Miet- und WEG-Recht -

Schmerzensgeldanspruch bei eigenmächtiger Räumung

Räumt der Vermieter nach einer Kündigung die Wohnung des Mieters eigenmächtig gegen dessen Willen, steht dem Mieter unter bestimmten Umständen ein Schmerzensgeldanspruch zu - auch wenn durch die Räumung keines seiner in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter verletzt wird.

Nach einer Kündigung wegen Zahlungsverzugs lässt die Vermieterin die Wohnung des säumigen Mieters eigenmächtig und gegen dessen Willen durch ihre Mitarbeiter räumen und die in der Wohnung befindlichen Sachen bei einer Spedition einlagern. Dem zurückkehrenden Mieter wird der Zutritt verwehrt, eine von ihm erwirkte einstweilige Verfügung aufWiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung und Rückschaffung seiner Sachen dorthin geht ins Leere, da die Vermieterin die Wohnung sogleich weitervermietet. Der Kläger fordert nunmehr Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 2.500 €.

Das Amtsgericht gibt der Klage statt. Es stützt den Schmerzensgeldanspruch auf §§ 823 Abs.1, 253 Abs. 2 BGB.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass ein Schmerzensgeldanspruch gemäß § 253 Abs. 2 BGB zwar dem Wortlaut nach nur für Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung entsteht. Zugleich verweist es aber auf die einschlägige Rechtsprechung, nach welcher ein solcher Anspruch über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch in Fällen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts u.a. nach § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs, 1 GG geltend gemacht werden kann, sofern es sich um eine schwere, nicht anders auszugleichende Beeinträchtigung handelt (z.B. BGH, Urt. v. 15.11.1994 - VI ZR 56/94, NJW 1995, 861).

Dies ist nach Auffassung des Gerichts hier der Fall. Die Vermieterin hat durch den Entzug der Wohnung das Besitzrecht des Klägers nach § 823 Abs. 1 BGB verletzt. Der Mieter konnte die von ihm bisher bewohnte Wohnung nach der eigenmächtigen Räumung durch die Vermieterin nicht mehr nutzen. Sie hat damit zugleich ohne Rechtfertigung in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG, die räumliche Privatsphäre des Wohnungsinhabers, eingegriffen. Aufgrund der Verletzung des Art. 13 GG liegt hierin ein schwerer Eingriff, dem nicht anders als durch Gewährung eines angemessenen Schmerzensgeldes zu begegnen war. Daher, so das AG Reinbek, war dem Kläger im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ein Schmerzensgeldanspruch zuzusprechen - als Ausgleich wie auch als Genugtuung für den unrechtmäßigen Eingriff in das Besitzrecht des Klägers (so auch schon AG Wedding, Urteil vom 11.1992 - 8a C 484/1992).

Das Gericht führt weiter aus:

"Der Schutz des Art. 13 Abs. 1 GG ist nicht auf das Besitzrecht an der Wohnung, sondern auf die Gewährleistung von deren Privatheit gerichtet. Schutzgut ist die räumliche Sphäre, in der sich das Privatleben entfaltet. Art. 13. Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, in diesen Räumen in Ruhe gelassen zu werden (BVerfG, Beschluss vom 03.04.1979 - 1 BvR 994/76, NJW 1979, 1539). Dieses umfasst insbesondere das Verbot, gegen den Willen des Wohnungsinhabers in die Wohnung einzudringen (BVerfG, Beschluss vom 16.06.1987 - 1 BvR 1202/84, NJW 1987, 2499). Zu den möglichen Verletzungshandlungen können auch substantielle Eingriffe zählen, bei denen die Wohnung der Verfügung und Benutzung des Inhabers ganz oder teilweise entzogen wird, wenn dadurch die Privatheit der Wohnung ganz oder teilweise aufgehoben wird. Die Kündigung des Mietverhältnisses berührt die Privatheit der innegehabten Wohnung in diesem Sinne nicht. Denn bis zum Auszug aus der alten Wohnung genießt der Mieter dort den Schutz seiner Privatsphäre aus Art. 13 Abs. 1 GG. In den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG wird jedoch eingegriffen, wenn der Vermieter im Wege verbotener Eigenmacht in die Wohnung eindringt und sich wieder in deren Besitz setzt (vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 26.05.1993 - 1 BvR 208/93, WuM 1993, 377)."

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt das Gericht unter anderem, dass die Vermieterin dem Mieter den Besitz an der Wohnung nicht nur eigenmächtig entzogen, sondern die Wiedereinräumung des Besitzes an ihn trotz Vorliegens einer hierauf gerichteten einstweiligen Verfügung durch Weitervermietung der Wohnung vereitelt hat.

Anmerkung:
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Gerade bei besonders rücksichtslosen Vermietern kann sich der Mieter nicht selten auch durch eine einstweilige Verfügung nicht mehr wirksam zur Wehr setzen, wenn der Vermieter durch sofortige Überlassung der Wohnung an einen Dritten vollendete Tatsachen schafft. Der neben den Schadensersatzanspruch tretende Anspruch auf Schmerzensgeld verschafft dem Mieter einen Ausgleich auch für durch das widerrechtliche Verhalten des Vermieters erlittene Beeinträchtigungen, die einen materiellen Schadensersatzanspruch nicht begründen würden.

Quelle: Rechtsanwalt Thomas Emmert - Urteilsanmerkung vom 23.06.08