Verkehrsrecht -

130-%-Grenze bei Reparatur eines Kfz – Ein aktueller Stand

Ende 2007 hat der BGH in zwei Urteilen die Anwendung der 130-%-Grenze auch von einem Weiternutzungswillen von mindestens sechs Monaten abhängig gemacht. Offen gelassen wurde, wann der Geschädigte Anspruch auf Regulierung der Beträge hat: erst nach Ablauf der sechs Monate oder bereits bei bewiesener Durchführung der Reparatur.

Der BGH hat in der Vergangenheit die Rechtsprechung zur 130-%-Grenze (Urt. v. 13.11.2007 – VI ZR 89/07 und v. 27.11.2007 – VI ZR 56/07) dahingehend neu definiert, dass der Geschädigte einen Weiternutzungswillen nachweisen muss. Diesen Weiternutzungswillen hat der BGH mit einer (wenigstens beabsichtigten) Behaltefrist von mindestens sechs Monaten verbunden.

Zusammenfassung der bisherigen Regelung:

Bewegen sich die Reparaturkosten zuzüglich einer eventuellen Wertminderung maximal 30% über dem Wiederbeschaffungswert, kann der Geschädigte bei Reparaturnachweis diese verlangen ...

Neu ist nun:

..., wenn er sein Fahrzeug auch noch mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiternutzt oder weiternutzen wollte.

Nach Bekanntwerden der neuen BGH-Rechtsprechung gestaltete sich die Praxisumsetzung schwierig. Eine der Hauptstreitfragen war dabei, ob der BGH auch Unterschiede beim Reparaturnachweis sieht oder ob die BGH-Rechtsprechung nur für Abrechnungen ohne Rechnungsvorlage (aber mit Reparaturnachweis) gelten würde.

Diese Frage ist nun geklärt:

Der BGH hat die 130-%-Fälle durch eine weitere Entscheidung vom 22.04.2008 (VI ZR 237/07) konkretisiert. Nach dem BGH gilt die Behaltefrist von sechs Monaten für alle Arten des Reparaturnachweises. Folgende Möglichkeiten des Reparaturnachweises bestehen:

  • a. Reparaturbestätigung eines Sachverständigen
  • b. Vorlage der Werkstattrechnung

Für beide Fälle gilt also:

Der Geschädigte muss – mindestens – die Absicht haben, das verunfallte und reparierte Fahrzeug auch sechs Monate nach dem Unfall weiterzunutzen.

Der Wille kann entscheidend sein, da auch Ausnahmefälle, die nicht in der Sphäre des Geschädigten liegen (z.B. durch Diebstahl oder durch einen weiteren Unfallschaden innerhalb der sechs Monate), eintreten könnten. Offen ist aber weiterhin eine ganz entscheidende Frage:

Wann und was muss der Versicherer des Unfallverursachers regulieren?

a. Trotz Reparaturnachweises zunächst nur den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert – Restwert) und den Differenzbetrag zu den Reparaturkosten erst nach Ablauf der sechs Monate?

ODER

b. Die Reparaturkosten nach Reparaturnachweis sofort, aber unter dem Vorbehalt der Rückforderung und Prüfung, ob das Fahrzeug nach sechs Monaten auch tatsächlich vom noch Geschädigten genutzt wird?

Die Variante a. ist natürlich von erheblicher Bedeutung, da viele Geschädigte die Differenzkosten nicht vorauszahlen wollen oder können. Auch die Werkstätten werden wohl nicht einen Teil der Kosten „stunden“ wollen.

Der BGH hat diese (wohl letzte offene) Frage noch nicht geklärt. Nach vorliegenden Informationen steht aber eine BGH-Entscheidung dazu in Kürze an.

Praxisumsetzung der Versicherungen

In der Praxis setzen die Versicherer die momentane Rechtsprechung verschieden und auch immer wieder wechselnd um. Es gibt Versicherer, die erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist die Differenz zu den Reparaturkosten zahlen.

Andere Versicherer treten bei Reparaturnachweis (ggf. auch nach eigener erfolgter Nachbesichtigung) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und Rückforderung sofort in die volle Regulierung ein. Diese Problematik muss mit dem geschädigten Mandanten unbedingt vor Reparaturauftrag geklärt und besprochen werden. Eine umfassende Beratung ist gerade hinsichtlich der Behaltefrist von sechs Monaten unerlässlich.

Zur Dokumentation (auch gegenüber dem Versicherer) sollte der Mandant eine schriftliche Erklärung wie in folgendem Formulierungsbeispiel abgeben:
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Name und Anschrift Mandant

Obwohl die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert überschreiten, jedoch laut Gutachten innerhalb der 130 – Prozent –Grenze liegen, habe ich mich entschlossen, das mir vertraute Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ______ im Rahmen der gutachterlichen Feststellungen reparieren zu lassen.

Mir ist bekannt, dass das meinen Weiterbenutzungswillen - bezogen auf das Fahrzeug - voraussetzt. Ich habe die Absicht, das reparierte Fahrzeug ab Unfalldatum für mindestens sechs Monate weiter zu benutzen. Wenn nicht außergewöhnliche Umstände eintreten (wie z.B. ein Fahrzeugdiebstahl, ein weiterer erheblicher Unfallschaden, ein erheblicher mechanischer Schaden oder gar eine Verschlechterung meiner finanziellen Situation dergestalt, dass ich mir das Auto nicht mehr leisten kann), werde ich das Fahrzeug auch für mindestens sechs Monate weiter nutzen.

Ich akzeptiere, dass die eintrittspflichtige Versicherung die Differenz aus den Reparaturkosten einerseits und dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert minus Restwert) anderseits zurückfordern kann, wenn ich das Fahrzeug ohne Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Ablauf von sechs Monaten abschaffe.

_____________, den ___________ _________

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Eine Rücksprache mit dem Versicherer vor Reparaturauftrag ist bei aktueller Lage der Rechtsprechung zwecks Feststellung, wie dieser Versicherer die „130er“-Schäden abwickelt, ebenfalls unerlässlich. Das Ergebnis sollte auch dokumentiert werden. Ansonsten läuft der Mandant Gefahr, einen Teil der Reparaturkosten (nämlich Differenz zwischen Rechnungsbetrag und Wiederbeschaffungsaufwand) zunächst selbst zahlen zu müssen.

Quelle: Carsten Plate, Rechtsfachwirt - Beitrag vom 21.08.08