Verkehrsrecht -

Aufsichtspflicht gegenüber kleinen Kindern im Freien

Anforderungen an das Maß der gebotenen elterlichen Aufsichtspflicht gegenüber Kindern im Alter von 5 ¿ bis 7 ¿ Jahren beim unbeaufsichtigten Spielenlassen auf einem Spielplatz.

Ein 7 ¿ jähriges Kind, dass unauffällig in seinem Verhalten ist und von seinen Eltern auf fremdes Eigentum hingewiesen wurde, bedarf keiner permanenten Aufsicht. Ihm ist das Spielen im Freien gestattet, soweit den Eltern das Tun sowie der räumliche und zeitliche Aufenthalt des Kindes bekannt ist.

Demgegenüber besteht bei einem 5 ¿ jährigen Kind das Erfordernis, es in regelmäßigen zeitlichen Abständen von höchstens dreißig Minuten zu kontrollieren.

Die Entscheidungen:

BGH, Urteil v. 24.03.2009 - VI ZR 199/08, DRsp Nr. 2009/11025
und
BGH, Urteil v. 24.03.2009 - VI ZR 51/08, DRsp Nr. 2009/11025

Redaktionelle Leitsätze

1. Normal entwickelten Kindern im Alter von 7 1/2 Jahren ist im Allgemeinen das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht gestattet, wenn die Eltern sich über das Tun und Treiben in größeren Zügen einen Überblick verschaffen.

2. Ein Aufsichtspflichtiger muss dafür sorgen, dass ein Kind im Alter von 5 1/2 Jahren auf einem Spielplatz in regelmäßigen Abständen von höchsten dreißig Minuten kontrolliert wird.

Der BGH hat in zwei Urteilen vom 24.03.2009 zum Umfang und Inhalt der Aufsichtspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern Stellung genommen.

Den Urteilen des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Partei nimmt die Beklagten in beiden Fällen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht über ihre Söhne im Alter von 5 1/2 bzw. 7 1/2 Jahren in Anspruch. Die beiden Kinder zerkratzten insgesamt 17 Pkw, die auf einem Parkplatz abgestellt waren, der zu dem Wohnkomplex gehört, in dem die Beklagten und ihre Kinder wohnen. Unter den beschädigten Pkw befanden sich auch die Fahrzeuge der Kläger. Zu dem Wohnkomplex gehört auch ein Spielplatz, auf dem die Kinder der Beklagten vor dem Schadenereignis u. a. gespielt hatten.

7 ¿jährige Kinder bedürfen grundsätzlich keiner Aufsicht

In dem Verfahren - VI ZR 199/08 - hatte das Amtsgericht ebenso wie das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Die gegen das Berufungsurteil zugelassene Revision ist vom BGH zurückgewiesen worden.

Der BGH hat wie die Vorinstanzen eine Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten verneint. Zur Begründung führt der BGH aus, dass dem Berufungsgericht darin zuzustimmen sei, dass bei dem zugrunde zu legenden Entwicklungsstand des Sohnes der Beklagten das unbeaufsichtigte Spielenlassen auf einem Spielplatz auch über einen Zeitraum von bis zu zwei Stunden in Verbindung mit der Belehrung, den Spielplatz nicht zu verlassen, unter dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Das Berufungsgericht habe zudem festgestellt, dass die Beklagten ihren Sohn angehalten hätten, das Eigentum anderer zu achten. Der Sohn der Beklagten sei auch durch ähnliche Taten bisher nicht in Erscheinung getreten und habe nicht zu Streichen oder aggressivem Verhalten geneigt. Bei einem Kind im Alter von 7 1/2 Jahren sei daher weder eine Überwachung „auf Schritt und Tritt“ noch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen, etwa halbstündigen Zeitabständen, wie bei Kleinkindern erforderlich.

Der Senat führt aus, dass Kindern in diesem Alter, wenn sie normal entwickelt seien, das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht in einem räumlichen Bereich gestattet sein müsse, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermögliche. Zum Spiel der Kinder gehöre auch, Neuland zu entdecken und zu erobern. Bei Kindern dieser Altersstufe müsse es vielmehr im Allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlaß zu besonderer Aufsicht bestehe. Anderenfalls würde jede vernünftige Entwicklung des Kindes, insbesondere der Lernprozess im Umgang mit Gefahren, gehemmt. Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagten über den Aufenthaltsort ihres Kindes im Wesentlichen informiert waren und ihren Sohn zusätzlich angewiesen hatten, den Parkplatz nicht zu betreten. Sie hätten damit das getan, was verständige Eltern nach vernünftiger Anforderung unternehmen müssten, um eine Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern.


5 1/2jährige Kinder müssen regelmäßig kontrolliert werden

In der Begründung des Urteils im Fall der Aufsichtspflichtverletzung über ein 5 1/2 Jahre altes Kind hat der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil die Ausführungen des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten ihrer Aufsichtspflicht genügt, nicht ausreichend waren.

Der BGH führt hierzu aus, dass Kindern ab einem Alter von vier Jahren zwar ein Freiraum einzuräumen sei, allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich erachtet werde. Kinder in diesem Alter dürften also ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Straße auf dem Bürgersteig spielen und müssten daher nur gelegentlich beachtet werden. Hierbei sei ein Kontrollabstand von 15-30 Minuten als zulässig anzusehen, um das Spiel von bisher unauffälligen 5 1/2jäh-rigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen.

Nicht zugestimmt werden könne dem Berufungsgericht, dass der Sohn der Beklagten über einen Zeitraum von mindestens 40 Minuten bis zu einer Stunde unbeaufsichtigt hätte bleiben dürfen. Das Risiko, dass von Kindern für unbeteiligte Dritte ausgehe, solle nach dem Grundgedanken des § 832 BGB von den Eltern getragen werde, denen es eher zuzurechnen sei, als dem unbeteiligten Dritten. Dabei sei es nicht zu vereinbaren, dass ein 5 1/2jähriges Kind über einen so langen Zeitraum ohne irgendeine Aufsicht auf einem Spielplatz verbleibe. Auch wenn die Beklagten nicht voraussehen mussten, dass ihr Kind fremde Kraftfahrzeuge mit Glasscherben beschädigt, sei bei einem fünfjährigen Kind jedenfalls nicht auszuschließen, dass es sich bei einer so langen Verweildauer ohne Aufsicht von anderen Kindern verleiten lässt oder selbst auf den Gedanken kommt, den Spielplatz zu verlassen und Streiche zu begehen, durch die Dritte geschädigt werden könnten. Dies müsse ein Aufsichtspflichtiger in Betracht ziehen und deswegen dafür sorgen, dass ein Kind im Alter von 5 1/2 Jahren in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werde.

Fazit

In beiden Entscheidungen nimmt der BGH ausführlich zum Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht von Eltern gegenüber ihren Kindern Stellung. Beiden Urteilen können somit für die tägliche Praxis wichtige Argumentationshilfen entnommen werden, um eine Klage gegen den Aufsichtpflichtigen zu begründen oder aber entsprechende Ansprüche abzuwehren.

Darüber hinaus weist der BGH in seinen Entscheidungen auch noch einmal darauf hin, dass § 832 Abs.1 BGB eine Beweislastumkehr zu Lasten des Aufsichtspflichtigen enthält, wenn der objektive Tatbestand einer unerlaubten Handlung i. S. d. § 823 Abs.1 BGB durch den Aufsichtsbedürftigen erfüllt ist.

Der Aufsichtspflichtige muss daher darlegen und beweisen, was er zur Erfüllung der Aufsichtspflicht unternommen hat. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. Entscheidend ist, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern.

Dabei kommt es nach den BGH-Urteilen für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob der Aufsichtspflicht nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls genügt worden ist. Entscheidend ist also nicht, ob der Erziehungsberechtigte allgemein seiner Aufsichtspflicht genügt hat, sondern vielmehr, ob dies im konkreten Fall und in Bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenzufügung führenden Umstände geschehen ist.

Quelle: Dr. Stephan Schröder, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Urteilsbesprechung vom 26.06.09