Sozialrecht -

Absicherung der Altersversorgung

Ein Staat ist grundsätzlich nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die Rechte auf Leistungen bei Alter aus Zusatzversorgungseinrichtungen selbst zu finanzieren.

Nach einer Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers müssen sich die Mitgliedstaaten u. a. vergewissern, dass die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers die Interessen der Arbeitnehmer und ehemaligen Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen zu schützen.

Frau Robins und 835 weitere Kläger sind ehemalige Arbeitnehmer der Gesellschaft ASW Limited, die im April 2003 in Konkurs geriet. Sie waren Mitglieder endgehaltsbezogener Altersversorgungssysteme, die von ASW finanziert wurden.

Die Altersversorgungssysteme wurden im Juli 2002 geschlossen und befinden sich in Liquidation. Nach von Aktuaren vorgenommenen Bewertungen werden die Aktiva nicht ausreichen, um die Ansprüche und Anwartschaften aller Mitglieder zu decken, so dass es zu einer Kürzung der Anwartschaften der nicht pensionierten Mitglieder kommen wird.

Nach den im Vereinigten Königreich geltenden Rechtsvorschriften werden die Kläger die Leistungen, auf die sie Anspruch hatten, nicht vollständig erhalten. Zwei der Kläger werden lediglich 20 % bzw. 49 % dieser Leistungen erhalten. Da die Kläger der Ansicht sind, dass die britischen Rechtsvorschriften ihnen nicht das durch die Richtlinie vorgeschriebene Schutzniveau verschafften, verklagten sie das Vereinigte Königreich auf Ersatz des entstandenen Schadens. Der High Court of Justice, bei dem dieser Rechtsstreit anhängig ist, legte dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften drei Fragen zur Vorabentscheidung vor, bei denen es erstens darum ging, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Ansprüche auf Leistungen bei Alter selbst zu finanzieren und ob diese Finanzierung vollständig sein muss, zweitens darum, ob die britischen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie vereinbar sind, und drittens um die Haftung eines Mitgliedstaats bei nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie.

Finanzierung der Leistungsansprüche durch die Mitgliedstaaten selbst

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, die Leistungsansprüche bei Alter selbst zu finanzieren. Soweit die Richtlinie allgemein bestimmt, dass sich die Mitgliedstaaten „vergewissern …, dass die notwendigen Maßnahmen … getroffen werden", lässt sie ihnen einen Ermessensspielraum hinsichtlich des Mechanismus, der für den einzuführenden Schutz zu schaffen ist. Ein Mitgliedstaat kann deshalb z. B. statt einer staatlichen Finanzierung eine Versicherungspflicht zu Lasten der Arbeitgeber oder die Schaffung einer Garantieeinrichtung vorsehen, deren Finanzierung er im Einzelnen festlegt.

Die Richtlinie kann außerdem nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass sie eine vollständige Absicherung der fraglichen Ansprüche verlangt. Da die Richtlinie lediglich allgemein den Erlass der notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Betroffenen vorschreibt, räumt sie den Mitgliedstaaten insoweit einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich des Schutzniveaus ein, der eine Pflicht zur vollständigen Absicherung ausschließt.

Vereinbarkeit der britischen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass im Jahr 2004 nach vom Vereinigten Königreich mitgeteilten Daten ungefähr 65 000 Mitglieder von Altersversorgungssystemen Verluste von mehr als 20 % im Verhältnis zu den erwarteten Leistungen erlitten hatten und ungefähr 35 000 von ihnen Verluste erlitten hatten, die 50 % der Leistungen überstiegen.

Zwar enthält keine Vorschrift der Richtlinie Anhaltspunkte, anhand deren sich das genaue Mindestniveau bestimmen lässt, das für den Schutz verlangt wird; jedoch kann ein System, das in bestimmten Situationen auf eine Leistungsgarantie hinausläuft, die auf 20 % oder 49 % der in Aussicht gestellten Ansprüche, also auf weniger als deren Hälfte begrenzt ist, nicht als der Definition des in der Richtlinie verwendeten Begriffs „Schutz" entsprechend angesehen werden. Folglich ist ein Schutzsystem wie das britische mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar.

Haftung des Mitgliedstaats bei nicht ordnungsgemäßer Umsetzung

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Haftung eines Mitgliedstaats wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinie in Anbetracht ihres allgemein gehaltenen Wortlauts und des den Mitgliedstaaten eingeräumten weiten Ermessensspielraums von der Feststellung abhängt, dass dieser Staat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt waren, offenkundig und erheblich überschritten hat.

Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das nationale Gericht alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehörten in der vorliegenden Rechtssache der Mangel an Klarheit und Genauigkeit, den die Richtlinie hinsichtlich des geforderten Schutzniveaus aufweist, und ein Bericht der Kommission aus dem Jahr 1995 über die Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten, in dem die Kommission zu dem Ergebnis gelangt war, dass „[m]it den [vom Vereinigten Königreich erlassenen] Bestimmungen … [der Richtlinie] Genüge getan werden [dürfte]", wodurch das Vereinigte Königreich in seiner Auffassung hinsichtlich der Umsetzung der Richtlinie bestärkt worden sein könnte.

Quelle: EUGH - Pressemitteilung vom 25.01.07