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Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Geld verschwunden: Hohe Hürden für Verdachtskündigung

Eine Verdachtskündigung ist nur möglich, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Fehlverhalten besteht bzw. ein dringender Tatverdacht vorliegt. Stets muss der Arbeitnehmer zu den Vorwürfen angehört werden. Eine Bankmitarbeiterin hatte vor dem LAG Hamm mit einer Kündigungsschutzklage Erfolg nachdem 115.000 € aus einem Geldkoffer verschwunden waren und ihr Arbeitgeber sie verdächtigte.

Sachverhalt

Bei Banken und Sparkassen gilt in Bezug auf Bargeld stets das Vier-Augen-Prinzip.
Insbesondere Geldkoffer dürfen niemals durch eine Person alleine geöffnet werden. In einer Sparkasse geschah Folgendes: Eine Angestellte erhielt von einem Geldtransportdienst 115.000 € in 50-€-Scheinen in einem verplombten Koffer. Dieses Geld hatte sie selbst einen Tag zuvor ohne eine entsprechende sachliche Begründung bestellt.

Der Koffer stand 20 Minuten in einem nicht einsehbaren Bereich der Kasse, in dem sich die Angestellte zu dieser Zeit alleine befunden hatte. Die Angestellte öffnete dann den Koffer alleine und holte keinen Kollegen hinzu. Dann stellte sie fest, dass sich in dem Koffer anstelle der 115.000 € eine Packung Waschpulver und Babynahrung befunden hatten. Erst dann rief sie einen Kollegen.

Die Sparkasse versuchte, die Angelegenheit selbst aufzuklären und schaltet natürlich auch die Polizei ein. Schließlich kündigte sie der Angestellten fristlos. Die Sparkasse begründete die Kündigung damit, dass der Verdacht einer Straftat bestehen würde. Nach ihrer Ansicht sprächen dafür zahlreiche Indizien, insbesondere auffällige finanzielle Transaktionen, die die Mitarbeiterin nach dem Abhandenkommen des Geldes getätigt hatte. Außerdem gab es, wie bereits dargestellt, für die Bestellung eines derart hohen und gestückelten Bargeldbetrags keinen sachlichen Anlass. Gegen die Kündigung klagte die Sparkassenangestellte.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Und sie klagte erfolgreich! Die Arbeitnehmerin war seit dem Jahr 1991 beschäftigt und muss auch weiterhin beschäftigt werden. Denn hier musste das Gericht die Tatkündigung von der Verdachtskündigung abgrenzen. Es lag letztendlich keine erwiesene Pflichtwidrigkeit vor, lediglich ein bestehender Verdacht. Und zum Schutz des Arbeitnehmers ist eine solche Verdachtskündigung nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich. Voraussetzung für eine solche Kündigung ist stets die hohe Wahrscheinlichkeit, dass dem betroffenen Arbeitnehmer das Fehlverhalten wirklich vorzuwerfen ist. Es muss also ein dringender Tatverdacht bestehen.

Daran fehlt es regelmäßig immer dann, wenn auch die Täterschaft anderer Personen nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist. Und das war hier der Fall.

Zudem hatte die Sparkasse einen wirklich großen Fehler begangen. Der Arbeitgeber muss im Rahmen der Aufklärungsbemühungen seinen Arbeitnehmer stets mit dem konkreten Tatverdacht konfrontieren und ihn zum Tatverdacht anhören. Eine solche Anhörung ist nicht entbehrlich und die Rechtsprechung stellt daran strenge Anforderungen, die hier nicht gewahrt worden waren.

Folgerungen aus der Entscheidung

Diese Entscheidung ist sicherlich kein Freibrief für Sparkassenmitarbeiter, ein solches Verhalten nachzuahmen. Denn schon für einen Außenstehenden wird erkennbar, dass die Mitarbeiterin vor dem Arbeitsgericht ausgesprochenes Glück hatte, insbesondere da die Anhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt war. Es ist nur schwer vorstellbar, wie ein derart belastetes Arbeitsverhältnis künftig fortgeführt werden soll. Andererseits hat die Rechtsprechung zu Recht hohe Anforderungen an eine Verdachtskündigung gestellt. Niemand soll letztendlich zu Unrecht seinen Arbeitsplatz verlieren.

Praxishinweis

Eine Verdachtskündigung wird meist als fristlose Kündigung nach § 626 BGB ausgesprochen, denn oft geht es um schwerwiegende Vorwürfe wie Diebstahl und Unterschlagung. Möchte der Arbeitgeber die fristlose Kündigung aussprechen, dann hat er dafür an sich nur zwei Wochen ab Kenntnis. Diese zwei Wochen reichen evtl. nicht zu Sachverhaltsaufklärung. Um diesen Konflikt zu entschärfen, beginnt die Frist erst mit Abschluss der erforderlichen Sachverhaltsaufklärung, insbesondere erst mit Abschluss der Anhörung des Arbeitnehmers.

Diese Voraussetzungen hat die Verdachtskündigung im Einzelnen:

  • Eine fristlose Kündigung kann nur ausgesprochen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Dies ist nur der Fall, wenn der Arbeitgeber nach einer umfassenden Interessenabwägung zu dem Schluss kommen kann, dass ihm das Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten ist.
  • Der Tatverdacht muss objektiv und dringend sein, denn es reicht auch nicht jeder Verdacht für eine Kündigung aus. Ein objektiver Tatverdacht liegt vor, wenn der Verdacht  durch bestimmte Tatsachen begründet ist. Reine Gerüchte oder bloße Vermutungen genügen nicht. Ein dringender Tatverdacht ist bei kritischer Prüfung aller Indizien anzunehmen, wenn eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass gerade ein bestimmter Mitarbeiter die Tat begangen hat. Der Arbeitgeber muss Indizien und Tatsachen vortragen können, auf die er seinen Verdacht stützt. Dabei kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an.
  • Es muss ein Bezug zum Arbeitsplatz vorliegen.
  • Der Arbeitnehmer muss vor Ausspruch der Kündigung angehört werden, um zum Sachverhalt ausreichend Stellung zu nehmen. Der Mitarbeiter muss sich verteidigen dürfen. Auch im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz in dubio pro reo. Die Anhörung kann mündlich oder schriftlich vorgenommen werden. Dem Arbeitnehmer muss bei der Anhörung der konkrete Vorwurf eröffnet werden, damit er sich entsprechend verteidigen kann.
  • Die Anhörung des Arbeitnehmers ist nicht die einzige Maßnahme, die der Arbeitgeber ergreifen muss. Er muss alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung tun.

LAG Hamm, Urt. v. 14.08.2017 - 17 Sa 1540/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Arno Schrader