Verkehrsrecht -

Mitverschulden des alkoholisierten Beifahrers

Zwischen absolut fahruntüchtigem Fahrer und alkoholbedingt komatösem und nicht angeschnalltem Beifahrer ist eine Schadensteilung im Verhältnis 2/3:1/3 vorzunehmen.

Redaktioneller Leitsatz

Im Rahmen des § 254 BGB gilt der § 827 Satz 2 BGB entsprechend. Danach kann ein Beifahrer für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich sein, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt auf die Tatsache ab, dass der Beifahrer zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsicht hatte.

Darum geht es

Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Schäden, die er als Beifahrer bei einem Unfall erlitten hat, bei dem der Beklagte Fahrer des Fahrzeugs war. Der Schaden des Klägers ist nicht ansatzweise bezifferbar.

Zu dem Unfall kam es wie folgt:

Die Parteien besuchten gemeinsam die „Highland-Games“ in Ellwangen. Der Kläger war bereits vor Antritt der Fahrt erheblich alkoholisiert. Auch auf dem Fest wurde in erheblichen Mengen Alkohol getrunken. Eine dem Beklagten nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab einen Blutalkoholgehalt von 3,14 ‰. Gegen Mittag traten unter zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen die Parteien den Rückweg an, wobei der Beklagte das Fahrzeug lenkte. Auf der Bundesautobahn verursachte der Beklagte ohne Einwirkung Dritter einen Verkehrsunfall, wobei das Fahrzeug zumindest auch mit der rechten Seite an den Leitplanken entlang schleifte und schließlich so an den Leitplanken zum Stehen kam, dass der aus dem Fahrzeugfenster hängende Arm des Klägers zwischen Fahrzeug und Leitplanken eingeklemmt wurde. Der Kläger wurde im Fahrzeug herumgeschleudert und erlitt beim Aufprall auf die Leitplanke schwerste Kopfverletzungen, Verletzungen der Weichteile des Oberarms und Brüche am Ellenbogen, an den Fingern und am Handgelenk.

Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte sämtliche Schäden zu 100 % zu ersetzen hat, die ihm aufgrund des Unfalls entstanden sind, soweit der Schaden nicht aufgrund Gesetzes auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das OLG Karlsruhe hat durch Urteil festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger zu 2/3 haftet.

Verschulden gegen sich selbst

Das OLG Karlsruhe hat eine Schadenteilung von 2/3 zu1/3 vorgenommen, weil dem Kläger gemäß § 9 StVG, § 254 BGB ein Mitverschulden zur Last gelegt werden müsse. In der Teilnahme an der Heimfahrt sei trotz erkennbarer Trunkenheit des Fahrers auf Seiten des Beklagten ein Verstoß gegen die eigenen Interessen zu sehen und im Rahmen des §§ 254, 827 Satz 2 BGB entsprechend zu berücksichtigen. Danach sei der Kläger für den objektiven Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt verantwortlich, weil er sich selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt habe. Der Mitverschuldensvorwurf wird durch diese Vorschrift vorverlagert und zielt darauf ab, dass der Kläger zumindest fahrlässig durch seinen Alkoholkonsum eine Situation herbeigeführt hat, in der er nicht mehr die zum Selbstschutz erforderliche Einsichtsfähigkeit hatte.

Gesamtwürdigung des Mitverschuldens

Bei der Gesamtwürdigung des Mitverschuldens des Klägers darf jedoch nicht übersehen werden, dass den Beklagten als Fahrer eine größere Verantwortung traf als den klagenden Beifahrer. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einen Fahrzeugführer eine Fürsorgepflicht gegenüber einem alkoholisierten Insassen trifft und er insbesondere für das ordnungsgemäße Anlegen des Sicherheitsgurtes des Beifahrers Sorge zu tragen hat. Auch ein wegen Alkoholisierung absolut fahruntüchtiger Fahrer, der eine andere alkoholisierte Person in seinem Pkw mitnimmt, hat dafür Sorge zu tragen, dass sich der Mitfahrer anschnallt. Der Haftungsanteil des Beklagten erschien dem Senat unter Zugrundelegung der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen insgesamt mit 2/3, der Mitverschuldensanteil des Klägers mit 1/3 angemessen bewertet.

Anmerkungen des Autors

Das Urteil des OLG Karlsruhe ist deshalb besonders beachtenswert, weil es Bezug nimmt auf die oft übersehene Vorschrift des § 827 Satz 2 BGB. Im vorliegenden Fall hatte das Gericht darüber zu befinden, ob den Kläger aufgrund der eigenen Alkoholisierung ein Mitverschulden trifft. Da im Rahmen des (Mit-)Verschuldens auch die Zurechnungsfähigkeit zu prüfen ist, ist § 827 BGB im Rahmen des § 254 BGB mit zu berücksichtigen (vgl. Palandt, BGB-Kommentar, 69. Auflage 2009, § 254 Rdnr. 9).
Hat sich der Geschädigte danach durch berauschende Mittel schuldhaft in einen Zustand, der die freie Willensbestimmung ausschließt, versetzt, wird sein Verschulden vermutet. Auf die Schadenverursachung und ihre Vorhersehbarkeit in nüchternem Zustand braucht sich das Verschulden nicht zu beziehen.

Die Entscheidung des OLG Karlsruhe entspricht ständiger Rechtsprechung. Hinzuweisen ist insofern auf das Urteil des BGH, der bereits im Jahr 1971 (vgl. VersR 1971, 473) entschieden hat, dass einen Mitfahrer ein Verschulden trifft, wenn für ihn erkennbar war, dass der Fahrer alkoholisiert war. Hinsichtlich der Erkennbarkeit genügt es nach Auffassung des BGH, dass sich dem Geschädigten bei zumutbarer Aufmerksamkeit aus den für ihn erkennbaren Gesamtumständen begründete Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Fahrers aufdrängen mussten, so dass ein in angemessener Weise auf seine Sicherheit bedachter Fahrgast verständigerweise von der Mitfahrt Abstand genommen hätte. Zwar war im vom OLG Karlsruhe zu entscheidenden Fall für den Kläger aufgrund seiner eigenen Alkoholisierung nicht mehr erkennbar, wie betrunken der Fahrer war. Das OLG Karlsruhe hat allerdings zutreffend herausgearbeitet, das insofern auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt vorliegt, weil er sich gerade selbstverschuldet in den vorübergehenden Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung versetzt hat.

Mit demselben Argument des Verstoßes gegen die ihm obliegende Eigensorgfalt hat auch bereits das OLG Brandenburg, Urt. v. 23.07.2009 — 12 U 29/09, DRsp Nr. 2009/20250 = VersR 2009, 1284, ein Mitverschulden eines Motorradfahrers angenommen. Im dortigen Fall hatte der Unfallgegner sogar zu 100 % gehaftet, der Fahrer aber keine ausreichende Motorradschutzkleidung getragen, vgl. dazu die Urteilsanmerkung „Weniger Schmerzensgeld ohne Motorradschutzkleidung“ vom 28.09.09.

Quelle: Dr. Stephan Schröder, Rechtsanwalt und FAVerkR, Kiel - Urteilsanmerkung vom 28.10.09