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Diskussion um Jugendstrafvollzugsgesetz

Bund beteiligt sich mit eigenem Vorschlag an der Debatte!

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat einen ausformulierten Vorschlag für ein Jugendstrafvollzugsgesetz vorgelegt.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte am 31. Mai 2006 über die Klage eines im Jugendstrafvollzug einsitzenden Strafgefangenen entschieden und festgestellt, dass es aus Verfassungsgründen einer spezifischen Rechtsgrundlage für den Jugendstrafvollzug bedarf. Zugleich hat das Gericht dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende 2007 gesetzt, um ein entsprechendes Gesetz zu erlassen.

Bereits in der Vergangenheit hatte es mehrfach Anläufe des Bundes gegeben, den Jugendstrafvollzug gesetzlich zu regeln. Die Vorschläge scheiterten bislang am Widerstand der Bundesländer. Deren Kritik richtete sich dabei vor allem auf die Kosten verursachenden Regelungen zur Einführung von Mindeststandards und Qualitätssicherung, die sich nun weitgehend in den Karlsruher Vorgaben wieder finden.

I. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

1.
Die inhaltliche Ausgestaltung des Strafvollzuges für jugendliche bzw. heranwachsende Straftäter bedarf gesetzlicher Grundlagen, die auf die besonderen Anforderungen des Vollzuges von Strafen an Jugendlichen und Heranwachsenden zugeschnitten sind.

2.
Das Vollzugsziel der sozialen Integration hat Verfassungsrang, da nur ein solchermaßen ausgerichteter Vollzug der staatlichen Pflicht zur Achtung der Menschenwürde des Einzelnen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens entspricht.

3.
Zugleich folgt die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der Resozialisierung auszurichten, auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit aller Bürger.

4.
Der Staat übernimmt durch den Freiheitsentzug für die weitere Entwicklung der Gefangenen eine besondere Verantwortung, der er nur durch eine Vollzugsgestaltung gerecht werden kann, die in besonderer Weise auf Förderung (soziales Lernen, Ausbildung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die einer künftigen beruflichen Integration dienen) gerichtet ist.

5.
Aus den jugendtypischen Wirkungen der Haft, insbesondere der besonderen Haftempfindlichkeit junger Menschen, den besonderen Chancen und Gefahren für die weitere Entwicklung und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergibt sich spezieller Regelungsbedarf im Hinblick auf:

  • die Bedeutung der Familienbeziehungen, 

  • <LIDIE k&ouml;rperliche M&ouml;glichkeiten zur Bewegung,< LI>
  • die Art der Sanktionierung von Pflichtverstößen,

  • Vorkehrungen zum Aufbau und nicht unnötiger Beschränkung von Kontakten innerhalb der Anstalt, die positivem sozialen Lernen dienen können,

  • Vorkehrungen zum Schutz vor wechselseitigen Übergriffen der Gefangenen,

  • Unterbringung in kleineren Wohngruppen differenziert nach Alter, Strafzeit, Straftaten und

  • konkrete Vorgaben zur erforderlichen Ausstattung mit personellen und finanziellen Mitteln.

6.
Verpflichtung des Gesetzgebers zur Entwicklung eines wirksamen Resozialisierungskonzepts, das auf Erfahrungswissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen einschließlich der Beachtung internationaler Standards beruht.

7.
Beobachtung und Nachbesserung der gesetzlichen Bestimmungen aufgrund vergleichender empirischer Forschung.

8.
Jugendgerechte Neuregelung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Maßnahmen im Vollzug mit Möglichkeit mündlicher Kommunikation.

II. Regelungsvorschlag des Bundesministeriums der Justiz

1. Pflichten der Gefangenen

Der Jugendstrafvollzug verlangt nach dem Konzept des BMJ von den Gefangenen eine umfassende aktive Mitarbeit. Da eine freiwillige und auf Einsichtigkeit beruhende Kooperation der Gefangenen nicht von vornherein zu erwarten ist, sollen die Gefangenen zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verpflichtet sein, d.h. sie müssen Vollzugsangebote annehmen, sich für bestimmte Fördermaßnahmen entscheiden und an den im Förderplan festgeschriebenen Fördermaßnahmen aktiv teilnehmen.

Der Vorschlag enthält einen Grundkatalog von Pflichten für die Gefangenen. Gleichzeitig gibt er den Vollzugsbehörden die notwendigen Befugnisse an die Hand, um diese Pflichten durchzusetzen.

Die Vollzugsbediensteten setzen den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gefangenen bewegen dürfen:

  • Die Gefangenen müssen den Entzug der Freiheit dulden. Entweichungen oder Entweichungsversuche werden disziplinarisch geahndet.

  • Genau wie bei einem Leben in Freiheit müssen die Gefangenen während der anstaltsintern festgelegten Arbeitszeit der ihnen zugewiesenen, bezahlten Aufgabe nachgehen.

  • Die Gefangenen bekommen Vorgaben zur Tageseinteilung in der Anstalt (Arbeitszeit, Freizeit, Ruhezeit), sie dürfen ihnen zugewiesene Bereiche nicht ohne Erlaubnis verlassen.

  • Sie müssen sich in der Vollzugsanstalt eingliedern und dürfen durch ihr Verhalten gegenüber Vollzugsbediensteten, Mitgefangenen und anderen Personen das geordnete Zusammenleben in der Anstalt nicht stören.

  • Sie haben ihre Hafträume und die ihnen überlassenen Sachen in Ordnung zu halten und schonend zu behandeln, und nur Sachen in Gewahrsam haben, die ihnen von der Vollzugsbehörde oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden.

  • Die Gefangenen werden gesundheitlich untersucht und müssen dann die notwendigen Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz unterstützen.

Weitere Pflichten können sich aus der Hausordnung ergeben oder durch Einzelweisung erfolgen. Das Ausmaß und der Umfang der Mitwirkungspflicht orientieren sich am einzelnen Gefangenen und daran, was er an Unterstützung braucht, um Eigenverantwortung zu entwickeln.

2. Ausgestaltung des Vollzuges

Um bestmögliche Rahmenbedingungen für ein künftig straffreies Leben der jungen Straftäter zu schaffen, sieht der Vorschlag des BMJ ausdrücklich folgendes vor:

  • Festlegung von qualitativen Mindeststandards für die Förderung der jungen Gefangenen unter sachlichen, personellen und organisatorischen Gesichtspunkten;

  • die Ausgestaltung des Vollzuges mit jugendspezifischen Inhalten, insbesondere den Vorrang von schulischer Bildung, beruflicher Qualifikation und arbeitspädagogischer Angebote vor Zuweisung von Arbeit;

  • Schul- und Ausbildungsplätze für mindestens zwei Drittel der Haftplätze;

  • 4 Stunden Besuch/Monat, 2x/Monat zusätzl. Langzeitbesuch für Kinder der Gefangenen;

  •  Einzelunterbringung bei Nacht;

  • Eigene Schulabteilungen;

 

  • Angemessene Ausstattung mit pädagogisch qualifiziertem Personal sowie Fortbildung und Supervision ;

  • Zusammenarbeit und Vernetzung mit fachbezogenen außervollzuglichen Einrichtungen auch zur Vorbereitung der Entlassung und Nachsorge;

  • die Möglichkeit von Sozialtherapie im Jugendstrafvollzug;

  • die Möglichkeit von Unterbringung in Wohngruppen mit bis zu 8 Gefangenen, um ein Leben in strukturierten Tagesabläufen und soziales Verhalten einzuüben;

  • Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenslagen und Bedürfnisse junger weiblicher Gefangener;

  • Nachsorge auch durch die Bewährungshilfe, die bereits während des Vollzuges bestellt wird u.v.m.

3. Rechtsweg gegen Maßnahmen im Vollzug

Die Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Anstaltsleitung sollen entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt werden. Bislang mussten sich die Gefangenen mit ihren Rechtsbeschwerden schriftlich an die räumlich oft weit entfernten Oberlandesgerichte wenden. Diese Hürden hat das Bundesverfassungsgericht als zu hoch erachtet. Nach dem heute vorgelegten Vorschlag können sich die Gefangenen künftig zunächst mit Beschwerden an den Anstaltsleiter wenden.

Kommt es dabei nicht zu einer Klärung, entscheidet über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung die Jugendkammer, in deren Bezirk die Jugendhaftanstalt liegt. Diese ist mit Richtern und Richterinnen besetzt, die in der Jugenderziehung erfahren sind.

Zwar ist eine mündliche Verhandlung nicht zwingend vorgesehen, ebenso wie im Erwachsenenvollzug die Strafvollstreckungskammer wird jedoch auch die Jugendkammer immer dann eine mündliche Anhörung der Jugendstrafgefangenen durchführen, wenn es sich einen persönlichen Eindruck vom Antragsteller verschaffen will oder dies zur Klärung des Sachverhalts erforderlich ist.

Quelle: BMJ - Pressemitteilung vom 07.06.06