Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Schadensersatz wegen nicht erhöhter Arbeitszeit?

Der Anspruch eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers, seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zu verlängern, setzt einen freien Arbeitsplatz voraus. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bestehender Verträge erhöht. Das hat das BAG entschieden. Für eine Benachteiligung gemäß § 1 AGG kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend sein.

Sachverhalt

Ein schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 ist als Kurier bei einem Transport-Unternehmen tätig. Die vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 27,5 Stunden. Dieser Kurier und weitere 15 teilzeitbeschäftigte Kuriere hatten dem Unternehmen (mehrfach) den Wunsch nach einer Verlängerung ihrer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt.

Im Juni 2013 verteilte das Unternehmen ein Stundenvolumen von insgesamt 66,5 Stunden wöchentlich unbefristet an 14 teilzeitbeschäftigte Kuriere und schloss mit diesen entsprechende Änderungsverträge ab. Nur die Wünsche des schwerbehinderten Kuriers und eines jüngst an den Standort gewechselt Kuriers wurden nicht berücksichtigt.

Der schwerbehinderte Kurier hat Klage erhoben, die auf die Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit und entsprechende Vertragsänderung gerichtet war. Das ArbG Frankfurt/Main hat die Klage mit Urteil vom 29.01.2014 (14 Ca 6332/13) abgewiesen.

In der Berufungsinstanz hat er seine Klage erweitert und zusätzlich hilfsweise einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der ihm entgangenen Vergütung geltend gemacht, weil das Unternehmen ihn bei der Vergabe der Stundenerhöhungen wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Das LAG Hessen hat dem Kläger auf die Berufung mit Urteil vom 25.09.2015 (18 Sa 520/14) Schadensersatz in Höhe des ihm entgangenen Verdienstes zugesprochen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Auf die (zugelassene) Revision der Beklagten hat das BAG mit Urteil vom 26.01.2017(8 AZR 736/15) das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Das LAG hat der Klage mit der Begründung stattgeben, es lägen Indizien i.S.v. § 22 AGG vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen. Die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt. Damit hat das LAG verkannt, dass die Vermutung einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes nur besteht, wenn Indizien vorliegen, die mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war. Die vom LAG angenommene bloße „Möglichkeit“ einer Ursächlichkeit ist nicht ausreicht. Aufgrund der bislang vom LAG getroffenen Feststellungen konnte der Senat den Rechtsstreit allerdings nicht abschließend entscheiden.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das BAG bestätigt seine Rechtsauffassung zu § 9 TzBfG. Der Anspruch eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers auf Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit setzt voraus, dass ein freier Arbeitsplatz besteht. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bestehender Verträge erhöht. Der Arbeitgeber wird durch § 9 TzBfG nicht verpflichtet, das gestiegene Arbeitszeitvolumen anteilig auf alle interessierten Teilzeitbeschäftigten zu verteilen (vgl. BAG, Urt. v. 13.02.2007, 9 AZR 575/05).

Darüber hinaus betont das BAG noch einmal den Grad der Gewissheit, der für die Begründung der Vermutungswirkung für den Kausalzusammenhang zwischen bewiesenen Indiztatsachen und einer Benachteiligung wegen eines Merkmals des § 1 AGG erforderlich ist. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt (vgl. BAG, Urt. v. 26.06.2014, 8 AZR 547/13).

Die freie Überzeugung des Tatsachengerichts unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes des § 22 AGG muss sich auf die tatsächliche Kausalität zwischen dem Merkmal nach § 1 AGG (hier: Behinderung des Arbeitnehmers) und der Benachteiligung beziehen. Nicht ausreichend ist die Überzeugung des Tatsachengerichts von der bloßen Möglichkeit dieser Kausalität. Das Tatsachengericht hätte also davon überzeugt sein müssen, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist (!), nicht nur, dass er wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sein kann.

Praxishinweis

Ausschlaggebend für die Entscheidung des BAG war wohl ausschließlich die sprachliche Fassung des Berufungsurteils. Dieses hat in einem Obersatz angenommen, der Kläger habe „ausreichende Indizien nachgewiesen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt worden sein kann“.

Das BAG kam nicht zu einer anderen Beurteilung, weil das Berufungsgericht im Rahmen der Subsumtion argumentierte, „die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde“ werde durch eine Reihe von Indizien gestützt, und die Gesamtbetrachtung der Umstände die Vermutung rechtfertige, „dass die Behinderung des Klägers kausal dafür war, dass er bei der Vergabe von Aufstockungen benachteiligt wurde“.

Das Revisionsverfahren wäre anders ausgegangen, wenn der Obersatz anders formuliert worden wäre, nämlich dass der Kläger „ausreichende Indizien nachgewiesen (hat), dass er wegen seiner Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt wurde“. Das Ergebnis der richterlichen Überzeugungsbildung ist revisionsrechtlich ohnehin kaum überprüfbar.

Den Rechtsvertretern ist anzuraten, bereits in den Tatsacheninstanzen auf eine möglichst exakte Formulierung der Urteilsgründe hinzuwirken.

BAG, Urt. v. 26.01.2017 - 8 AZR 736/15

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber