Verkehrsrecht -

Beweisverwertungsverbot Blutprobe

Entscheidungsbesprechung zur Verwertbarkeit einer unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO durch die Polizei angeordneten Blutprobe eines alkoholisierten Kraftfahrers.

In § 81a Abs. 2 StPO ist geregelt, dass die Anordnung zur Blutprobenentnahme dem Richter zusteht, bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch Verzögerung aber auch der Staatsanwaltschaft und ihren Ermittlungspersonen.
In Rechtsprechung und Literatur wird diskutiert, ob unter bestimmten Voraussetzungen bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt neben einem Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot bezüglich der entnommenen Blutprobe besteht.
Aktualität erlangt die Diskussion durch den Beschluss des OLG Hamm v. 12.03.2009, in dem ein Beweisverwertungsverbot angenommen wurde.
Ein Überblick über die derzeitige Rechtslage findet sich in dem Aufsatz von Professor Denker, „Blutentnahme ohne richterliche Anordnung - ein Zwischenfazit“ in DAR 2009, 257 ff.

Die jüngsten Entscheidungen im Einzelnen:

1. OLG Jena, Beschl. v. 25.11.2008 - 1 Ss 230/08

Das Amtsgericht Sondershausen verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr. In der Begründung seines Rechtsmittels führt der Angeklagte u. a. aus, dass der Verwertung des Alkoholuntersuchungsbefunds ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehe, weil die Anordnung der Entnahme der Blutprobe durch einen Polizeibeamten erfolgt sei, der zuvor nicht versucht habe, eine richterliche Anordnung zu erreichen.

Das OLG Jena hat in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig versuchen müßten, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn Gefahr im Verzug vorliege. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs müsse allerdings mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren seien, sofern die Dringlichkeit nicht evident sei. Das Bestehen einer solchen Gefährdung unterliege der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Überprüfungen. In den Ermittlungsakten seien deshalb die die Gefährdung des Untersuchungserfolges begründenden einzelfallbezogenen Tatsachen zu vermerken. Eine Gefahr im Verzug i.S.v. §81 a Abs. 2 StPO sei vorliegend nicht gegeben gewesen, weil zunächst bei dem durchgeführten Atemalkoholtest ein Wert von 1,94 ‰ festgestellt und später eine BAK zur Tatzeit von 2,15 ‰ ermittelt wurde. Bei diesem Ermittlungsbild hätte der Polizeibeamte davon ausgehen müssen, dass der mögliche Abbau der BAK während der Zeitdauer bis zur Erlangung einer richterlichen Entscheidung nicht zum Beweisverlust führen würde. Das OLG Jena geht somit von einem Beweiserhebungsverbot aus, wobei nach Ansicht des Gerichts daraus nicht gleichzeitig ein Beweisverwertungsverbot folge.

Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung sei nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter zu überprüfen, ob ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Der Senat führt aus, dass als betroffene Rechtsgüter das hochrangige Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nach § 316 StGB und das Grundrecht des Angeklagten auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegeneinander abzuwägen seien. Von Bedeutung sei im vorliegenden Fall allerdings, dass die Anordnung der getroffenen Eilmaßnahme (Blutentnahme) der Polizei nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet sei. Obwohl die Voraussetzungen des § 81a Abs. 2 StPO nicht vorlagen, hätte die Verletzung des Richtervorbehalts deshalb aus objektiver Sicht kein geringeres Gewicht. Hinzu komme, dass aus objektiver Sicht dem Umstand Bedeutung zugemessen werden müsse, dass ein richterlicher Anordnungsbeschluss aller Voraussicht nach ergangen wäre. Nach der Rechtsprechung des BGH wäre ein Beweisverwertungsverbot daher allenfalls bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines nach dem Maßstab objektiver Willkür besonders schwerwiegenden Fehlers anzunehmen. Ein derart schwerwiegender Fehler sei allerdings aufgrund der Gesamtschau der in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkte nicht anzunehmen. Zwar sprächen das Ergebnis des Atemalkoholtests und die erkennbar alkoholbedingten körperlichen Ausfallerscheinungen des Angeklagten deutlich dafür, dass der bei Einholung einer richterlichen Anordnung zu erwartende weitere Abbau der BAK so gering sein werde, dass dem mittels Rückrechnung ohne weiteres hätte begegnet werden können. Nach dem Maßstab objektiver Willkür sei es aber jedenfalls kein besonders schwerwiegender Fehler, wenn der Polizeiobermeister angesichts des Zeitpunkts des Atemalkoholtests um 19.52 Uhr davon ausgegangen ist, keinen Richter mehr erreichen zu können.


2. OLG Hamm, Beschl. v. 02.12.2008 - 4 Ss 466/08

Der Entscheidung des OLG Hamm lag die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung bei einer Blutalkoholkonzentration von 3,26 ‰ zugrunde. Auch in diesem Fall hatte der Angeklagte mit der Sprungrevision der Verwertung des Untersuchungsbefunds der Blutprobenentnahme widersprochen. Der Senat hat im zu entscheidenden Fall ein Beweisverwertungsverbot nicht angenommen. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die Eilanordnung der Polizei nicht schlechthin verboten war und ein richterlicher Anordnungsbeschluss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre. Von einer bewussten Umgehung des Richtervorbehalts oder willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug sei daher nicht auszugehen.


3. OLG Hamm, Beschl. v. 12.03.2009 – 3 Ss 31/09

Dieser Entscheidung lag die Verurteilung des Angeklagten wegen Vollrauschs bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,60 ‰ zugrunde. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Anders als in der Entscheidung vom 02.12.2008 hat der Senat vorliegend ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Der Senat stellte zunächst fest, dass ein Beweiserhebungsverbot bestanden habe, weil die Voraussetzungen der Gefahr im Verzug nicht vorgelegen habe. Ob Gefahr im Verzug vorliegt, beurteile sich danach, ob durch die vorherige Anrufung des Gerichts die Gefährdung des Untersuchungserfolgs aufgrund einzelfallbezogener Tatsachen zu gewärtigen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Der Sachverhalt sei sehr einfach gelagert gewesen, so dass eine richterliche Anordnung auf telefonischem Wege einholbar gewesen wäre. Gefahr im Verzug wäre nur dann anzunehmen gewesen, wenn Umstände vorgelegen hätten, wie etwa die nicht sofortige Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters oder dessen gleichzeitige Befassung mit anderen dringlichen Rechtssachen oder seine Weigerung, ohne Vorlage schriftlicher Unterlagen zu entscheiden. Der Verstoß gegen den Richtervorbehalt führe im Weiteren auch zu einem Beweisverwertungsverbot. Von einem solchen sei immer dann auszugehen, wenn die Annahme von Gefahr im Verzug willkürlich erfolge oder auf einer besonders groben Fehlbeurteilung beruhe. Im vorliegenden Fall ging der Senat von einem objektiv willkürlichen Vorgehen bzw. sogar einem groben Verstoß des handelnden Polizeibeamten aus. Der die Blutprobenentnahme anordnende Polizeibeamte habe sich keinerlei Gedanken über die Fragen von Gefahr im Verzug und richterlicher Anordnungskompetenz gemacht oder eine entsprechende Prüfung vorgenommen. Vielmehr habe er aufgrund „langjähriger Praxis“ eine eigene Anordnung getroffen. Das sei schon unabhängig von der Betrachtung jeglicher verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung rechtlich bedenklich, da dies bereits nach dem Gesetzeswortlaut seit jeher unabdingbare Voraussetzung für einen Verzicht auf die Einschaltung eines Richters war. Der Senat hebt besonders hervor, dass eine langjährige Praxis nicht geeignet sei, die gesetzlichen Anforderungen außer Kraft zu setzen.


4. OLG Bamberg, Beschl. v. 19.03.2009 – 2 Ss 15/09

In diesem Fall ist der Angeklagte mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,21 ‰ wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden. Der Angeklagte hat sich ebenfalls gegen die Verwertung des Ergebnisses der Blutalkoholuntersuchung gewehrt.

Der Senat hat im vorliegenden Fall ebenfalls ein Beweiserhebungsverbot angenommen, ein Beweisverwertungsverbot allerdings nicht feststellen können. Zur Begründung führt der Senat aus, dass die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs i.S.d. § 81a Abs. 2 StPO u.a. erfordere, dass ein auf den Einzelfall bezogene und in den Ermittlungsakten zu dokumentierende Prognoseentscheidung der mit der Sache befassten Ermittlungsperson zur mutmaßlichen zeitlichen Verzögerung festgestellt werden müsse.

In die Prognoseentscheidung seien folgende Umstände einzubeziehen:

  • die wahrscheinliche Dauer bis zum Eintreffen eines Arztes auf der Dienststelle bzw. bis zum Erreichen eines Krankenhauses und damit bis zur tatsächlichen Möglichkeit zur Blutentnahme,
  • die eintretende zeitliche Verzögerung mit oder ohne Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung,
  • die bisher festgestellten konkreten Tatumstände am Ort der Kontrolle und
  • das Verhalten des Beschuldigten.

Eine unberechtigte Inanspruchnahme der Eilanordnungskompetenz des § 81a Abs. 2 StPO führe aber nur dann zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Voraussetzungen von Gefahr im Verzug willkürlich angenommen, der Richtervorbehalt bewusst oder gezielt umgangen bzw. ignoriert werde oder wenn die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage in gleichgewichtiger Weise gröblich verkannt bzw. fehlerhaft beurteilt werde. Dies sei im vorliegenden Fall nicht anzunehmen, weil der Amtsermittlungsgrundsatz dann zu stark eingeschränkt werden würde.

Im vorliegenden Fall hätte ein entsprechender Beschluss des ersuchten Ermittlungsrichters ergehen müssen. Zudem spräche gegen ein Verwertungsverbot auch die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter. Mit der Blutentnahme selbst sei nur ein minimaler Eingriff in die nur einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterstellte körperliche Unversehrtheit i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbunden, der heute als Standardmaßnahme bei jeder medizinischen Behandlung zu diagnostischen Zwecken regelmäßig und ohne weitere körperliche Beeinträchtigung und Risiken vorgenommen werde. Dem stehen durch § 316 StGB bzw. § 315c StGB geschützte hochrangige Interessen an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gegenüber, die es erforderlichen machen, Leib und Leben der am Straßenverkehr teilnehmenden Bevölkerung dadurch zu schützen, dass die von alkoholisierten Verkehrsteilnehmern ausgehenden erheblichen Gefährdungen vermindert oder gar beseitigt werden.


Fazit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass alle Gerichte zwar in ihren Entscheidungen davon ausgehen, dass bei der Anordnung der Blutprobenentnahme durch den Polizeibeamten Gefahr im Verzug i.S.v. § 81a Abs. 2 StPO nicht vorlag und somit ein Beweiserhebungsverbot besteht, dass daraus jedoch nicht zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot folge. Die Gerichte heben hervor, dass dies nur dann anzunehmen sei, wenn von objektiver Willkür oder grober Fehlbeurteilung auszugehen ist.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Stephan Schröder, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Entscheidungsbesprechung vom 22.05.09