — XII ZR 74/08, DRsp. Nr. 2009/8461 = FF 2009, 209, 210).

Vom Ansatz her ist bereits große Zurückhaltung angezeigt, eine Abweichung vom Standardfall anzunehmen (Kemper, FuR 2008, 169, 173). Die vielbeschworen trennungsbedingten Probleme des Kindes relativieren sich in der Praxis, denn es geht um Nachscheidungsunterhalt, der erst in einem größeren zeitlichen Abstand von der Trennung geltend gemacht wird. Die sog. "Mimosen-Einrede" (Born, Das neue Unterhaltsrecht, NJW 2008, 1, 8: das Kind sei ja so anfällig, erhöht betreuungsbedürftig, schwierig und brauche ständig Hausaufgabenhilfe) reicht jedenfalls nicht aus. Einer Instrumentalisierung von Schwierigkeiten des Kindes für Unterhaltszwecke ist durch Anforderungen an einen substantiierten Sachvortrag entgegenzutreten (Erman-Graba, BGB, 12. Aufl. 2008, § 1570 Rn. 6).

Auch hier zeigt der BGH den zutreffenden Ansatz:

Soweit sich in der Praxis der betreuende Elternteil unabhängig von der Existenz und dem Leistungsspektrum einer solchen kindgerechten Einrichtung auf die Notwendigkeit einer persönliche Betreuung beruft z.B. wegen gesundheitlicher Probleme des Kindes, ist das Bestehen eines solchen Problems allein nicht ausreichend, denn dies sagt noch nichts darüber aus, durch wen eine solche zusätzliche Betreuung sichergestellt werden kann.

Unterhaltsrechtliche Bedeutung hat ein solches Problem des Kindes allein dann, wenn nur der betreuende Elternteil dieses Problem lösen kann und wegen des damit verbundenen Zeitaufwands in seiner Berufstätigkeit eingeschränkt ist (Einzelheiten siehe Viefhues/Mleczko, Das neue Unterhaltsrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 155 ff.). All dies muss substantiiert dargetan werden!

Den Gesichtspunkt der überobligationsmäßigen Belastung des betreuenden Elternteils als elternbezogenen Verlängerungsgrund stützt der BGH auf die nacheheliche Solidarität und damit auf das aus der Ehe hergeleitete Vertrauen. Es kommt demnach nicht allein auf die aktuelle Belastung des allein erziehenden Elternteils an, sondern es ist zusätzlich als Maßstab auch das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte oder praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Kinderbetreuung heranzuziehen. Diese Umstände gewinnen durch das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung des gemeinsamen Kindes weiter an Bedeutung. Konkret verlangt der BGH im Einzelfall Feststellungen zum genauen Umfang der zeitlichen Arbeitsbelastung im Rahmen einer Vollzeittätigkeit und zum Umfang der zusätzlichen Beanspruchung durch die Betreuung der beiden gemeinsamen Kinder nach Beendigung einer Ganztagsbetreuung.

Zu den Kosten der Kindesbetreuung (Kindergartengebühren) siehe BGH, Urt. v. 26.11.2008 — XII ZR 65/07, DRsp. Nr. 2009/9999 = NJW 2009, 1816.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema in rechtsportal.de/familienrecht:

  • Bibliothek, Lexikon des Unterhaltsrechts, Stichwort „Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB)“ ( Deubner Link D5721_8046393_1 )

  • Bibliothek, Familienrecht per Mausklick, Wissenskarte „Kann Unterhalt nach § 1570 BGB verlangt werden? ( Deubner Link Unt/702.2 )

Um die Entscheidungen und Antragsmuster herunterladen zu können, müssen Sie zunächst Premium-Mitglied von rechtsportal.de werden. Melden Sie sich hier zum kostenlosen 30-Tage Test an!

Quelle: Dr. Wolfram Viefhues, RiAG Oberhausen - Urteilsbesprechung vom 06.10.09