Familienrecht -

Mehr Schutz für schwangere Arbeitnehmerinnen

Die Ablehnung eines Antrags auf Änderung der Dauer eines bereits bewilligten Erziehungsurlaubs infolge erneuter Schwangerschaft ist diskriminierend.

Mit Urteil vom 20.09.2007 hat der EuGH entschieden, dass es mit den Richtlinien 2002/73/EG und 92/85/EWG nicht vereinbar ist, wenn einer Frau die nachträgliche Abänderung des Erziehungsurlaubs verwehrt wird, falls diese mit dem Mutterschutzurlaub verbunden ist.

Sachverhalt:

Der Arbeitgeber bewilligte einer finnischen Lehrerin wunschgemäß Erziehungsurlaub. Als sie - noch vor Antritt dieses Erziehungsurlaubs  - erfuhr, dass sie erneut schwanger war, begehrte sie eine Änderung des Zeitpunkts des Erziehungsurlaubs. Dies verweigerte ihr der Arbeitgeber mit der Begründung, dass nach dem geltenden Tarifvertrag eine Änderung der Dauer des bereits bewilligten Erziehungsurlaubs nur aus einem unvorhersehbaren triftigen Grund möglich sei. Eine erneute Schwangerschaft keinen solchen Grund dar.

Frau Kiiski fühlt sich in ihren Rechten als schwangere Arbeitnehmerin beeinträchtigt und klagte. Im Vorabentscheidungsverfahren legte das finnische Gericht dem EuGH die Frage vor, ob in der beschriebenen Verwaltungspraxis eine unmittelbare oder oder mittelbare Diskriminierung liegt, die gegen Art. 2 der Richtlinie 76/207/EG in der Fassung der Richtlinie 2002/732 (Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung) verstößt.

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EG sieht vor:

„Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe‑ oder Familienstand – erfolgen darf.“

Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 92/85 („Mutterschaftsurlaub“) lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen."

Aus den Entscheidungsgründen:

Der EuGH hält zunächst fest, dass die Arbeitnehmereigenschaft im gemeinschaftsrechtlichen Sinn nicht durch den Erziehungsurlaub entfällt, auch wenn die Arbeitnehmerin während dieser Zeit keine dem Arbeitgeber gegenüber weisungsgebundene Tätigkeit ausübt und auch kein Arbeitsentgelt erhält. Die Richtline 92/95/EG ist daher auf die Klägerin anwendbar.

Weiterhin betont der EuGH, dass die Gewährung von Erziehungsurlaub durchaus solche Auswirkungen auf die Organisation des Unternehmens haben kann, dass das nationale Recht Voraussetzungen festlegt, unter denen der Zeitraum des Erziehungsurlaubs geändert werden kann. Allerdings sei es gleichermaßen legitim, dass die Ereignisse, die es nach Beantragung oder Gewährung des Erziehungsurlaubs dem Arbeitnehmer unmöglich machen, sich um das Kind zu kümmern, vom Betreffenden geltend gemacht werden können, um eine Änderung des Zeitraums des genannten Urlaubs zu erreichen.

Die Durchführungsrichtlinien zum finnischen Tarifvertrag führen als triftige Gründe für eine Änderung des Urlaubs Ereignisse wie eine schwere Erkrankung oder den Tod des Kindes oder des anderen Elternteils oder eine Ehescheidung an. Dagegen sind nach diesen Richtlinien ein Umzug an einen anderen Ort, der Beginn eines anderen Beschäftigungsverhältnisses oder eine neuerliche Schwangerschaft grundsätzlich kein unvorhersehbarer und triftiger Grund.

Der EuGH hält jedoch eine Schwangerschaft für nicht vergleichbar mit einen Umzug oder der Beginn eines anderen Beschäftigungsverhältnisses, die allein vom Willen der Betroffenen abhängen. Die Unvorhersehbarkeit, die die Schwangerschaft im Wesentlichen kennzeichnet, rückt sie eher in die Nähe zu Ereignissen wie einer schweren Erkrankung oder des Todes des Kindes oder des anderen Elternteils oder der Scheidung der Ehe.

Insgesamt sei der Mutterschaftsurlaub, als der mindestens 14 Wochen umfassende begrenzte Zeitraum, der der Entbindung teils vorausgeht, teils folgt, als eine Lage anzusehen, die den mit dem Elternurlaub verfolgten Zweck behindern könne. Er sei daher als ein triftiger Grund anzusehen, der eine Änderung des Zeitraums des Erziehungsurlaubs gestatte.

Im Hinblick auf den mit der Rahmenvereinbarung über Elternzeit verfolgten Zweck und die Lage der Schwangeren vor der Entbindung (Art. 8 der Richtlinie 92/85/EWG) sind daher Regelungen diskriminierend, die der Schwangeren die Verkürzung des Erziehungsurlaubes verwehren.

Quelle: Online Redaktion - Beitrag vom 25.09.07