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Familienrecht -

Elterliche Sorge: Entscheidung über Teilnahme am Religionsunterricht

OLG Köln, Beschl. v. 18.04.2013 - 12 UF 108/12

Kinder nehmen durch Religionsunterricht und Schulgottesdienst keinen Schaden, die Teilnahme ist vielmehr ihrer Bildung förderlich. Bei einem Streit ist die elterliche Sorge für diesen Bereich auf den Elternteil zu übertragen, der die Teilnahme wünscht.

Darum geht es

Die Ehe der Eltern wurde 2009 geschieden. Seit der Trennung leben die 2006 geborenen Zwillinge bei der Mutter. Die Ausübung des Umgangsrechts durch den Vater war zu jeder Zeit von erheblichen Konflikten geprägt. Im Sommer 2012, mit der Einschulung der Kinder, kam es zu einem Streit der konfessionslosen Eltern über die Teilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst. Der Vater wünscht eine Teilnahme und hat beantragt, ihm die alleinige Sorge darauf begrenzt zu übertragen. Die Mutter will hingegen von ihrem Grundrecht auf Religionsfreiheit Gebrauch machen. Bei der Erziehung der Kinder spiele Religion keine Rolle. Jugendamt und Verfahrensbeistand halten die Teilnahme am Religionsunterricht für sinnvoll.

Mit Beschluss vom 30.05.2012 hat das AG dem Vater die Befugnis zur Entscheidung über den Besuch des Religionsunterrichts und des Schulgottesdiensts übertragen. Dagegen hat die Mutter Beschwerde mit der Begründung eingelegt, die Entscheidung solle den Kindern überlassen werden und der Staat habe neutral zu bleiben. Ihr Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, mit dem sie die Teilnahme zu Beginn des Schuljahres verhindern wollte, ist zurückgewiesen worden.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Mutter gegen die Übertragung der elterlichen Sorge ist statthaft, in der Sache indes unbegründet.

Die Grundlage für die vom AG getroffene Regelung ist § 1628 BGB. Die Voraussetzung für dessen Anwendbarkeit sind konkrete Meinungsdifferenzen der Eltern über eine einzelne Angelegenheit, hier die Teilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst. Darüber hinaus muss die Angelegenheit für das Kind von erheblicher Bedeutung sein. Danach ist die Entscheidung zu treffen, die dem Kindeswohl am besten entspricht. Ist eine gütliche Einigung nicht möglich, überträgt das Gericht die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, dessen Vorschlag für das Wohl der Kinder am besten ist.

Das Gericht trifft keine Entscheidung darüber, ob ein Kind religiös erzogen oder in welcher Religion es unterrichtet werden soll, sondern hat lediglich zu prüfen, ob der Vorschlag des Vaters, den Kindern die Teilnahme am Religionsunterricht zu ermöglichen, ihrem Wohl am besten entspricht oder ob dem Anliegen der Mutter zu folgen ist, zum Wohl der Kinder von der Teilnahme am Religionsunterricht Abstand zu nehmen und davon zu befreien ist. Eine Gefährdung der Kinder ist in beiden Fällen nicht zu befürchten, denn weder bei einer Teilnahme noch bei einer Nichtteilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst nehmen die Kinder Schaden.

Die Teilnahme ist aber ihrer Bildung förderlich, ermöglicht ihnen später eine bessere Grundlage für eine eigene Entscheidung für oder gegen die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, vermittelt ihnen eine fundierte Kenntnis über die christlichen Grundlagen der abendländischen Kultur und verschafft ihnen so ein größeres Verständnis für hiesige Grundregeln des Zusammenlebens. Die Wissensvermittlung der Hintergründe des Gottesbezugs in Art. 7 Abs. 1 Landesverfassung NRW dient der Bildung der Kinder, ohne dass sie gezwungen werden, selbst an Gott zu glauben, einer Religionsgemeinschaft anzugehören oder eine Religion zu praktizieren.

Die im Lehrplan des Religionsunterrichts gesetzten Schwerpunkte umfassen z.B. Antworten auf Fragen nach der Herkunft und dem Sinn des Lebens, Ausdrucksformen verschiedener Religionen und Glauben, die Vermittlung biblischer Überlieferungen und die Einführung in ethische Maßstäbe.

Für die Entscheidung kommt es alleine darauf an, ob daraus der Schluss gezogen werden kann, die Teilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst diene dem Wohl der Kinder. Diese kommen im alltäglichen Leben ständig mit christlichem Kulturgut in Berührung. Gerade die im hiesigen Kulturbereich praktizierten Festtage werden auch von konfessionslosen Kindern wahrgenommen. Zur Allgemeinbildung gehören die Kenntnis und das Verständnis der hier gepflegten Gebräuche. Die in Sakralbauten und ihrer Architektur verwirklichte Symbolik wird erst durch Kenntnis der darauf basierenden religiösen Vorstellungen verständlich. Die Teilnahme der Kinder am Religionsunterricht und Schulgottesdienst vermittelt ihnen erste und ihrem Grundschulalter entsprechende Kenntnisse darüber.

Im Unterricht werden auch soziale Aspekte erörtert und im Lauf des Jahresrhythmus das Erntedankfest und Sankt Martin angesprochen. Die Vermittlung dieser Kenntnisse stellt einen wichtigen Baustein ihrer Ausbildung dar. Abfällige Bemerkungen der Kinder über die religiösen Inhalte des Unterrichts können nur auf die Beeinflussung durch die Mutter zurückgeführt werden. Der Mutter steht es weiterhin frei, den Kindern ihre Weltanschauung näherzubringen. Allerdings ist sie gehalten, die Kinder zur Teilnahme am Religionsunterricht und Schulgottesdienst zu veranlassen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Durch die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht und Gottesdienst wird in das Grundrecht der Eltern auf Religionsfreiheit nicht eingegriffen. Auch wird den Kindern dadurch der christliche Glaube nicht aufgezwungen. Sie werden allenfalls mit verschiedenen Religionen, Gebräuchen und Aussagen sowie darüber hinaus mit den Grundlagen für das soziale Miteinander vertraut gemacht. Kindern, denen von ihren Eltern eine unchristliche Einstellung vermittelt wird, können sich behutsam von deren starrer Sichtweise lösen, sich Neuem öffnen und dafür aufgeschlossen sein. Diese Entwicklung kann durch die Religion und die damit verknüpften Grundregeln des Zusammenlebens gefördert werden, um den Kindern auf diese Weise eine weltoffene Sichtweise zu vermitteln.

Quelle: RAin Nicole Seier - vom 18.06.13