Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Versorgungsansprüche: Haftung des Betriebserwerbers in der Insolvenz

Haftet der Erwerber bei einem Betriebsübergang für Anwartschaften, die auf Beschäftigungszeiten vor der Insolvenzeröffnung beruhen? Und können sich Arbeitnehmer gegenüber dem Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) unmittelbar auf europäische Vorgaben berufen? Diese und weitere Fragen zur Haftung für Versorgungsansprüche in der Insolvenz hat das BAG dem EuGH vorgelegt.

Sachverhalt

Die Rechtvorgängerin der Arbeitgeberin sagte dem Arbeitnehmer Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Form einer endgehaltsbezogenen Leistungszusage zu. Über ihr Vermögen wurde am 01.03.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 ging der Betrieb aufgrund eines Betriebsübergangs auf die Arbeitgeberin über.

Der Arbeitnehmer erhält seit August 2015 von der Arbeitgeberin eine Betriebsrente i.H.v. ca. 145 € und vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) eine Altersrente i.H.v. ca. 817 €. Bei deren Berechnung der Versorgungsansprüche legte der PSV, wie gesetzlich vorgesehen, das zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebliche Gehalt des Arbeitnehmers zugrunde.

Der Arbeitnehmer hält die Arbeitgeberin für verpflichtet, ihm eine höhere Betriebsrente zu gewähren. Diese müsse sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung auf der Basis des zum Stichtag vor dem Versorgungsfall bezogenen Gehalts unter bloßem Abzug desjenigen Betrags errechnen, den er vom PSV erhalte. Er hat Klage auf Feststellung erhoben, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, an ihn monatlich neben den bereits zugesagten 145 € weitere 149 € als betriebliche Altersversorgung zu zahlen.

Das ArbG Solingen hat die Klage mit Urteil vom 24.05.2016 (2 Ca 1812/15 lev) abgewiesen. Das LAG Düsseldorf hat das erstinstanzliche Urteil mit Urteil vom 20.01.2017 (6 Sa 582/16) bis auf eine kleine Abänderung bestätigt. Es hat die Revision für beide Parteien zugelassen. Das BAG hat das Verfahren mit Beschluss vom 16.10.2018 (3 AZR 139/17 (A)) ausgesetzt und am selben Tage den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV um Auslegung ersucht.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Nach der derzeitigen Auslegung des § 613a Abs. 1 BGB durch die deutschen Arbeitsgerichte würde der Kläger mit seinem Klagebegehren nicht durchdringen. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts führen zu einer einschränkenden Auslegung der Vorschrift des § 613a BGB.

Der Senat möchte wissen, ob diese einschränkende Geltung von § 613a Abs. 1 BGB im Fall eines Betriebsübergangs im Insolvenzverfahren mit Art. 3 Abs. 4, Art. 5 RL 2001/23/EG („Betriebsübergangs-RL“) im Einklang steht und ob ggf. Art. 8 RL 2008/94/EG („Insolvenzschutz-RL“) vorliegend unmittelbare Geltung entfaltet, sodass sich der Arbeitnehmer deshalb auch gegenüber dem PSV auf diesen berufen kann.

Mit diesem Ziel ersucht das BAG den EuGH um die Beantwortung der folgenden Frage:

Erlaubt Art. 3 Abs. 4 RL 2001/23/EG bei einem Betriebsübergang nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betriebsveräußerers im nationalen Recht eine Einschränkung dahingehend, dass der Erwerber nicht für Anwartschaften haftet, die auf Beschäftigungszeiten vor der Insolvenzeröffnung beruhen? Außerdem ersucht das BAG den EuGH weitergehend um Auskunft zu einer ganzen Reihe weiterer Fragen zur Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das Gericht befasste sich auch mit dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des BAG vom 16.10.2018 (3 AZR 878/17 (A)). In diesem Parallelverfahren verfügte der Kläger bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht über eine gesetzlich unverfallbare Anwartschaft.

Daher steht ihm bei Eintritt eines Versorgungsfalls nach dem BetrAVG kein Anspruch gegen den PSV zu. Dieser Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm künftig eine Betriebsrente in voller Höhe zu gewähren (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 04.11.2016 – 1 Sa 120/16).

Das BAG nimmt die Fälle zum Anlass, eine umfassende Abstimmung der Vorschrift des § 613a BGB mit dem eingeschränkten Inhalt, den die Rechtsprechung ihr im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers beimisst,  den unionsrechtlichen Vorschriften der Betriebsübergangs-RL sowie der Insolvenzschutz-RL zu versuchen.

Die Tatsache, dass das BAG insgesamt neun Vorlagefragen stellt, die in einem Bedingungsgefüge zueinander stehen, macht deutlich, dass es dringend eine möglichst abschließende unionsrechtliche Bewertung der gesetzlichen Vorschriften und der Spruchpraxis deutscher Gerichte anstrebt. Hierfür spricht auch, dass es die 8. Vorlagefrage nach der unmittelbaren Wirkung des Art. 8 RL 2008/94/EG zuvor bereits als 3. Vorlagefrage mit Beschluss vom 20.02.2018 (3 AZR 142/16 (A) gestellt hat.

Praxishinweis

Der Beschluss ist von enormer Bedeutung für das deutsche Arbeitsrecht. Von der Beantwortung der Vorlagefragen hängt es ab, ob es in Zukunft zu einer erheblich erweiterten Einstandspflicht des Betriebserwerbers beim Erwerb eines Betriebes aus der Insolvenz kommt. Dann würde ein erhebliches Hindernis für die an sich wünschenswerte Fortführung von Betrieben und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen errichtet. Das Risiko ist unbedingt bei dem beabsichtigten Erwerb eines Betriebs aus der Insolvenz einzupreisen.

Wenn und soweit in der Vergangenheit Versorgungsansprüche bei einem Betriebserwerb aus der Insolvenz auf den Betriebserwerber übergegangen sind, muss jeder Rechtsanwalt das Bestehen weitergehender Versorgungsansprüche gegen den Betriebserwerber prüfen und ggf. verjährungsunterbrechend geltend machen.

BAG, Beschl. v. 16.10.2018 - 3 AZR 139/17 (A)

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber