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Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Unwirksame Kündigung: Verdienstanrechnung bei Annahmeverzug

Infolge einer unwirksamen Kündigung kann ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs bestehen. Anderweitiger Verdienst während dieser Zeit wird dabei angerechnet – wobei hierfür erforderliche Aufwendungen wiederum abgezogen werden können. Das gilt nach dem BAG aber nicht für Kosten einer Qualifizierung, die bei der Ausübung der geschuldeten Tätigkeit nicht notwendig ist.

Sachverhalt

Ein Pilot wurde auf dem Flugzeugtyp Fokker 100 eingesetzt. Über das Vermögen der Fluggesellschaft wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Flugbetrieb wurde im Januar 2013 eingestellt. Die Unwirksamkeit der ersten Kündigung des Insolvenzverwalters zum 31.07.2013 wurde rechtskräftig festgestellt. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis nochmals zum 31.01.2015. Diese Kündigung ist Gegenstand eines weiteren Kündigungsschutzverfahrens.

Ab dem 12.06.2014 war der Pilot bei einem anderen Arbeitgeber als Pilot beschäftigt und erhielt dort bis zum 31.01.2015 eine Vergütung i.H.v. insgesamt 37.500 € brutto.

Er hat mit seiner Klage vom Insolvenzverwalter Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 12.06.2014 bis zum 31.01.2015 i.H.v. 40.000 € abzüglich des erzielten Zwischenverdienstes gefordert. Von dem Zwischenverdienst seien aber zuvor die angefallenen Aufwendungen für den Erwerb von Musterberechtigungen für die Flugzeugtypen Airbus A320 und Boeing 757/767 i.H.v. 23.500 € in Abzug zu bringen.

Das ArbG Stuttgart hat die Klage mit Urteil vom 24.08.2016 (19 Ca 7044/15) abgewiesen. Das LAG Baden-Württemberg hat das erstinstanzliche Urteil mit Berufungsurteil vom 28.06.2017 (2 Sa 56/16) abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von Vergütung aus Annahmeverzug abzüglich des vom Kläger erzielten Zwischenverdienstes i.H.v. 37.500 € verurteilt, wovon die Aufwendungen des Klägers i.H.v. 23.500 € abzuziehen sind. Es hat die Revision zugelassen.

Das BAG hat das Berufungsurteil abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von Annahmeverzugslohn i.H.v. 2.500 € verurteilt.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 12.06.2014 bis zum 31.01.2015 unter Anrechnung des erzielten Zwischenverdienstes. Ein Abzug der Aufwendungen des Klägers vom Zwischenverdienst hat zu unterbleiben.

Die Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 11 Nr. 1 KSchG bezweckt, eine Besser- oder Schlechterstellung des Arbeitnehmers nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Er ist so zu stellen, als wäre das Arbeitsverhältnis ungekündigt weitergeführt worden. Damit können grundsätzlich auch erforderliche Aufwendungen zur Erzielung des anderweitigen Verdienstes von diesem in Abzug gebracht werden.

Es können jedoch nicht jegliche Aufwendungen für eine weitere Berufstätigkeit des Arbeitnehmers als zwischenverdienstmindernd anerkannt werden.

Zu unterscheiden ist zwischen Aufwendungen, die erforderlich sind, um im Rahmen der bisherigen Qualifikation des Arbeitnehmers einer weiteren Erwerbstätigkeit fachkundig und sachgerecht nachgehen zu können, und solchen, die im Sinne einer Fortbildung die Qualifikation des Arbeitnehmers erhöhen, ohne dass diese Qualifikation zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit benötigt wird. Im Streitfall wären daher z.B. Aufwendungen zum Erhalt der Musterberechtigung für die Fokker 100 als erforderlich anzusehen.

Durch den Erwerb der Musterberechtigungen für den Airbus A320 und die Boeing 757/767 hat sich der Kläger weiterqualifiziert und hierdurch seinen „Marktwert“ auf dem Arbeitsmarkt erhöht, ohne dass die hierbei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten dem Arbeitgeber unmittelbar zugutekommen. Diese Flugzeugmuster werden bei dem Beklagten nicht eingesetzt. Die Aufwendungen hierfür sind nicht zwischenverdienstmindernd zu berücksichtigen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das Urteil gibt eine praxistaugliche Anleitung zur Unterscheidung von Kosten, die ein Arbeitnehmer zur Ermöglichung der Erzielung anderweitigen Erwerbs aufwendet, von solchen Kosten, die er zu anderen Zwecken – hier zur Erhöhung seiner Chancen am Arbeitsmarkt – aufwendet. Erstere sind vom anderweitigen Erwerb abzuziehen, letztere hat der Arbeitnehmer selbst zu tragen.

Von der Unterscheidung hängt die Höhe des berücksichtigungsfähigen anderweitigen Erwerbs und damit des Annahmeverzugslohnanspruchs ab. Auch ein Anspruch unter dem Gesichtspunkt des Geschäftsführung ohne Auftrag scheidet im letzteren Fall aus.

Praxishinweis

Das Risiko des Arbeitgebers, nach Ausspruch einer unwirksamen Kündigung für den Zeitraum zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zur Vergütungszahlung verpflichtet zu sein, ist in der Praxis der wesentliche Beweggrund für Arbeitgeber, sich in einem Kündigungsschutzverfahren zu vergleichen.

Die Bedeutung des Urteils beschränkt sich also auf Fälle, in denen der Arbeitnehmer ein erhebliches Eigeninteresse an der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit hat, anderweitigen Erwerb erzielt und der Arbeitgeber gleichzeitig gewillt ist, ein Annahmeverzugslohnrisiko zu tragen.

Das BAG ergreift die Gelegenheit, seine jüngere Rechtsprechung zu Rechtsfragen rund um den Annahmeverzugslohn zu bestätigen. Die Entscheidung enthält Aussagen zum insolvenzrechtlichen Rang von Annahmeverzugslohnansprüchen, zum Verhältnis von § 11 KSchG zu § 615 BGB und zu den Wirkungen einer Kündigungsschutzklage in Bezug auf Ausschlussfristen. Der Praktiker sollte diese Entscheidung kennen.

BAG, Urt. v. 02.10.2018 - 5 AZR 376/17

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber