Sozialrecht -

Kontoabfragen durch Sozialbehörden teilweise verfassungswidrig

Kontoabfragen in sozialrechtlichen Angelegenheiten nach § 93 Abs. 8 AO sind vorerst allein zu dem Zweck zulässig, die Leistungsberechtigung für die im Anwendungserlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 10.03.2005 genannten Sozialleistungen zu überprüfen.

§ 93 Abs. 8 AO, der die Erhebung von Kontostammdaten in sozialrechtlichen Angelegenheiten regelt, leidet an einem Bestimmtheitsmangel. Die Norm legt den Kreis der Behörden, die ein Ersuchen zum Abruf von Kontostammdaten stellen können, und die Aufgaben, denen solche Ersuchen dienen sollen, nicht hinreichend bestimmt fest. Im Übrigen aber ist die Eingriffsermächtigung des § 93 Abs. 8 AO verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere genügt sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden unter anderem eines Kreditinstituts, eines Rechtsanwalts, einer Bezieherin von Wohngeld sowie eines Empfängers von Sozialhilfe waren § 24 c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Kreditwesengesetz sowie § 93 Abs. 7 und 8 Abgabenordnung. Diese Normen ermächtigen die für die Leistung der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen sowie die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden und Gerichte, die Finanzbehörden und die Sozialbehörden zur automatisierten Abfrage von Kontostammdaten der Verfügungsberechtigten, wie z.B. Name, Geburtsdatum, Kontonummern und Depots. Kontenstände und -bewegungen können auf diese Weise nicht abgefragt werden.

Erfolgreich sind allein die Verfassungsbeschwerden der beiden Sozialleistungsempfänger, soweit sie sich gegen § 93 Abs. 8 AO richten.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I.
§ 93 Abs. 8 AO verletzt die beiden Beschwerdeführer, die Sozialleistungen empfangen, in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. § 24 c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG und § 93 Abs. 7 AO sind dagegen mit dem Grundgesetz vereinbar.

1.
Die in den angegriffenen Normen geregelten Datenabrufe greifen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Stellt sich z.B. anlässlich einer Kontenabfrage heraus, dass der Betroffene über bislang unbekannte Konten oder Depots verfügt, kann die jeweils handelnde Behörde - gegebenenfalls auf der Grundlage anderer Ermächtigungsnormen - Informationen über deren Inhalt erheben. 

2.
Regelungen, die zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ermächtigen, müssen Anlass, Zweck und Grenzen präzise festlegen. Diesem Gebot der Normenklarheit und -bestimmtheit wird § 93 Abs. 8 AO nicht gerecht. Die Norm legt den Kreis der Behörden, die zu Abrufersuchen berechtigt sein sollen, und die Aufgaben, denen solche Ersuchen dienen sollen, nicht präzise genug fest.

Mit der  Norm sollen insbesondere der Missbrauch von Sozialleistungen und die Nichtabführung von Sozialabgaben bekämpft werden. Die auf solche Bereiche bezogenen behördlichen Ermittlungen lassen sich nach Anlass und Gegenstand typisieren und auf bestimmte normative Zusammenhänge zuschneiden. So wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die Gesetze, zu deren Vollzug ein Kontenabzug zulässig sein soll, in § 93 Abs. 8 AO enumerativ aufzuzählen.

§ 24 c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG und § 93 Abs. 7 AO hingegen genügen dem Bestimmtheitsgebot. Die Normen benennen die zur Informationserhebung berechtigte Behörde sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen des Kontenabrufs hinreichend präzise. Zudem wird deutlich, welche Informationen erhoben werden dürfen.

3.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Vorschriften genügen auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Normen dienen Gemeinwohlbelangen von erheblicher Bedeutung (wirksame Strafverfolgung, Sicherung der Erhebung von Sozialabgaben und die Bekämpfung des Missbrauchs von Sozialleistungen). Zu diesen Gemeinwohlbelangen stehen die durch die Regelungen ermöglichten Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht außer Verhältnis. Die durch den Kontenabruf erlangten Informationen - die bloßen Kontostammdaten - haben bei isolierter Betrachtung keine besondere Persönlichkeitsrelevanz, zumal die Behörde über die Kontoinhalte nichts erfährt.

II.
Die in den angegriffenen Normen vorgesehenen Datenabrufe verletzen dagegen weder das Recht des Kreditinstituts auf informationelle Selbstbestimmung, noch die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts.

III.
Dem Gesetzgeber steht für eine verfassungsgemäße Neuregelung eine Frist bis zum 31.05.2008 zur Verfügung. Bis dahin bleibt die Regelung mit der Maßgabe anwendbar, dass Abrufersuchen nach ihr allein zu dem Zweck zulässig sind, die Leistungsberechtigung für die im Anwendungserlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 10.03.2005 genannten Sozialleistungen zu überprüfen.

Quelle: BVerfG - Pressemitteilung vom 16.07.07