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Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beschleunigungsgebot bei Haftfragen entschieden.

So rechtfertigen interne Organisationsprozesse bei Gericht und Staatsanwaltschaft nicht per se eine überlange Verfahrensdauer.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit September 2005 wegen des
Verdachts des Betrugs, der Steuerhinterziehung und der Veruntreuung von
Arbeitsentgelt in Untersuchungshaft. Nachdem die Strafkammer die Termine
der Hauptverhandlung für Mai bis Juli 2006 festgelegt hatte, hob sie
diese im Mai 2006 unter Hinweis auf einen bevorstehenden Wechsel des
Vorsitzenden und des Berichterstatters auf. Die neuen
Hauptverhandlungstermine wurden erst für Oktober bis Dezember 2006
bestimmt. Die Gründe hierfür lagen darin, dass der neu bestellte
Vorsitzende der Strafkammer wegen seiner früheren Tätigkeit als
Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren von der Mitwirkung in der
Hauptverhandlung ausgeschlossen war. Insoweit mussten daher seine
Aufgaben von seinem Stellvertreter wahrgenommen werden. Dessen
Arbeitskraft war jedoch dadurch, dass er zugleich auch ständiger
Vertreter des Vorsitzenden der Jugendkammer ist, bereits erheblich in
Anspruch genommen. In letzterer Eigenschaft hatte er ein umfangreiches,
mit der Revision angefochtenes Urteil gegen vier Angeklagte nach einer
sechsmonatigen Hauptverhandlung abzusetzen. Hinzu kam, dass die Planung
seines Jahresurlaubs bereits feststand. Daher war er an einer früheren
Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer gehindert.
Im Rahmen der Haftprüfung ordnete das Oberlandesgericht im Juli 2006 die
Fortdauer der Untersuchungshaft an. Die durch den Vorsitzendenwechsel
und die Versetzung des bisherigen Berichterstatters zur
Staatsanwaltschaft entstandenen Schwierigkeiten bei der
Verfahrensabwicklung hätten zwar zu einer Verfahrensverzögerung geführt.
Diese sei jedoch durch gerichtsorganisatorische Maßnahmen nicht zu
beseitigen gewesen.


Entscheidung:

Die gegen den Haftfortdauerbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde
hatte Erfolg. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass der Beschluss des
Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht
verletze, da dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot nicht
hinreichend Rechnung getragen worden sei. Die Sache wurde zu erneuter
Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Präsidium eines Gerichts hat bei einer Änderung der
Geschäftsverteilung darauf zu achten, dass ein dem Rechtsstaatsprinzip
genügender wirkungsvoller Rechtsschutz, zu dem auch die Entscheidung in
angemessener Zeit gehört, gewährleistet ist. So hat das Präsidium bei
den von ihm getroffenen gerichtsorganisatorischen Maßnahmen etwa die
effektive Weiterbearbeitung von Eilverfahren sicherzustellen. Vor diesem
Hintergrund hätte das Oberlandesgericht prüfen müssen, ob der
Präsidiumsbeschluss diese Vorgabe hinreichend beachtet hat. Bei einer
bereits ein Jahr andauernden Untersuchungshaft können die in diesem Fall
bislang bekannten Umstände nicht die Annahme rechtfertigen, dass die
erhebliche Verfahrensverzögerung von vier Monaten unvermeidbar war. Die
von der Stellenumbesetzung ausgehenden negativen Folgen für das gegen
den Beschwerdeführer geführte Strafverfahren waren für das Präsidium
absehbar.

Auch der Hinweis des Oberlandesgerichts auf den Wechsel des
Berichterstatters zur Staatsanwaltschaft trägt die Annahme einer
unvermeidbaren Verfahrensverzögerung nicht. Im Zeitpunkt der
Terminsaufhebung stand der genaue Zeitpunkt der Versetzung des
Berichterstatters noch nicht fest. In der Praxis ist es durchaus üblich,
dass Versetzungen zurückgestellt werden, um den sachgerechten Abschluss
einer Hauptverhandlung zu ermöglichen, sofern nicht zwingende Gründe für
eine solche Personalmaßnahme vorliegen. Unabhängig davon wäre bei der
Absehbarkeit einer Versetzung des Berichterstatters bei Beginn der
Hauptverhandlung die Bestellung eines Ergänzungsrichters in Betracht zu
ziehen gewesen, um die Aussetzung der Hauptverhandlung zu vermeiden.
Auch mit diesen nahe liegenden Gesichtspunkten setzt sich das
Oberlandesgericht nicht auseinander.

Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 16.10.06