Verkehrsrecht -

Haftungsverteilung bei Kollision eines Fahrzeugs mit einem Einsatzwagen der Feuerwehr

OLG Brandenburg, Urt. v. 05.11.2009 — 12 U 151/08

Urteilsbesprechung: Kommt es zur Kollision eines Fahrzeugs, das trotz wahrnehmbaren Blaulichts und Martinshorns eines Einsatzwagens der Feuerwehr in den Kreuzungsbereich einfährt und dort mit diesem kollidiert, so ist eine hälftige Schadensteilung angemessen.

Darum geht es

Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, an dem der Kläger mit seinem Pkw und der Beklagte mit einem im Einsatz befindlichen Feuerwehrfahrzeug beteiligt waren. Der Kläger war nach seinem Vortrag bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich hinein gefahren. Demgegenüber ist das Feuerwehrfahrzeug bei Rotlicht in die Kreuzung hinein gefahren. Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob bei dem Einsatzfahrzeug Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet waren und ob das Martinshorn für den Kläger wahrnehmbar war. Das zunächst mit der Angelegenheit befasste Landgericht hat eine Schadenverteilung von 3/4:1/4 zu Lasten des Beklagten vorgenommen.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Zur Begründung führt der Kläger u. a. aus, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft zu einer Mithaftung aus dem Gesichtspunkt der allgemeinen Betriebsgefahr gekommen sei.

Der Beklagte begründet seine Berufung im Wesentlichen damit, dass die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung zu seinen Lasten unangemessen sei und den festgestellten und tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht werde. Zu seinen Lasten komme allenfalls eine Haftungsquote von 1/3 in Betracht. Der überwiegende Verursachungs- und Verschuldensanteil liege beim Kläger, dem ein eklatanter Verstoß gegen § 38 StVO zur Last falle.

Wesentliche Entscheidungsgründe
Das OLG Brandenburg vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall eine Schadenverteilung von 50:50 vorzunehmen sei.

Unabwendbares Ereignis weder für Kläger noch für den Beklagten
Zunächst sei festzustellen, dass keine Partei den Nachweis erbracht habe, dass für sie ein unabwendbares Ereignis i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG vorliege.

Für den Beklagten sei ein unabwendbares Ereignis bereits deshalb nicht anzunehmen, weil er in der Berufungsinstanz einen Mitverursachungsanteil des im Einsatz befindlichen Feuerwehrlöschfahrzeugs in Höhe von 1/3 ausdrücklich eingeräumt habe. Auf Seiten des Klägers sei aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme und der Aussagen der Zeugen nicht von einem unabwendbaren Ereignis auszugehen, selbst dann, wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, er habe das Martinshorn tatsächlich nicht wahrgenommen. Denn für ihn bestand hinreichend Anlass, seine Fahrt trotz des für ihn geltenden grünen Ampellichts nicht unverändert fortzusetzen. Der Beklagte habe bereits erstinstanzlich unbestritten vorgetragen, dass andere Fahrzeugführer trotz der für sie geltenden grünen Ampel vor der Kreuzung angehalten haben, um dem Feuerwehrfahrzeug freie Bahn zu gewähren. Hätten jedoch bereits andere in der freigegebenen Fahrtrichtung fahrende Fahrzeuge vor der Kreuzung trotz des für sie abstrahlenden Grünlichts angehalten, habe für den Kläger hinreichend Anlass bestanden, seine Fahrweise ebenfalls darauf einzustellen und entsprechend zu reagieren. Zugleich folge hieraus, dass das Martinshorn jedenfalls für die anderen Verkehrsteilnehmer hinreichend wahrnehmbar war, da sie anderenfalls nicht trotz grünen Ampellichts angehalten hätten. Dies spreche dafür, dass das Martinshorn auch für den Kläger jedenfalls bei hinreichender Aufmerksamkeit wahrnehmbar gewesen wäre.

Haftungsverteilung
Im Anschluss an diese Feststellungen nimmt das OLG Brandenburg eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr vor und führt aus, dass jede Seite dabei die Umstände zu beweisen habe, die der Gegenseite zum Verschulden gereichen, aus denen sie für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägungen für sich günstige Rechtsfolgen herleiten wolle.

Pflichtwidrigkeit des Beklagten
Komme es zu einem Zusammenstoß zwischen einem Einsatzfahrzeug, welches unter Inanspruchnahme der Sonderrechte nach den §§ 35, 38 StVO in eine durch Rotlicht gesperrte Kreuzung einfährt, ohne dass dessen Fahrer die gebotene Sorgfalt walten lässt, und einem Kraftfahrer, der trotz rechtzeitig wahrnehmbaren Blaulichts und Martinshorns das Wegerecht des Einsatzfahrzeugs nicht beachtet, hängt die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile vom jeweiligen Einzelfall ab. Der Geschwindigkeit des Einsatzfahrzeugs komme dabei entscheidende Bedeutung zu. Der Vorrang des § 38 Abs. 1 Satz 2 StVO bedeute nicht, dass der Fahrer des Einsatzfahrzeugs blindlings oder „auf gut Glück“ in eine Kreuzung bei rotem Ampellicht einfahren dürfe. Er dürfe vielmehr auch unter Inanspruchnahme von Sonderrechten bei rotem Ampellicht erst in die Kreuzung einfahren, wenn er den sonst bevorrechtigten Verkehrsteilnehmern rechtzeitig zu erkennen gegeben habe, solche Rechte in Anspruch nehmen zu wollen und sich überzeugt habe, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt hätten. Er müsse sich vorsichtig in die Kreuzung vortasten und bei einer unübersichtlichen Kreuzung unter Umständen nur mit Schrittgeschwindigkeit einfahren. Aufgrund der erstinstanzlich festgestellten Einfahrgeschwindigkeit von 30 km/h sei diese Geschwindigkeit aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten als überhöht anzusehen. Auf Seiten des Beklagten sei deshalb von einem Verschulden auszugehen.

Pflichtwidrigkeit des Klägers
Auf Seiten des Klägers sei demgegenüber ein Verstoß gegen § 38 Abs. 1 StVO zu berücksichtigen, da er das Martinshorn jedenfalls bei hinreichender Aufmerksamkeit hätte wahrnehmen können.

Haftungsverteilung
Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungsbeiträge sieht der Senat bei keiner Seite eine überwiegende Haftung und hält deshalb eine Haftungsverteilung von 50:50 für angemessen. Zwar sei aufgrund der Größe und Schwere des Fahrzeugs sowie aufgrund der durchgeführten Fahrmanöver wie dem Überfahren einer rot abstrahlenden Ampel in den Kreuzungsbereich hinein von einer erhöhten Betriebsgefahr des Feuerwehrfahrzeugs auszugehen. Andererseits liege ein nicht unerheblicher schuldhafter Verkehrsverstoß des Klägers gegen § 38 Abs. 1 StVO vor, während die Ausgangsgeschwindigkeit des Feuerwehrfahrzeugs nicht übermäßig hoch war. Daher sei eine Schadensverteilung von 50:50 gerechtfertigt.

Anmerkungen des Autors
Das Urteil des OLG Brandenburg ist wegen seiner ausführlichen Begründung hinsichtlich der einzelnen Verursachungsbeiträge besonders lesenswert.

Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit Verkehrsunfällen auseinanderzusetzen gehabt, an denen Sonderrechtsfahrzeuge beteiligt waren.

Hinzuweisen ist insofern auf zwei Urteile:

1.
Das Kammergericht hat in einem Urteil vom 12.06.2008 — 22 U 64/07 = VersR 2009, 517, ausgeführt, dass ein Einsatzfahrer sich grob fahrlässig verhalte, wenn er mit überhöhter Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich einfahre, obwohl er wegen einer Sichtbehinderung nicht feststellen könne, ob die Signale des Einsatzfahrzeugs von den übrigen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen und beachtet wurden. Der BGH hat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluss insofern zurückgewiesen.

2.
In einem Urteil vom 26.02.2009 — 1 U 76/08 = DAR 2009, 464, hat das OLG Naumburg entschieden, dass auch bei der Nutzung von Sondersignalen der Fahrer eines Rettungswagens verpflichtet sei, sich in einen Kreuzungsbereich langsam hineinzutasten und sorgfältig zu beobachten, ob sein Sondersignal von allen anderen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen und beachtet werde. Im zu entscheidenden Fall hat das Gericht den Verursachungsanteil des Fahrers des Rettungswagens mit 80 % angesetzt, da er trotz der für ihn roten Ampel mit 55 km/h in den Kreuzungsbereich hinein gefahren sei.

Die Entscheidung des OLG Brandenburg liegt somit auf der Linie des OLG Naumburg. Im vom OLG Brandenburg zu entscheidenden Fall war der Fahrer des Feuerwehrfahrzeugs mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h eingefahren, so dass insofern eine Schadenverteilung von 50:50 sachgerecht erscheint.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Stephan Schröder, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Urteilsbesprechung vom 02.02.10