Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Schadensersatz nach rechtswidrigem Streik

Ein Streik, dessen Ziel auf die Durchsetzung von Forderungen gerichtet ist, welche die vereinbarte Friedenspflicht verletzen, ist rechtswidrig. Er verpflichtet bei schuldhaftem Handeln zum Schadensersatz gegenüber dem betroffenen Streikgegner. Die Gewerkschaft kann sich in diesem Fall nicht auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten berufen. Das hat das BAG entschieden.

Sachverhalt

Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) vertritt die Interessen des Flugsicherungspersonals. Sie hatte mit der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens – der Fraport AG (Fraport) ¬einen Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Vorfeldkontrolle und Verkehrszentrale abgeschlossen. Nach Teilkündigung des Tarifvertrags durch die GdF zum 31.12.2011 verhandelten die Parteien über einen neuen Tarifvertrag. Das Schlichtungsverfahren endete mit einer Empfehlung des Schlichters, die auch Ergänzungen zu dem noch ungekündigten Teil des Tarifvertrags enthielt. Am 15.02.2012 kündigte die GdF gegenüber Fraport einen Streikaufruf an, dessen Ziel die Durchsetzung der gesamten Schlichterempfehlung sei. Der Streik endete aufgrund einer gerichtlichen Unterlassungsverfügung am 29.02.2012.

Die Fraport sowie zwei Fluggesellschaften nahmen die GdF mit einer Klage auf Schadensersatz wegen des Streiks in Anspruch. Das ArbG Frankfurt a.M. hat die Klage mit Urteil vom 25.03.2013 (9 Ca 5558/12) abgewiesen. Das LAG Hessen hat die dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 05.12.2013 (9 Sa 592/13) zurückgewiesen. Das BAG hat die Revisionen der beiden Fluggesellschafen zurückgewiesen, der Revision der Fraport AG hingegen mit Urteil vom 26.07.2016 (1 AZR 160/14) stattgegeben und die Sache zur Feststellung der streikbedingten Schäden an das LAG Frankfurt a.M. zurückverwiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Streik diente der Durchsetzung der gesamten Schlichterempfehlung. Er erstreckte sich damit auf Bestimmungen des geltenden Tarifvertrags, die nicht gekündigt waren. Hinsichtlich dieser ungekündigten Tarifregelungen galt nach wie vor die Friedenspflicht. Deshalb durfte die GdF nicht versuchen, eine Änderung mit Mitteln des Arbeitskampfes durchzusetzen. Der von der GdF getragene, als einheitliche und unteilbare Handlung zu beurteilende Streik war rechtswidrig.

Der Einwand der Gewerkschaft, sie hätte denselben Streik auch ohne die der Friedenspflicht unterliegenden Forderungen geführt (sog. rechtmäßiges Alternativverhalten), ist unbeachtlich. Es hätte sich wegen eines anderen Kampfziels nicht um diesen, sondern um einen anderen Streik gehandelt. Weil die GdF schuldhaft gehandelt hat, ist sie Fraport gegenüber aus Delikt und wegen Vertragsverletzung zum Ersatz von streikbedingten Schäden verpflichtet.

Die Fluggesellschaften haben als Drittbetroffene keinen Schadensersatzanspruch. Insoweit folgt das BAG den Begründungen aus den Urteilen vom 25.08.2015 (1 AZR 875/13; 1 AZR 754/13).

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG bestätigt seine Rechtsprechung zu Schadensersatzansprüchen von Vertragspartnern eines bestreikten Arbeitgebers. Der Streik stellt keinen relevanten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Drittbetroffener – hier der Fluggesellschaften – dar. Diese sind auch nicht in den Schutzbereich des Tarifvertrags und der Friedenspflicht einbezogen. Mit anderen Worten: Der Tarifvertrag ist kein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – außer im Fall eines Verbandstarifvertrags für die Mitglieder des tarifschließenden Verbands.

Im Übrigen gilt: „Ein verdorbenes Ei verdirbt den ganzen Brei“ (auch „Rühreitheorie“ genannt). Das BAG postuliert die Unteilbarkeit des Streiks, in deren Folge die Rechtswidrigkeit auch nur eines Streikziels den gewerkschaftsgetragenen Streik insgesamt rechtswidrig macht. Ein rechtswidriger Streik kann Schadensersatzansprüche der bestreikten Unternehmen gegen die Gewerkschaft begründen.

Das LAG Hessen bejahte die Rechtswidrigkeit des Streiks und lehnte Schadensersatzansprüche unter dem Aspekt des rechtmäßigen Alternativverhaltens ab, Diese Rechtsfigur hebt die Kausalität eines Verhaltens für einen Schaden auf. Das BAG verneint die Möglichkeit der Gewerkschaft, sich auf rechtmäßiges Alternativverhalten zu berufen. Ein anderes Streikziel – und sei es auch nur in Form abgeschwächter Forderungen – ändert nicht einen Streik, sondern stellt einen völlig anderen Streik dar. Die Streikforderungen der Gewerkschaft sind damit identitätsstiftend für den Streik. Damit ist die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten ausgeschlossen.

Praxishinweis

Im Grundsatz stellt die Entscheidung eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung zu gewerkschaftsgetragenen Streiks sogenannter „Funktionseliten“ dar. Deren Grundrecht zur Gestaltung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen auch im Wege des Arbeitskampfs wird bestätigt. Selbst wenn die Infrastruktur für den Flugverkehr zum Bereich der Daseinsvorsorge gezählt wird, wird das Streikrecht der Arbeitnehmer bei Sicherstellung von Notdiensten in angemessenem Umfang nicht unter Verhältnismäßigkeitsaspekten eingeschränkt. Die Friedenspflicht, die aus dem Tarifvertrag als Friedensordnung abgeleitet wird, entfaltet keine Schutzwirkung für Dritte.

Die neue grundsätzliche Entscheidung des BAG liegt darin, Tatbestandsmerkmale eines Streiks zu definieren. Die Streikziele sind notwendige Bestandteile eines Streiks. Deren Änderung ändert die Identität eines Streiks. Es ist nicht ein Streik mit geänderten Zielen, sondern ein anderer Streik. Damit rettet im Falle eines rechtswidrigen Streiks der Vortrag der der Gewerkschaft, sie hätte auch einen rechtmäßigen Streik führen können, nicht vor Schadensersatzansprüchen.

BAG, Urt. v. 26.07.2016 - 1 AZR 160/14

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber