Familienrecht -

Grundrecht für Kinder - zum Urteil des BVerfG über die Umgangspflicht von Eltern

Das Bundesverfassungsgericht hat einen außerordentlich ungewöhnlichen Fall zum Anlass genommen, grundsätzliche Ausführungen zur Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu machen (Urteil vom 01.04.2008 - 1 BvR 1620/04).

Wie sich aus dem Leitsatz zu Ziffer 1 ergibt, haben die Eltern demnach eine Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes - und zwar nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber dem Kind. Dies wird dahingehend verstanden, dass Karlsruhe ein Grundrecht für Kinder geschaffen hat (vgl.  „Süddeutsche Zeitung“ vom 02.04.2008, Seite 1).

Im vorliegenden Fall hatte das OLG Brandenburg die Rechtmäßigkeit der Androhung eines Zwangsmittels entsprechend § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB damit begründet, dass dem Kindeswohl durch einen begleiteten Umgang mit dem Vater kein nachhaltiger, gravierender Schaden drohe. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 01.04.2008 ist dies jedoch nicht der richtige Maßstab.

Bei der Androhung eines Zwangsgeldes handele es sich um einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Vaters, der nur zulässig sei, wenn er dem Wohl des Kindes diene. Im Regelfall sei davon auszugehen, dass eine zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines den Umgang mit seinem Kind verweigernden Elternteils dem Wohl des Kindes nicht diene. Etwas anderes gelte aber, wenn im Einzelfall festgestellt werde, dass für ein Kind die Erfüllung seines Wunsches, den anderen Elternteil kennen zu lernen, gewichtiger sei als die Erfahrung, dass dieser Elternteil von ihm nichts wissen wolle. In diesem Fall sei es auch für den Elternteil zumutbar, zum Umgang mit Zwangsmitteln angehalten zu werden.

Konkrete Feststellungen erforderlich
Das BVerfG bleibt mit dieser Entscheidung auf der Linie, von den Gerichten konkrete Feststellungen über die Auswirkungen einer Regelung auf das Wohl eines Kindes zu verlangen (vgl. BVerfG  vom 15.06.2007 - 1 BvR 1827/06 zur Ferienregelung für ein zweieinhalbjähriges Kind). Tatsächlich handelt es sich dabei um Prognoseentscheidungen, die auch mithilfe von Sachverständigen häufig schwierig zu treffen sind. Es gibt bislang über die Auswirkungen von zwangsweise durchgesetzten Kontakten keine sozialwissenschaftlichen Forschungsergebnisse. Deshalb sind auch Sachverständige auf ihre Einschätzungen angewiesen, auf positive Erkenntnisse können sie nicht zurückgreifen. Es besteht die Gefahr, dass die eigentliche Entscheidung auf die Sachverständigen verlagert wird. So wird zwar der Eindruck von Wissenschaftlichkeit erzeugt, ob auf diese Art und Weise Entscheidungen getroffen werden, die dem Wohl des Kindes dienen, bleibt aber fraglich.

Auswirkung für die Praxis
Nach dem Urteil kann ein Elternteil zwar gem. § 1684 Abs. 1, 3 BGB durch eine gerichtliche Entscheidung zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet werden. Die Entscheidung darf aber nur gem. § 33 FGG vollstreckt werden, wenn positiv festgestellt wird, dass die zwangsweise Durchsetzung der Umgangsverpflichtung dem Wohl des Kindes dient.

Weitere Auswirkungen?
Das Urteil enthält aber zudem Aussagen darüber, auf welche Art und Weise die Umgangsverpflichtung in das Persönlichkeitsrecht des Elternteils eingreift. Das Grundrecht schütze den engeren persönlichen Lebensbereich und die Erhaltung seiner Grundbedingungen und umfasse das Recht auf Achtung der Privatsphäre. Dazu gehören der familiäre Bereich und die persönlichen Beziehungen zu den anderen Familienmitgliedern. Die Entscheidung, mit seinem Kind Umgang zu haben oder ihn abzulehnen, sei Ausdruck des individuellen Verständnisses von Elternschaft und der emotionalen Beziehung zum Kind. Die zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht nehme Einfluss auf sein persönliches Verhältnis zum Kind und setzte ihn unter Druck, sich seinem Kind gegenüber so zu verhalten wie er es selbst nicht wolle.

Es ist bisher schon gängige Rechtsprechung, dass das Umgangsrecht eines Elternteils seine Begrenzung in dem Persönlichkeitsrecht eines Kindes findet. Die oben genannten Grundsätze müssten deshalb auch auf die Fälle anzuwenden sein, in denen ein Kind den Umgang mit einem Elternteil ablehnt. Das Elternrecht ist ein Recht im Interesse des Kindes, es ist den Eltern um des Kindes willen verbürgt. Einem Elternteil wird es zugemutet, auch unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet zu werden, wenn dies dem Kindeswohl dient. Ob es einem Kind zugemutet werden kann, unter Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitssphäre zum Umgang mit einem Elternteil in dessen Interesse verpflichtet zu werden, erscheint deshalb fraglich. Es bleibt abzuwarten, ob die Ausführungen des BVerfG außer auf die Durchsetzung der Umgangspflicht eines Elternteils auch auf die Durchsetzung von Umgangsrechten Auswirkungen haben wird.

Quelle: Richterin am OLG Sabine Happ-Göhring, Hamburg - Urteilsbesprechung vom 03.04.08