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Erbschaft & Testament: Wann liegt der „Testierwille“ vor?

Damit ein Schreiben oder eine Vollmacht als letztwillige Verfügung von Todes wegen auszulegen ist, bedarf es bei der Abfassung des Schreibens bzw. der Vollmacht eines ernstlichen Testierwillens. Dies hat das OLG München in einer Entscheidung dargelegt und damit die Auslegungskriterien für die häufigen Fälle von insoweit unklar bzw. ungenau formulierten Schreiben erläutert.

Sachverhalt

Die im Jahr 2002 verstorbene Erblasserin war ledig. Das Nachlassgericht erteilte den hier beteiligten drei gesetzlichen Erben im Jahr 2006 einen Erbschein auf der Grundlage der gesetzlichen Erbfolge. Im Jahr 2015 wurde dem Nachlassgericht folgendes wörtlich wiedergegebene Schreiben der Erblasserin aus dem Jahr 1975 vorgelegt:

„(Ort), 20.10.1975
An das (= Beteiligter zu 4)
Habe mich entschlossen nach meinem Tode mein Vermögen (Bar u.. Wertpapiere; C.bank; A.) dem (= Beteiligter zu 4) zur Verfügung zu stellen. Sollte mir unerwartet etwas zustossen, dann halten Sie dieses Schreiben als Vollmacht! (Ort), 20.10.1975 (Unterschrift)“

Im Beschlusswege ordnete das Nachlassgericht daraufhin die Einziehung des Erbscheins aus dem Jahr 2006 an. Es war der Ansicht, dass das Schreiben vom 20.10.1975 eine Erbeinsetzung enthalte. Hiergegen wendete sich ein Teil der im eingezogenen Erbschein benannten gesetzlichen Erben.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die zulässige Beschwerde hatte in der Sache Erfolg. Das OLG ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Einziehung des Erbscheins nicht vorliegen. Das Schreiben vom 20.10.1975 stellt kein Testament i.S.d. §  2247 BGB dar. Es fehlte beim Abfassen des Schreibens an einem ernstlichen Testierwillen. Der Erbschein aus dem Jahr 2006 war daher inhaltlich zutreffend.

Folgerungen aus der Entscheidung

Zwar hat das OLG dem Nachlassgericht beigepflichtet, dass eine Auslegung des Schreibens vom 20.10.1975 als letztwillige Verfügung von Todes wegen grundsätzlich in Betracht zu ziehen war, es legt aber dieses Schreiben diametral entgegengesetzt als das Nachlassgericht aus. Zunächst führt das OLG als Hauptargument für einen fehlenden ernstlichen Testierwillen die nicht vollständige Umfassung des Nachlasses durch die im Schreiben vom 20.10.1975 aufgezählten Vermögenswerte ins Feld. So wurde von der Erblasserin z.B. ihr schon zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens vom 20.10.1975 in ihrem Eigentum stehendes Hausgrundstück nicht erwähnt. Es sei auch nach dem Wortlaut des Schreibens vom 20.10.1975 („Habe mich entschlossen nach meinem Tode …“) zudem nicht völlig fernliegend, dass die Erblasserin eine Entscheidung über den Nachlass bereits außerhalb dieses Schreibens getroffen hat.

Schließlich kam auch noch hinzu, dass die Erblasserin als selbstständige Damenschneidermeisterin geschäftlich erfahren war und schon zweimal eine errichtete Verfügungen von Todes wegen in amtliche Verwahrung gegeben hatte. Auch zum Zeitpunkt der Errichtung des Schreibens vom 20.10.1975 lag ein Testament von ihr seit dem 13.03.1975 in amtlicher Verwahrung. Dieses Testament wurde erst am 21.08.1981 an die Erblasserin zurückgegeben.

Praxishinweis

Lehrbuchmäßig führt das OLG München zur Auslegung von Briefen bzw. sonstigen Schriftstücken als letztwillige Verfügung von Todes wegen wörtlich wie folgt aus:

„Grundsätzlich kann in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers kann allerdings, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden.

Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG FamRZ 1999, 534, 535 m. w. N.). An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen (BayObLGZ 2000, 274, 277). Die Vorschrift des § 2084 BGB findet bei verbleibenden Zweifeln keine Anwendung (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 672; 2001, 944, 945).

Für die Auslegung des Schriftstücks als letztwillige Verfügung ist nämlich das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Schriftstücks als „‚Testament‘, ‚Mein letzter Wille‘ oder eines ähnlichen Ausdrucks unschädlich. Entscheidend ist, dass sich aus dem Schriftstück der Wille der Erblasserin ergibt, die Folgen ihres Todes ernsthaft und umfassend zu regeln (BayObLG FamRZ 2005, 656, 657).“

Damit ist der Auslegungsmaßstab klar umrissen und die Entscheidung kann als Blaupause für dergestaltige Auslegungsproblematiken herangezogen werden.

OLG München, Beschl. v. 31.03.2016 - 11 Wx 413/15

Quelle: Rechtsanwalt Ralf Mangold