Verkehrsrecht -

Empfehlungen des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstags

Bericht über die Empfehlungen der Arbeitskreise des 47. Verkehrsgerichtstags, der vom 28. bis 30.01.2009 in Goslar stattfand.

In sieben Arbeitskreisen wurden wieder aktuelle Themen aus dem Bereich des Verkehrsrechts diskutiert. Die Empfehlungen der Arbeitskreise des Verkehrsgerichtstags hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren immer wieder aufgegriffen und in entsprechende Gesetze und Verordnungen umgesetzt.

Im nachfolgenden sollen die von den Arbeitskreisen ausgesprochenen Empfehlungen kurz dargestellt werden.

Arbeitskreis I: Grenzüberschreitende Unfallregulierung

Im Arbeitskreis I wurden unter der Leitung von Professor Dr. Staudinger Probleme der grenzüberschreitenden Unfallregulierung in der EU erörtert. In seiner Empfehlung begrüßt der Arbeitskreis zunächst das Urteil des EuGH vom 13.12.2007 - C - 463/06 - Odenbreit), nach dem der Geschädigte eines Verkehrsunfalls im Ausland seinen Anspruch gegen die Versicherung in Deutschland gerichtlich geltend machen kann. Der Arbeitskreis appelliert in diesem Zusammenhang auch an die EU-Kommission und die Bundesregierung, im Binnenmarkt auf ein einheitliches internationales Deliktsrecht hinzuwirken.

Nach Ansicht des Arbeitskreises ist es zulässig, die Klage dem Regulierungsbeauftragten zuzustellen (vgl. § 171 ZPO, Art. 4 Abs. 5 der 4. KH-Richtlinie). Nach einhelliger Ansicht ist eine Direktklage auch gegen Versicherungen in der Schweiz, Norwegen und Island aufgrund des Lugano-Übereinkommens zulässig. Das Haager Übereinkommen zu grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen sollte für alle EU-Staaten durch die ROM II-Verordnung ersetzt werden – was in Deutschland bereits erfolgt ist.

Aufgrund der EU-Regelungen fordert der Arbeitskreis auch eine nachhaltige Intensivierung der Richterfortbildung und die Schaffung der nötigen Ressourcen durch die Landesjustizminister. Zusätzlich wird gefordert, dass die EU-Kommission die notwendigen Hilfsmittel zur Ermittlung des ausländischen Schadenersatzrechts bereitstellt (z. B. Datenbanken, Kompendien).

Zur Kostenreduzierung und Beschleunigung der Verfahren regt der Arbeitskreis schließlich mit großer Mehrheit eine Zuständigkeitskonzentration bei der Justiz an.


Arbeitskreis II: Quotenbildung nach dem VVG

Im Arbeitskreis II wurde unter der Leitung von Professor Looscheiders über Quotenbildung nach dem VVG diskutiert. Seit dem 01.01.2009 gilt das neue VVG auch für Altverträge, so dass die Empfehlungen des Arbeitskreises II auch in der täglichen Rechtspraxis von Bedeutung sein könnten. Soweit ersichtlich gibt es Rechtsprechung zur Quotenbildung nach dem neuen VVG bisher nicht.

Nach Ansicht des Arbeitskreises II kommt eine Quotenbildung nach dem VVG nur in Betracht, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Die Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit und die Anforderungen an ihren Nachweis hätten sich durch die Möglichkeit einer Quotenbildung nicht verändert. Einziges Bemessungskriterium für die Quotelung sei die Schwere des Verschuldens. Billigkeits- oder Strafrechtserwägungen sollten außer Betracht bleiben. Da der Grenzbereich der groben Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz auf der einen Seite und zur einfachen Fahrlässigkeit auf der anderen Seite fließend ist, ist der gesamte Bereich der möglichen Quotenbildung von der vollständigen Leistungskürzung bis zur vollständigen Leistung auszunutzen. Um dem Rechtsanwender im Massengeschäft ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, das im Regelfall eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht, erscheine die Bildung von Musterquoten sachlich geboten. Dabei sollten nur wenige Quotelungsstufen (0 %, 25 %, 50 %, 75 % und 100 %) verwendet werden.

Maßstab für die Bildung der Musterquoten sei das objektive Gewicht der verletzten Sorgfaltspflicht. Für die abschließende Entscheidung könne und müsse ggf. die Musterquote nach den Umständen des Einzelfalls abgeändert werden. Dabei seien auf Seiten des Versicherungsnehmers auch subjektive Elemente zu berücksichtigen. Bei (relativer und absoluter) alkoholbedingter oder drogenbedingter Fahruntüchtigkeit oder Fahruntüchtigkeit aufgrund von Medikamentenmissbrauchs wird als Musterquote eine Kürzung von 100 % empfohlen. Bei mehrfachen Kürzungsgründen soll allein eine wertende Gesamtbetrachtung nach der Schwere des Verschuldens erfolgen. Die in der Literatur entwickelten mathematischen Modelle sowie das Modell der Konsumption werden vom Arbeitskreis II nicht empfohlen.

Schließlich fordert der Arbeitskreis dazu auf, ein gemeinsames Gremium aus Vertretern von Verbraucherschutzverbänden (z. B. Automobilclubs), der Versicherungswirtschaft, der Anwaltschaft und der Richterschaft zu bilden. Dieses solle baldmöglichst eine Tabelle von Musterquoten als Orientierungsrahmen für den Bereich der Kraftfahrt-Versicherung erstellen.

In diesem Zusammenhang ist auch auf den Aufsatz von F. Richter, der für einen großen Kfz-Versicherer tätig und zugleich Lehrbeauftragter an der FH Wiesbaden ist, in SVR 2009, S. 13 ff. verwiesen. Sein Aufsatz trägt den Titel: „Überlegungen zur quotierten Leistungsfreiheit in der Fahrzeugversicherung“.


Arbeitskreis III: Atem- und Blutalkoholmessung

Der Arbeitskreis III unter der Leitung von Professor König diskutierte das Thema: „Atem- und Blutalkoholmessung auf dem Prüfstand“.

Diskussionsschwerpunkt war die Frage, ob die Atemalkoholanalyse (AAK-Analyse) als Beweismittel im strafrechtlichen Bereich geeignet ist. Hiergegen bestehen erhebliche Bedenken. Diskussionsgegenstand war auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.07.2008 - 2 BvR 784/08, DAR 2008, 691 -, wo es im Leitsatz wie folgt heißt: „Der gerichtliche Maßstab bei Überprüfung eines Beweisverwertungsverbots bezüglich einer ohne richterliche Anordnung vorgenommenen Blutprobenentnahme ist ein anderer als bei der richterlichen Überprüfung des Eingriffs durch eine Blutentnahme als solche.“

Im Arbeitskreis III wird die Ansicht vertreten, dass die Atemalkoholanalyse die Blutalkoholanalyse bei der strafrechtlichen Ahndung von Alkoholfahrten nicht ersetzen kann. Die Blutalkoholanalyse bleibe vielmehr weiterhin unverzichtbar.

Der Arbeitskreis ist im Weiteren der Auffassung, dass die Atemalkoholanalyse gegenwärtig kein geeignetes Beweismittel zur Feststellung sog. „absoluter“ Fahrunsicherheit sei. Der Arbeitskreis empfiehlt deshalb eine weitere umfassende Forschungsarbeit unter Einbeziehung der Rechtsmedizin, der Justiz und der Polizei. Fahrten unter der Wirkung von Alkohol und anderen Rauschmitteln sollten im Interesse der Verkehrssicherheit effektiv geahndet werden. Dafür sei es wegen des raschen Abbaus der Wirkstoffkonzentration unabdingbar, dass eine erforderliche Blutprobe möglichst zeitnah entnommen wird. Der Arbeitskreis ist im Hinblick auf die anderenfalls zu befürchtenden Beeinträchtigungen des Beweisergebnisses der Auffassung, dass bei Trunkenheitsfahrten typischerweise jedes Zuwarten eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs nach sich ziehe, die die Anordnung der Blutentnahme durch die Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft rechtfertige. Der Gesetzgeber solle die in der Frage der Anordnungskompetenz derzeit zu konstatierende Rechtsunsicherheit beseitigen. Der Richtervorbehalt bei Anordnung der Blutentnahme solle jedenfalls in Verkehrsstrafsachen wegfallen. Letzteres wird in der täglichen Praxis bereits praktiziert.

Der Arbeitskreis III empfiehlt zudem zwei unabhängige gaschromatographische Verfahren (GC-Verfahren) aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht zur sicheren forensischen BAK-Bestimmung als geeignet anzusehen. Daher sollten auch Doppelbestimmungen mit zwei unabhängigen GC-Verfahren als eigenständige Methode zur BAK-Bestimmung anerkannt werden.

Ein Beitrag zu „Problemen bei Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAK)“ findet sich in SVR, 2009, S. 21 ff.


Arbeitskreis IV: Fahrrad im Straßenverkehr

Im Arbeitskreis IV wurde die Frage diskutiert: „Radfahrer im rechtsfreien Raum“. Die Leitung des Arbeitskreises hatte Professor Geppert.

Der Arbeitskreis empfiehlt angesichts der wachsenden Bedeutung, seiner zunehmenden Nutzungsakzeptanz und damit verbundener steigender Gefahrenpotentiale, das Fahrrad in der Verkehrspolitik, der Verkehrsplanung sowie der Verkehrsregelung und -überwachung als vollwertiges gleichberechtigtes Verkehrsmittel anzuerkennen. Nach allen Erfahrungen der Polizei und neuesten empirischen Erkenntnissen sei die mangelnde Normenakzeptanz bei Radfahrern vor allem beim Fahren auf der falschen Straßenseite, Rotlichtverstößen, unbefugter Gehwegnutzung, Fahren ohne Licht sowie mit nicht angepasster Geschwindigkeit in gefahrträchtigen Situationen festzustellen. Radfahrer ihrerseits werden besonders durch Regelverstöße von Kraftfahrern gefährdet. Auch diese Erkenntnisse seien bei der Verkehrsaufklärung / Verkehrserziehung, der Verkehrsplanung und nicht zuletzt bei der Verkehrsüberwachung zu berücksichtigen. Der Arbeitskreis spricht weiterhin Empfehlungen hinsichtlich der Verkehrserziehung, der Planung, dem Bau und der Unterhaltung von Anlagen für den Radverkehr aus und befasst sich auch mit der Problematik des Fahrradparkens. Der Arbeitskreis empfiehlt den Teilnehmern am Radfahrverkehr das Tragen eines Helms sowie dringend den Abschluss einer Haftpflichtversicherung.

Diese Empfehlung ist sicherlich mehr als sinnvoll, wie die schweren Kopfverletzungen bei Fahrradunfällen zeigen. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass auf Grund des Umstands, dass für Radfahrer keine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen eines Fahrradhelms besteht, der Annahme des Mitverschuldens für den Radfahrer bei einem Verkehrsunfall mit Kopfverletzungen grundsätzlich nicht entgegenstehe. Während man von einem Freizeitfahrer ohne sportliche Ambitionen nicht ohne Weiteres verlangen könne, zu seinem Eigenschutz einen Fahrradhelm zu tragen, ist die Lage bei besonders gefährdeten Radfahrergruppen, wie radsporttreibenden Rennradfahrern, anders zu beurteilen, vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.02.2007 - I-U 182/06, DAR 2007, 458 = SP 2007, 167.

Der Arbeitskreis sieht darüber hinaus weiteren Diskussionsbedarf insbesondere zur Problematik der Identifizierbarkeit von Radfahrern sowie der Gewährleistung, dass nur Fahrräder mit zeitgemäß technischer Ausstattung am Straßenverkehr teilnehmen.


Arbeitskreis V: Tempoüberwachung

Der Arbeitskreis V unter der Leitung von Siegfried Brockmann hat sich mit dem in der Öffentlichkeit am meisten beachteten Problem der „Section-Control - neue Wege zur Tempoüberwachung?“ befasst.

Die Überwachung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat nachweislich einen erheblichen Einfluss auf die Reduktion von Unfallhäufigkeit und -schwere. Für Strecken mit einer Häufung schwererer, geschwindigkeitsbedingter Unfälle ist die punktuelle Überwachung nur bedingt geeignet. Daher sollten dort streckenbezogene Überwachungsformen gewählt werden. Section-Control könnte eine neue Möglichkeit sein, diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Der Arbeitskreis ist allerdings einvernehmlich der Auffassung, dass das geltende Recht die Einführung von Section-Control nicht zulässt. Es wurde daher mit knapper Mehrheit die Durchführung eines Versuchs in einem Bundesland befürwortet. Zu diesem Zweck wird der Gesetzgeber aufgefordert, die erforderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Der Arbeitskreis weist darauf hin, dass insbesondere datenschutz- und verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden müsse. Die erhobenen Daten dürften ausschließlich für die Geschwindigkeitsüberwachung verwendet werden. Eine Verknüpfung mit anderen Registern oder gespeicherten Daten sei unzulässig. Zudem sei technisch sicherzustellen, dass Daten zu Fahrzeugen, mit denen die Geschwindigkeit nicht überschritten wurde, nach Abschluss der Messung sofort automatisch und spurlos gelöscht werden.

Sog. Section-Controls werden bereits mit großem Erfolg in Österreich durchgeführt.


Arbeitskreis VI: Befristung der Fahrerlaubnis

Im Arbeitskreis VI ging es unter der Leitung von Wolfgang Voigt um die Befristung und Beschränkung der Fahrerlaubnis.

Diskussionsschwerpunkt war die 3. Führerscheinrichtlinie der EU, die den Mitgliedsstaaten vorschreibt, ab 2013 eine zeitliche Befristung von Führerscheinen auf zehn Jahre, maximal 15 Jahre vorzunehmen. Mit Blick auf das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip sei der deutsche Gesetzgeber gehalten, unter Berücksichtigung der sozialen Bedeutung des Autofahrens den Rahmen von 15 Jahren auszuschöpfen. Von der dem deutschen Gesetzgeber eingeräumten Ermächtigung, anlässlich der Erneuerung des Führerscheins eine Prüfung der Mindestanforderungen an die körperliche und geistige Tauglichkeit auch beim Fahren von Pkw und Motorrädern anzuordnen, sollte kein Gebrauch gemacht werden. Dies ergebe sich aus der empirisch gesicherten Feststellung, dass damit im Regelfall kein relevanter unfallsenkender Effekt verbunden ist. Dies gelte auch für ältere Verkehrsteilnehmer, zumal kein gesicherter direkter Zusammenhang zwischen zunehmendem Alter, gesundheitsbedingter Leistungseinschränkungen und Unfallhäufigkeit besteht.

Vor diesem Hintergrund ist auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Verzicht auf die Inanspruchnahme der Ermächtigung geboten. Wenn im Einzelfall aufgrund von Tatsachen Bedenken gegen die uneingeschränkte Eignung bestehen und durch eine Untersuchung schwerwiegende Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit festgestellt worden sind, ist in der Regel mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip das Vorliegen einer bedingten Eignung zu prüfen. In Frage komme etwa die Erteilung von Auflagen und/oder die Beschränkung auf Fahrten bei Tageslicht, im Umkreis der Wohnung und der Ausschluss von Fahrten auf Autobahnen. Zur Erhaltung der Fahrkompetenz appelliert der Arbeitskreis insbesondere an älteren Menschen, selbst etwas zu tun, um sich körperlich und geistig fit zu halten. Der Arbeitskreis weist im übrigen erneut auf die Verantwortung der Ärzteschaft zur Aufklärung und Beratung der Autofahrer hin.


Arbeitskreis VII: Vereinfachung des Punktesystems

Im Arbeitskreis VII wurden unter der Leitung von Professor Janbernd Oebbecke der Themenbereich: „Probleme mit den Punkten“ diskutiert.

Der Arbeitskreis empfiehlt eine Vereinfachung der Vorschriften des bestehenden Punktesystems.

Das zur Zeit geltende Punktesystem ist sowohl im StVG als auch in der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) geregelt. Insbesondere die Tilgungshemmung und die Überlegefrist bereiten Praktikern und Behörden Probleme. Der Arbeitskreis empfiehlt daher eine Tilgungshemmung und die Überlegefrist entfallen zu lassen und gleichzeitig die Tilgungsfrist des § 29 Abs. 1 StVG und die Punkteschwelle überprüfen zu lassen. Der Arbeitskreis spricht sich dafür aus, dass ab Erreichen der Punkteschwelle von derzeit acht Punkten das Kraftfahrt-Bundesamt den Betroffenen über jede weitere Eintragung  unterrichtet. Bereits bei Mitteilung von Entscheidungen, die zu Eintragungen im Verkehrszentralregister führen, soll dem Betroffenen die Punktebewertung für die Zuwiderhandlung bekanntgegeben werden. Schließlich empfiehlt der Arbeitskreis, dass in § 63 Abs. 1 FeV die vorzeitige Tilgung auch für den Fall des Entzugs der Fahrerlaubnis wegen Nichtteilnahme an einem Aufbauseminar vorgesehen werden soll.

Die Regelung über Aufbauseminare in den §§ 2 a und 4 StVG und ihr Verhältnis zueinander sollen schließlich vom Gesetzgeber überprüft werden. Unabhängig von den übrigen Vorschlägen sollen die Wirkungen der Maßnahme nach § 4 StVG im Hinblick auf die Verkehrssicherheit evaluiert werden.

Quelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Dr. Stephan Schröder, Kiel - Beitrag vom 10.02.09