Verkehrsrecht -

Vollstreckung von Bußgeldern und Verkehrssanktionen in Europa

Der EU-Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Vollstreckung von Geldsanktionen zwischen den Mitgliedstaaten der EU.

Rechtskräftige Entscheidungen über Verkehrsordnungswidrigkeiten ausländischer Gerichte oder Behörden können in Deutschland derzeit grundsätzlich nicht vollstreckt werden. Dies soll sich jedoch nach dem Willen des europäischen Verordnungsgebers zukünftig ändern. Mit der endgültigen Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses aus dem Jahre 2005 in allen Mitgliedsstaaten soll eine grenzüberschreitende Vollstreckung EU-weit möglich werden.

1. Derzeitige Rechtslage

Bisher konnten und können rechtskräftige ausländische Entscheidungen zu Verkehrsordnungswidrigkeiten in Deutschland weder von den ausländischen noch von den deutschen Behörden vollstreckt werden. Eine Ausnahme hierzu bilden lediglich rechtskräftige Entscheidungen aus Österreich.

Aufgrund eines am 01.10.1990 in Kraft getretenen Staatsvertrags vom 31.05.1988 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen, werden Geldsanktionen aus Straßenverkehrszuwiderhandlungen  bisher grenzüberschreitend wechselseitig nur in diesen beiden Staaten vollstreckt. Ab Überschreiten der festgesetzten Bagatellgrenze von 25,00 € werden Geldbußen eingetrieben und eingenommene Beträge an die jeweils ersuchende Behörde in Österreich bzw. Deutschland überwiesen. Vollstreckungsfähig sind in Deutschland nur die öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, nicht jedoch die in den österreichischen Verwaltungsstrafbescheiden gleichzeitig angedrohten Ersatzfreiheitsstrafen.

Das bisher nur von den Niederlanden und Deutschland im Jahre 1997 ratifizierte Europäische Übereinkommen über die Vollstreckungshilfe in Strafsachen aus dem Jahre 1991 ist zwar zwischen den beiden genannten Staaten in Kraft getreten und findet grundsätzlich auch Anwendung, läuft aber in der Praxis hinsichtlich sämtlicher Verkehrszuwiderhandlungen ins Leere, da von der Möglichkeit zur Geldbußenvollstreckung ab einer von Deutschland vorbehaltenen Bagatellgrenze von 200,00 € nach bisherigen Erkenntnissen kein konsequenter Gebrauch gemacht wird.

Um eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in polizeilicher und justizieller Hinsicht zu ermöglichen, wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz am 27.04.1999 der deutsch-schweizerische Polizeivertrag geschlossen. Dieser sieht unter anderem auch die Vollstreckungshilfe bei der Beitreibung von Geldbußen aus rechtskräftigen Entscheidungen in Verkehrsordnungswidrigkeiten vor. Gleichwohl wurden diejenigen Regelungen des Vertrags, die sich mit straßenverkehrsrechtlichen Verstößen befassen, nicht bei Inkrafttreten des Vertrags am 01.03.2002 miterfasst. Dies könnte sich jedoch mit Inkrafttreten des EU-Rahmenbeschlusses bzw. mit dessen Umsetzung in das deutsche nationale Recht ändern. Die zwischen den Staaten vereinbarte Bagatellgrenze für die Vollstreckbarkeit der verhängten Sanktion beträgt mindestens 40,00 € bzw. 70,00 Schweizer Franken. Anders als bei dem deutsch-österreichischen Abkommen sollen die Erlöse aus den Vollstreckungsmaßnahmen jedoch nicht der Behörde des Entscheidungsstaats überwiesen werden, sondern die Einnahmen sollen der vollstreckenden Behörde im Wohnsitzland des Täters direkt zufließen.

Das bisher aus formalrechtlichen Gründen gescheiterte und umstrittene Übereinkommen über die Zusammenarbeit in Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften und bei der Vollstreckung von dafür verhängten Geldbußen und Geldstrafen vom 28.04.1999 - kurz: das Schengener Übereinkommen über Geldbußenvollstreckung - wird aufgrund des aktuellen EU-Rahmenbeschlusses keine Bedeutung mehr erlangen.

Aus rechtskräftigen ausländischen Entscheidungen über Verkehrsordnungswidrigkeiten kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt grundsätzlich nur - mit Ausnahme von Österreich (vgl. oben) - im Tatortland vollstreckt werden. Die bisher mit ausländischen Staaten bestehenden Rechtshilfevereinbarungen beinhalten - soweit sie bei Verkehrsordnungswidrigkeiten zur Anwendung gelangen - nur Amtshilfe in Form der Hilfe der inländischen Behörden bei der Zustellung von Entscheidungen, Ladungen und dergleichen. Die Vornahme von Vollstreckungshandlungen ist hiervon nicht umfasst. Vollstreckungshilfe wird daher von deutschen Behörden nicht gewährt.

Soweit deutsche Autofahrer bzw. Fahrzeughalter nach Auslandsreisen mit „Bußgeldbescheid“ betitelte Zahlungsaufforderungen von Rechtsanwälten oder Inkassounternehmen erhalten und bei deren Ignorieren und der Nichtzahlung der Geldbuße mit der Einleitung gerichtlicher Schritte gedroht wird, liegt diesem Vorgehen keine rechtliche Basis zugrunde. Da diese beizutreibenden Forderungen zumeist öffentlich-rechtlichen Charakter haben, ist eine Vollstreckung in Deutschland nicht möglich. Dies gilt auch für den Fall, dass ein gerichtliches Mahnverfahren betrieben werden sollte, denn die deutsche Gerichtsbarkeit ist in diesen Fällen nicht zuständig. Derartige Mahnverfahren bzw. Klagen müssen mangels funktionaler Zuständigkeit von den deutschen Gerichten zurückgewiesen werden.

2. Künftige Rechtslage – Der EU-Rahmenbeschluss

Nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers werden sich die Regelungen hinsichtlich der Vollstreckbarkeit von ausländischen Bußgeldern jedoch grundlegend ändern. In naher Zukunft wird es so sein, dass rechtskräftige Entscheidung über Verkehrsverstöße im EU-Ausland im Heimatland verfolgt werden können!

Die grundsätzlichen Bedingungen einer derartigen Vollstreckungsmöglichkeit regelt der bereits mehrfach erwähnte EU-Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Geldsanktionen 2005/214/JI vom 24.02.2005, der bereits am 22.03.2005 mit der Veröffentlichung im EU Amtsblatt (L 76/16) in Kraft trat.

Der auf die Initiative Großbritanniens, Frankreichs und Schwedens zurückzuführende EU-Rahmenbeschluss 2005/214/JI regelt die gegenseitige Anerkennung von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zahlung von Geldstrafen und Geldbußen durch eine natürliche oder juristische Person für eine Vielzahl von schweren Straftaten (wie z.B. schwere Körperverletzung, Betrug, Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen, Sachbeschädigung und Diebstahl) und Verwaltungsübertretungen (Ordnungswidrigkeiten).

Hierunter fallen u.a. sämtliche Verstöße gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften, einschließlich der Verstöße gegen Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten des Gefahrgutrechts. Erfasst werden somit alle Verkehrsdelikte, von Park- und Geschwindigkeitsverstößen bis hin zum Unerlaubten Entfernen vom Unfallort.

Zu seiner Wirksamkeit bedarf der Rahmenbeschluss allerdings zunächst noch der Umsetzung in das nationale Recht der jeweiligen Mitgliedsstaaten. Zwar endete die Umsetzungsfrist bereits am 22.03.2007, diese wurde jedoch nur von einer Hand voll Staaten tatsächlich eingehalten. In der weit überwiegenden Zahl der Mitgliedsstaaten wird derzeit noch an den entsprechenden nationalen Gesetzen gearbeitet.

Voraussichtlich Anfang 2009 wird der EU-Rahmenbeschluss zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Geldsanktionen auch in Deutschland umgesetzt werden können. Ein konkreter Gesetzesentwurf der Bundesregierung liegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch nicht vor und ist erst Ende 2008 zu erwarten. Die Umsetzung der Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses erfolgt in Deutschland voraussichtlich im Gesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) oder im Europäischen Geldsanktionsgesetz.

3. Einzelne Vorschriften aus dem EU-Rahmenbeschluss

Art. 1 des Rahmenbeschlusses sieht die gegenseitige Vollstreckung vor von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zahlung einer Geldbuße oder Geldstrafe

  • eines Gerichts oder einer nicht gerichtlichen Behörde in Bezug auf eine nach dessen Recht strafbare Handlung oder
  • einer nicht gerichtlichen Behörde in Bezug auf Handlungen, die nach dem innerstaatlichem Recht des Entscheidungsstaats als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften geahndet wurden,

soweit eine Geldsanktion von mindestens 70,00 € verhängt wurde. Voraussetzung für die Vollstreckung von Entscheidungen nicht staatlicher Behörden ist allerdings, dass die betreffende Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

Um eine grenzüberschreitende Vollstreckung im Heimatland des Täters einzuleiten, übermittelt die zuständige Behörde des Entscheidungsstaats die zu vollstreckende Entscheidung oder eine beglaubigte Abschrift der Entscheidung zusammen mit einer speziellen Bescheinigung an die zuständige Behörde des Vollsteckungsstaates (vgl. Art. 4 Rahmenbeschluss).

Die Bescheinigung, deren Form und Inhalt sich aus dem im Anhang des Rahmenbeschlusses abgedruckten Standardformulars ergibt, muss u.a. neben Angaben

  • zu den beteiligten Behörden,
  • zum Tatvorwurf,
  • zur Person des Täters und
  • zu der zu vollstreckenden Entscheidung,

auch eine Bestätigung u.a. darüber enthalten, dass die betroffene Person im Falle eines schriftlichen Verfahrens „gemäß den Rechtsvorschriften des Entscheidungsstaats persönlich oder über einen nach innerstaatlichem Recht befugten Vertreter von ihrem Recht, die Entscheidung anzufechten, und von den Fristen, innerhalb deren ein Rechtsmittel einzulegen ist, unterrichtet worden ist“ (vgl. das Standardformular der Bescheinigung im Anhang des Rahmenbeschlusses). Die Bescheinigung wird in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Vollstreckungsstaates übersetzt (vgl. Art. 16 Rahmenbeschluss).

Sämtliche in Art. 5 des Rahmenbeschlusses aufgeführten Straftaten und Verwaltungsübertretungen (Ordnungswidrigkeiten) führen – wenn sie im Entscheidungsstaat strafbar sind und so wie sie in dessen Recht definiert sind – gemäß dem EU-Rahmenbeschluss auch ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen.

Nach Art. 6 des Rahmenbeschlusses erkennen die zuständigen Behörden im Vollstreckungsstaat die gemäß Art. 4 Rahmenbeschluss übermittelten Entscheidungen ohne jede weitere Formalität an und treffen unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu deren Vollstreckung. Dies gilt nur dann nicht, wenn die zuständige Vollstreckungsbehörde beschließt, einen in Art. 7 Rahmenbeschluss niedergelegten Grund für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung geltend zu machen.

Die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaates können die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung nach Art. 7 Rahmenbeschluss dann verweigern, wenn die zwingend erforderliche Bescheinigung nach Art. 4 Rahmenbeschluss nicht vorliegt, unvollständig ist oder der zugrunde liegenden Entscheidung offensichtlich nicht entspricht. Ferner kann die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung u.a. dann verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass die Vollstreckung der Entscheidung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsstaats verjährt ist und die Entscheidung sich auf eine Handlung bezieht, für die dieser Staat nach seinem innerstaatlichen Recht zuständig ist.

Darüber hinaus ist eine Versagung auch in den Fällen möglich, in denen das sich aus der Bescheinigung ergebende, zwingend einzuhaltende Verfahren nicht ordnungsgemäß eingehalten wurde. Schließlich liegt ein Versagungsgrund auch dann vor, wenn die verhängte Geldstrafe oder Geldbuße unterhalb der Bagatellgrenze von 70,00 € oder dem Gegenwert dieses Betrages liegt.

Die Vollstreckung einer Entscheidung erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsstaats in derselben Weise wie bei Geldstrafen oder Geldbußen, die von diesem Staat selbst verhängt werden.

Wie auch im deutsch-schweizerischen Polizeivertrag geregelt, fließen sämtliche Erlöse aus der Vollstreckung von Entscheidungen nach dem EU-Rahmenbeschluss dem Vollstreckungsstaat zu, es sei denn, es wurden zwischen dem Entscheidungsstaat und dem Vollstreckungsstaat anders lautende Vereinbarung getroffen (vgl. Art. 13 Rahmenbeschluss).

4. Empfehlung der Verkehrsexperten des 46. Verkehrsgerichtstags in Goslar

Die Verkehrsexperten des Arbeitskreises III „Verkehrsanktionen in der EU" des 46. Verkehrsgerichtstages in Goslar im Januar diesen Jahres beschäftigten sich ausführlich mit dem EU-Rahmenbeschluss zur grenzüberschreitenden Vollstreckung von Geldsanktionen.

„Zwar keimte in der Debatte wie schon in den Vorjahren wieder die Forderung nach einer Vereinheitlichung der Sanktionen auf. Schlussendlich rang man sich aber dazu durch, den Rahmenbeschluss im Ergebnis zu begrüßen. Allerdings setzten sich die Stimmen durch, die zumindest rechtstaatliche Mindeststandards eingehalten sehen wollen. Neben der Beachtung des Grundgesetzes mahnte der Arbeitskreis an, weder eine Rückwirkung noch die Ausdehnung der Halterhaftung in das Umsetzungsgesetz aufzunehmen.“, berichtete Friedrich Demandt vom Verkehrsgerichtstag.

Die Empfehlung der dreitägigen Fachtagung finden Sie als pdf-Datei im Anhang dieses Beitrags. Sie lassen erkennen, dass die Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses insgesamt nicht unproblematisch und teilweise mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nur schwer vereinbar sind. In der Praxis und Durchführung ist mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen.

Es bleibt daher abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber reagieren und wie er diese Vorgaben in verfassungskonformer Weise in ein nationales Gesetz umsetzen wird.

Weitere Informationen im Internet zu diesem Thema

Quelle: Rechtsanwalt Jörg Bister - Beitrag vom 14.04.08