Miet- und WEG-Recht -

Prüfungsanforderungen bei Unterzeichnung der Berufungsschrift

Entscheidungsbesprechung mit Praxishinweis: Zur Notwendigkeit der Überprüfung der richtigen Bezeichnung des zuständigen Gerichts bei der Unterzeichnung einer Berufungsschrift durch den Rechtsanwalt

Praxishinweis:
Die Entscheidung verdeutlicht, dass die mündliche Weitergabe von Informationen fehlerbehaftet ist. Jeder Kanzlei ist daher dringend zu raten, über wichtige Informationen Aktenvermerke zu fertigen. Die Glaubhaftmachung fällt wesentlich einfacher; der Aktenvermerk kann zur Glaubhaftmachung vorgelegt werden.

Die Entscheidung: BGH, Beschl. v. 05.03.2009 — V ZB 153/08, DRsp Nr. 2009/8784

Die Entscheidung zeigt auf, dass bei Berufungen in Wohnungseigentumssachen besonders sorgfältig zu prüfen ist, welches Gericht das Konzentrationsgericht ist. Nutzen Sie die Liste der zentralen Berufungs- und Beschwerdegerichte i.S.d. § 72 Abs. 2 GVG mit Postanschrift, die sie sich im Anhang zu diesem Beitrag kostenlos herunterladen können.

Leitsatz

Der Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung einer Berufungsschrift auch dann überprüfen, ob sie an das zuständige Berufungsgericht gerichtet ist, wenn er diese Frage durch einen anwaltlichen Kollegen seiner Sozietät hat prüfen lassen.

Darum geht es

Durch Urteil des Amtsgerichts ist dem Beklagten untersagt worden, sein Teileigentum in einer Wohnungseigentumsanlage zum Betrieb eines Pizzaservice zu nutzen. Das Urteil wurde dem Beklagten am 05.03.2008 zugestellt. Der Beklagte legte am 07.04.2008, dem auf den 05.04.2008 folgenden Montag, um 15.59 Uhr beim Landgericht München II Berufung ein. Zuständiges Berufungsgericht war aber das Landgericht München I. Nach Abgabe an das zuständige Landgericht München I beantragte der Beklagte dort die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung führte er aus, der prozessführende Rechtsanwalt habe mit einem Kollegen der Sozietät besprochen, dass er selbst die Berufungsschrift erstelle, der Kollege aber das zuständige Berufungsgericht ermittle. Der Kollege habe die Zuständigkeit wegen unvorhergesehener dringender anderer Arbeiten nicht prüfen können. Er habe deshalb die erfahrene und zuverlässige Sekretärin des prozessführenden Rechtsanwalts gebeten, diesem auszurichten, an sich sei das Landgericht München II zuständiges Berufungsgericht. Das könne sich aber durch die WEG-Novelle geändert haben. Die Sekretärin habe diese Information nicht zutreffend weitergegeben. Stattdessen habe sie dem prozessführenden Rechtsanwalt den Entwurf der Berufungsschrift mit dem falschen Hinweis vorgelegt, der Kollege habe mitgeteilt, zuständiges Berufungsgericht sei das Landgericht München II.

Das Landgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags durch Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Durchführung des Berufungsverfahrens erreichen will.

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde des Beklagten blieb — zu Recht —ohne Erfolg. Der Beklagte hat die Berufungsfrist versäumt, weil seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift am letzten Tag der Frist um 15.59 Uhr beim unzuständigen Landgericht München II eingereicht haben. Zu diesem Zeitpunkt war mit einer fristgerechten Weiterleitung im normalen Geschäftsgang nicht mehr zu rechnen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.07.2000 — III ZB 28/00, DRsp Nr. 2000/6330 = NJW-RR 2000, 1730, 1731). Die Zulässigkeit der Berufung hing deshalb entscheidend vom Erfolg des frist- und formgerecht gestellten Antrags des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und dieser wiederum davon, ob die Adressierung an das falsche Gericht unverschuldet war. Ein Verschulden der Kanzleiangestellten hätte sich der Beklagte nicht zurechnen lassen müssen. Der BGH sah das Verschulden aber beim Prozessbevollmächtigten selbst, das gem. § 85 Abs. 2 ZPO zu Lasten des Berufungsklägers wirkt. Der BGH begründet dies wie folgt:

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift selbst auf ihre Richtigkeit überprüfen muss. Hätte der Prozessbevollmächtigte diese Prüfung angestellt, hätte er festgestellt, jedenfalls feststellen müssen, dass die Berufung im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Satz 1 GVG beim Landgericht München I einzulegen war. Die Prüfung des richtigen Berufungsgerichts darf nicht dem Büropersonal überlassen werden. Denn die Angabe des Berufungsgerichts ist ein nicht delegierbarer Kernbestandteil der Berufungsschrift. Sind Rechtsanwälte in einer Sozietät arbeitsteilig tätig, sind sie gemeinsam verpflichtet, alles zu tun, um fristgebundene Schriftsätze rechtzeitig einzureichen (BGH, Urt. v. 05.11.1993 — V ZR 1/93, DRsp Nr. 1994/1277 = BGHZ 124, 47, 50 f.). Der prozessführende Rechtsanwalt (oder sein Vertreter) muss verantwortlich prüfen, ob die Koordination der Beiträge gelungen ist. Diese Prüfung kann sinnvoll nur durch den Rechtsanwalt erfolgen, der die Berufungsschrift unterzeichnet und der damit für die Sozietät insgesamt die Verantwortung für deren Richtigkeit übernimmt. Ein Ausblenden einzelner Elemente verfehlte den Zweck der Prüfung. Übertriebene Anforderungen werden infolge dieser Prüfungspflicht nicht gestellt. Denn die Prüfungspflicht beschränkt sich auf einen überschaubaren Fragenkreis.

Bedeutung der Entscheidung für die anwaltliche Praxis

Die Entscheidung zeigt auf, dass bei Berufungen in Wohnungseigentumssachen besonders sorgfältig zu prüfen ist, welches Gericht das Konzentrationsgericht ist (vgl. die Liste der zentralen Berufungs- und Beschwerdegerichte im Anhang). Je knapper die Berufung vor Ablauf der Berufungsfrist eingelegt wird, umso sorgfältiger ist vorzugehen. Denn das unzuständige Gericht ist nicht verpflichtet, Eilmaßnahmen zu ergreifen, um die Berufungsschrift an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Für die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ist dem Gericht vielmehr ein gewisser Zeitraum zuzubilligen. Es entspricht dem ordentlichen Geschäftsgang, dass der zuständige Richter die Weiterleitung an das richtige Berufungsgericht einen Tag nach Eingang der Berufung anordnet und die Geschäftsstelle die Weiterleitung einen weiteren Tag später veranlasst (BGH, Beschl v. 06.11.2008 — IX ZB 208/06, NJW-RR 2009, 408). Die Anforderungen an die Prüfungspflichten des Rechtsanwalts werden aber überspannt, wenn sich der Anwalt im Normalfall nicht auf die Prüfung seines Sozius verlassen kann. Die Prüfung von Vorfragen ist indes aus haftungsrechtlichen Gründen schriftlich zu dokumentieren.

Weiterführende Informationen in rechtsportal.de/mietrecht:

Bibliothek, Handbuch des Wohnungseigentumsrechts, Stichwort „Verfahrensrechtliche Besonderheiten/Berufung“ (Schnellsuche: D802WEB_24995959)

Zentrale Berufungs- und Beschwerdegerichte mit Adressen.pdf

Quelle: Richterin Dr. Schmieder, LL.M. (Berkeley) - Entscheidungsbesprechung vom 29.05.09