Sozialrecht -

Rentenalter für Transsexuelle

Einer Transsexuellen, die sich vom Mann zur Frau umoperieren lassen hat, muss das für Frauen maßgebliche Renteneintrittalter zugestanden werden.

Andernfalls stellt dies eine Diskriminierung dar, die gegen eine Gemeinschaftsrichtlinie über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit verstößt

Sachverhalt:

Nach den Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs, die vor April 2005 in Kraft waren, ist das Geschlecht einer Person hinsichtlich der Sozialversicherungsregelungen das in ihrer Geburtsurkunde angegebene. Eine Geburtsurkunde kann nur zur Berichtigung von Schreibfehlern oder faktischen Irrtümern geändert werden. Transsexuelle, die sich einer operativen Geschlechtsumwandlung unterzogen haben, können daher das in ihrer Geburtsurkunde vermerkte Geschlecht nicht ändern lassen.

Nach dem am 4. April 2005 in Kraft getretene Gesetz von 2004 über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit (Gender Recognition Act 2004) kann Transsexuellen unter bestimmten Voraussetzungen eine Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit (Gender Recognition Certificat) erteilt werden. Die Erteilung einer solchen Bescheinigung ändert die geschlechtliche Identität der betreffenden Person für fast alle amtlichen Belange, hat aber keine Rückwirkung.

Im Vereinigten Königreich können Männer mit dem 65. Lebensjahr und Frauen mit dem 60. Lebensjahr eine Ruhestandsrente erhalten.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wurde bei ihrer Geburt im Jahr 1942 als männlich registriert. Nachdem bei ihr eine Geschlechtsdysphorie diagnostiziert worden war, unterzog sie sich im Mai 2001 einer operativen Geschlechtsumwandlung. Im Februar 2002 beantragte sie die Gewährung einer Ruhestandsrente ab ihrem 60. Geburtstag.

Dieser Antrag wurde vom Secretary of State for Work and Pensions mit der Begründung abgelehnt, dass er mehr als vier Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres der Betroffenen gestellt worden sei. Die Klägerin focht diese Entscheidung an, und der Social Security Commissioner, der mit der Sache aufgrund eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Social Security Appeal Tribunal befasst wurde, hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob eine solche Weigerung gegen die Gemeinschaftsrichtlinie über die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit verstößt.


Entscheidung:

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass das Recht, nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden, nach seiner ständigen Rechtsprechung eines der Grundrechte des Menschen darstellt, deren Einhaltung er zu sichern hat. Der Anwendungsbereich der Richtlinie kann daher nicht auf Diskriminierungen beschränkt werden, die sich aus der Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Geschlecht ergeben. Denn die Richtlinie hat auch für Diskriminierungen zu gelten, die ihre Ursache in einer Geschlechtsumwandlung des Betroffenen haben.

Die Ungleichbehandlung in der vorliegenden Rechtssache beruht darauf, dass es der Klägerin nicht möglich ist, die Anerkennung der durch eine Operation erworbenen neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erlangen. Anders als die Frauen, deren Geschlechtszugehörigkeit nicht das Ergebnis einer solchen Operation ist und die mit 60 Jahren eine Ruhestandsrente erhalten können, kann die Klägerin eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf diese Rente, nämlich die in Bezug auf das Rentenalter, nicht erfüllen. Da diese Ungleichbehandlung ihren Ursprung in der Geschlechtsumwandlung hat, ist sie als eine durch die Richtlinie verbotene Diskriminierung anzusehen.

Der Gerichtshof weist das Argument des Vereinigten Königreichs zurück, dass diese Situation unter eine in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme falle, nach der es einem Mitgliedstaat erlaubt sei, unterschiedliche Rentenalter für Männer und Frauen festzulegen. Er stellt fest, dass diese Ausnahme, die eng auszulegen ist, nicht die in der vorliegenden Rechtssache streitige Frage betrifft.

Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie Rechtsvorschriften entgegensteht, die einer Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau unterzogen hat, die Gewährung einer Ruhestandsrente versagen, weil sie noch nicht das 65. Lebensjahr erreicht hat, während diese Person mit 60 Jahren Anspruch auf eine solche Rente gehabt hätte, wenn sie nach dem nationalen Recht als Frau anzusehen gewesen wäre.

Quelle: EUGH - Pressemitteilung vom 27.04.06