Verkehrsrecht -

Entschädigung auf Neuwagenbasis nur bei Kauf eines fabrikneuen Ersatzfahrzeugs möglich

Die Entscheidung: BGH, Urteil vom 09.06.2009 – VI ZR 110/08

Der BGH legt sich fest: Der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt worden ist, kann den ihm entstandenen Schaden nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft hat.

Darum geht es:
Die Klägerin nimmt den Beklagten, das Deutsche Büro Grüne Karte e.V. auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall in Anspruch. Bei dem Unfall wurde ihr Pkw, ein BMW M 6 Coupé im linken Seitenbereich beschädigt. Die Klägerin hatte den Pkw am Tag vor dem Unfall als Geschäftsfahrzeug zum Preis von etwa 98.000 € erworben und war bis zum Unfallzeitpunkt mit diesem ca. 670 km gefahren. Die volle Haftung des Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien stritten in dem Rechtsstreit über die Frage, ob die Klägerin den ihr entstandenen Sachschaden auf Neuwagenbasis abrechnen kann.

Wesentliche Entscheidungsgründe:
Wie das OLG vertritt auch der BGH die Auffassung, dass der Pkw der Klägerin zum Unfallzeitpunkt neuwertig war und durch den Unfall erheblich beschädigt wurde. Dem Grunde nach besteht somit ein Anspruch auf Neupreisentschädigung.

Neuwertiges Fahrzeug
Der BGH führt - wie bereits mehrfach von ihm entschieden - aus, dass Fahrzeuge mit einer Fahrleistung von nicht mehr als 1.000 km im Regelfall als fabrikneu anzusehen seien.

Erhebliche Beschädigung
Auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Pkw der Klägerin sei bei dem Unfall erheblich beschädigt worden, sei nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht gehe zutreffend davon aus, dass die Erheblichkeit einer Beschädigung nicht in erster Linie anhand der Schwere des eingetretenen Unfallschadens, sondern anhand des Zustands zu beurteilen sei, in dem sich das Fahrzeug nach einer fachgerechten Reparatur befinden würde.

Danach könne eine erhebliche Beschädigung nicht angenommen werden, wenn durch den Unfall lediglich Fahrzeugteile betroffen wurden, die im Rahmen einer fachgerecht durchgeführten Reparatur spurenlos ausgewechselt werden können, und die Funktionstüchtigkeit und die Sicherheitseigenschaft des Fahrzeugs, insbesondere die Karosseriesteifigkeit und das Deformationsverhalten nicht beeinträchtigt seien.

Der BGH vertritt die Auffassung, dass eine erhebliche Beschädigung dann vorliegt, wenn beim Unfall tragende oder sicherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchassis beschädigt werden und die fachgerechte Instandsetzung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbeiten am Fahrzeug erfordert. Denn durch derartige Arbeiten werde in erheblicher Weise in das Gefüge des Fahrzeugs eingegriffen. Indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit der Beschädigung könne in der erforderlichen Gesamtbetrachtung auch einem hohen merkantilen Minderwert zukommen.

Besonderheiten bei Neufahrzeugen
Dagegen sei bei Fahrzeugen mit einer Laufleistung von nicht mehr als 1.000 km nicht erforderlich, dass nach Durchführung der Instandsetzungsarbeiten noch erhebliche Schönheitsfehler verbleiben, Garantieansprüche gefährdet seien oder ein Unsicherheitsfaktor gegeben sei.

Ebenso wenig komme es darauf an, ob die Unfallschäden bei einem späteren Verkauf ungefragt offenbart werden müssen oder ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB begründen.

Auch die gewerbliche Nutzung des Unfallfahrzeugs wirkt sich nicht auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz der für die Beschaffung eines Neufahrzeugs erforderlichen Kosten aus.

Da das klägerische Fahrzeug für Akquisitionsfahrten eingesetzt wurde, sei es der Klägerin grundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur des erheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung eines den merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetrags zu begnügen.

Gebot der Wirtschaftlichkeit
Schließlich führt der BGH in seinen Entscheidungsgründen aus, dass die Zubilligung der Neupreisentschädigung auf einer Einschränkung des aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebots beruhe. Ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Erstattung der im Vergleich zum Reparaturaufwand höheren und damit an sich unwirtschaftlichen Ersatzbeschaffungskosten sei das besondere Interesse des Geschädigten am Eigentum und an der Nutzung seines Fahrzeugs. Die mit dem erhöhten Schadensausgleich einhergehende Anhebung der „Opfergrenze“ des Schädigers sei allein zum Schutz dieses besonderen Interesses des Geschädigten gerechtfertigt. Dies gelte aber nur dann, wenn der Geschädigte im konkreten Einzelfall tatsächlich einsolches Interesse hat und dieses durch den Kauf eines Neufahrzeugs nachweise. Nur dann sei die Zuerkennung einer den Reparaturaufwand übersteigenden und damit an sich unwirtschaftlichen Neupreisentschädigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot zu vereinbaren. Insoweit könne nichts anderes gelten, als im umgekehrten Fall, in dem der Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs um bis zu 30 % übersteige. Verzichtet der Geschädigte dagegen auf den Kauf eines Neufahrzeugs, fehle es an dem inneren Grund für die Gewährung einer Neupreisentschädigung. Ein erhöhter Schadenausgleich wäre verfehlt. Er hätte eine ungerechtfertigte Aufblähung der Ersatzleistung zur Folge und führe zu einer vom Zweck des Schadensausgleichs nicht mehr gedeckten Belastung des Schädigers.

Anmerkung des Verfassers:
Das Urteil des BGH hat erhebliche Auswirkungen auf die Beratungstätigkeit der Anwaltschaft.

Der BGH hat mit seinem Urteil nunmehr die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Rechtsfrage dahingehend geklärt, dass auf Neuwagenbasis nur abgerechnet werden kann, wenn ein fabrikneues Ersatzfahrzeug gekauft wird. Der BGH schließt sich damit unter anderem der Ansicht des LG Waldshut-Tiengen, NJW-RR 2002, 1243 und der von Heinrichs in Palandt, BGB, 68. Auflage, § 249 Rd-Nr.: 22 vertretenen Auffassung an. Die Gegensansicht hatte bisher argumentiert, dass der Kauf eines Ersatzfahrzeuges nicht erforderlich sei.Sie billigt dem Geschädigten einen Anspruch auf Ersatz fiktiver Neuanschaffungskosten zu. Denn der innere Grund der Neupreisentschädigung liege darin, dass in Fällen der nachhaltigen Beschädigung eines Neuwagens nur der Neuerwerb alle vermögenswerten Nachteile auszugleichen geeignet sei. Wie der Geschädigte dann mit der Ersatzleistung verfahre, sei nach der Konzeption des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB allein ihm überlassen (vgl. OLG Zweibrücken, SP 2004, 160, 161, Knerr in Geigel/Schlägelmichel, Der Haftpflichtprozess, 25. Auflage, Kapitel 3, Rd-Nr. 20).

Die vom BGH vertretene Auffassung überzeugt. Aus § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ergibt sich das Wirtschaftlichkeitspostolat, welches dem Geschädigten grundsätzlich gebietet, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in seiner individuellen Lage als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einem dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen. Eine Ausnahme hiervon besteht nach der BGH Rechtsprechung, wenn ein besonderes Interesse des Geschädigten am Eigentum und an der Nutzung seines Fahrzeuges besteht. Dieses besondere Intrgritätsinteresse weist der Geschädigte durch den Kauf eines Neufahrzeuges nach. Nur unter dieser Voraussetzung ist daher die Zuerkennung einer den Reparaturaufwand übersteigenden und damit an sich unwirtschaftlichen Neupreisentschädigung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu vereinbaren.

Der BGH zieht mit diesem Urteil eine Parallele zu seiner 130%-Rechtsprechung.

Quelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Dr. Stephan Schröder, Kiel - Urteilsbesprechung vom 09.06.09