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Strafzumessungsregel für „Kronzeugen"

Das Bundesjustizministerium schlägt vor, eine neue Strafzumessungsregel für sogenannte Kronzeugen einzuführen.

Bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beitragen, soll das Gericht die Strafe mildern oder ganz von Strafe absehen können.

Damit wird an frühere, aber auch im geltenden Recht verankerte Möglichkeiten angeknüpft, die Kooperationsbereitschaft von Straftätern zu honorieren. Bis 1999 galt das Kronzeugengesetz, das für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen und damit zusammenhängender Taten die Möglichkeit eröffnete, das Verfahren einzustellen, von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Das geltende Strafrecht kennt spezifische („kleine“) „Kronzeugenregelungen“ für bestimmte Delikte, nämlich bei der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB), der Geldwäsche (§ 261 StGB) und im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG). Praktisch bedeutsam ist vor allem § 31 BtMG, dessen Anwendung in den vergangenen Jahrzehnten gute Ermittlungserfolge bei der Aufklärung organisierter Rauschgiftkriminalität ermöglichte.

Das ausgelaufene Kronzeugengesetz hat sich nach Auffassung des Bundesjustizministeriums nicht bewährt und wurde deshalb nicht verlängert. Der nun vorgelegte Vorschlag für eine besondere Strafzumessungsvorschrift gründet auf einem neuen Ansatz. Der wesentliche Nachteil der ausgelaufenen Regelung liegt – genauso wie bei den so genannten „kleinen“ Kronzeugenregelungen – darin, dass sie jeweils nur für bestimmte Deliktsbereiche gelten. Damit fehlt ein Anreiz für potenzielle „Kronzeugen“, an der Verhinderung von Verbrechen mitzuwirken, die in einem anderen Deliktsbereich liegen.


Eckpunkte des Regelungsvorschlags:

Voraussetzungen: Der Täter einer Straftat offenbart sein Wissen über Tatsachen, deren Kenntnis geeignet ist, eine nicht nur der leichten Kriminalität zuzurechnende Straftat eines Anderen zu verhindern oder die Aufklärung einer solchen Tat eines Anderen wesentlich zu fördern (z. B. den Täter festzunehmen) oder die Aufklärung der eigenen Tat über den eigenen Beitrag hinaus wesentlich zu fördern.

Weitere Voraussetzung für eine Strafmilderung oder ein Absehen von Strafe ist, dass die Bedeutung dessen, was der „Kronzeuge“ zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten beiträgt, dies im Verhältnis zu seiner eigenen Tat rechtfertigt.

Folge: Das Gericht kann die Strafe mildern oder von Strafe absehen, hat jedoch folgende Einschränkungen zu beachten: Ist „lebenslänglich“ die ausschließlich angedrohte Strafe wie bei Mord darf es nur auf Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren (oder darüber) erkennen; von Strafe absehen darf es nur, wenn die Tat abstrakt nicht mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist und der Täter im konkreten Fall keine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder mehr verwirkt hat. Ein Absehen von Strafe wird in der Praxis nur unter besonderen Umständen in Frage kommen, z. B. wenn der Tatbeitrag des A gering ist und mit seiner Hilfe weitere Bankraube, die B und C bereits geplant hatten, verhindert werden können.

Ausgeschlossen ist die Anwendung der neuen Regelung, wenn der Kronzeuge sein Wissen erst offenbart, nachdem das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn beschlossen hat.

Einen besonders großen Anreiz zur Kooperation soll für Straftäter die neue Möglichkeit bieten, auch bei Verbrechen (also jedem Delikt, das mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist) von Strafe abzusehen. Die Staatsanwaltschaft kann in diesen Fällen mit Zustimmung des Gerichts das Verfahren gegen den Kronzeugen gemäß § 153b StPO einstellen. Jedoch bleibt bei Mord und anderen Straftaten, die (auch) mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, ein Absehen von Strafe generell ausgeschlossen (siehe oben). Im Übrigen kann im Einzelfall auch dann nicht von Strafe abgesehen werden, wenn der „Kronzeuge“ mit seiner konkreten Tat eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder mehr verwirkt hat.

Die derzeit existierenden spezifischen „Kronzeugenregelungen“ bleiben bestehen und gehen als speziellere Vorschriften der neuen allgemeinen Strafzumessungsregel vor.


Wesentliche Unterschiede und Vorzüge im Vergleich zum früheren Kronzeugengesetz:

Die vorgeschlagene Regelung ist eine allgemeine Strafzumessungsregel, d. h. sie ist grundsätzlich nicht auf bestimmte Delikte beschränkt. Die Strafverfolgungspraxis bemängelte an der früheren Kronzeugenregelung vor allem die enge Bindung an die Organisationsdelikte der §§ 129, 129a StGB (kriminelle / terroristische Vereinigung), da diese Delikte teilweise schwierig nachzuweisen sind. In der Praxis waren deshalb oft schwierige und langwierige Ermittlungen nötig, bevor feststand, dass man einem kooperationsbereiten Beschuldigten die Vergünstigungen aus der früheren Kronzeugenregelung in Aussicht stellen konnte.
Die Tat des „Kronzeugen“ und die Tat, auf die sich seine Präventions- oder Aufklärungshilfe bezieht, müssen nicht derselben Deliktsgruppe zuzuordnen sein. Im Unterschied zu bestehenden Regelungen wird kein konkreter Ermittlungserfolg verlangt, sondern es reicht aus, dass die Angaben des „Kronzeugen“ zur Präventions- oder Aufklärungshilfe „geeignet“ sind. Damit wird ein größerer Kooperationsanreiz geschaffen, denn der „Kronzeuge“ wird nicht mit dem Risiko eines Ermittlungserfolgs belastet.


Vorbeugung gegen Missbrauch


Gleichzeitig soll die vorgeschlagene Neuregelung Missbrauchsgefahren unterbinden. Dies geschieht vor allem durch die zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs (nur bis zum Eröffnungsbeschluss) und durch der Erhöhung der Strafrahmen der für falsche „Kronzeugenaussagen“ einschlägigen Straftatbestände (§§ 145d, 164 StGB). Da es keinerlei gesetzlichen Automatismus für eine Strafmilderung gibt, bleibt es zudem in jedem Fall der Entscheidung des Gerichts überlassen, nur wirklich stichhaltige Angaben des „Kronzeugen“ zu honorieren.

Durch eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs und begleitende Strafrahmenerhöhungen bei den für falsche „Kronzeugenaussagen“ einschlägigen Straftatbeständen wird etwaigem Missbrauch vorgebeugt bzw. eine angemessene Sanktionierung von Missbrauchsfällen ermöglicht:

Die Anwendung der neuen „Kronzeugenregelung“ wird nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den „Kronzeugen“ möglich sein. Nach diesem Zeitpunkt kann das Gericht die Angaben des Beschuldigten („Kronzeugen“) oft nur noch eingeschränkt überprüfen, ohne das Verfahren wesentlich zu verzögern. Spätere Angaben können allerdings im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung nach § 46 StGB berücksichtigt werden. Die Strafrahmen für das Vortäuschen einer Straftat gemäß § 145d StGB und die falsche Verdächtigung gemäß § 164 StGB werden für die Fälle angemessen erhöht, in denen der Kronzeuge falsche Angaben macht, um sich eine Vergünstigung nach der neuen „Kronzeugenregelung“ zu erschleichen.

Quelle: BMJ - Pressemitteilung vom 11.04.06