Verkehrsrecht -

Sicherstellung von Kraftfahrzeugen als Mittel zur Gefahrenabwehr

Die Sicherstellung von Fahrzeugen aufgrund erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung kannnur im Fall einer gegenwärtigen und damit konkreten Gefahr von der Polizei angeordnet werden.

Das Verwaltungsgericht München hatte mit Urteil vom 12.03.2008 (DAR 2008, 411) entschieden, dass die Sicherstellung eines Kraftrads bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h (im konkreten Fall um 46 km/h) durch die Polizei rechtmäßig sei. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall nunmehr entschieden, dass eine auf Art. 25 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz (PAG) gestützte Sicherstellung eines Motorrades rechtswidrig sei und die Wegnahme einen erheblichen und schweren Eingriff in das Eigentumsrecht des Klägers (Art. 14 Abs. 1 GG) darstelle.

Die Entscheidung: BayVGH, Urteil vom 26.01.2009 - 10 BV 08.1422

Art. 25 Nr. 1 PAG liefert keine Rechtsgrundlage dafür, an Unfallschwerpunkten bei erheblichen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung generell Fahrzeuge für einen oder mehr Tage sicherzustellen.

Der Entscheidung des BayVGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Polizeipräsidium Oberbayern hat festgestellt, dass die B 11 im Bereich des sog. Kesselbergs einen Unfallschwerpunkt darstellt. In den Jahren 2003-2007 sei es durchschnittlich zu mehr als 30 Verkehrsunfällen pro Jahr mit 17-20 Verletzten gekommen. An den meisten Unfällen seien Motorradfahrer beteiligt gewesen, weil die kurvenreiche Strecke am Kesselberg ein beliebtes Ausflugsziel für Motorradfahrer darstelle. Verschiedene Versuche, den Unfallschwerpunkt durch offene Polizeipräsenz, Geschwindigkeitskontrollen, Öffentlichkeitsarbeit etc. zu entschärfen, hätten zu keiner durchgreifenden Verbesserung geführt. Das Polizeipräsidium Oberbayern habe deshalb nach Rücksprache mit dem Bayerischen Staatsministerium des Inneren eine härte Vorgehensweise vereinbart, wonach Motorräder von sogen. „Hardcore-Kradrasern“ sichergestellt werden, wenn die Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h überschritten bzw. innerhalb eines Jahres zweimal eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 25 km/h begangen hätten. Die Motorräder sollten in derartigen Fällen sichergestellt, abgeschleppt und mindestens bis zum nächsten Morgen, an Wochenenden bis zum Montagmorgen, verwahrt werden.

Im vom BayVGH entschiedenen Fall war der Kläger im August 2007 zunächst innerorts wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 11 km/h von der Polizei angehalten und mit einem Verwarngeld von 25 € belegt worden. Kurze Zeit später ist er mit seinem Kraftrad auf der B 11 gefahren und hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 42 km/h überschritten. Die Verkehrspolizeiinspektion Weilheim ordnete deshalb mündlich die Sicherstellung des Motorrades an, nahm das Kraftrad des Klägers in Verwahrung und ließ das Motorrad abschleppen. Mit der Klage verlangt der Kläger die Feststellung, dass die Sicherstellung seines Motorrades und das anschließende Abschleppen rechtswidrig waren.

Der BayVGH hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, dass die Sicherstellungsanordnung rechtswidrig gewesen sei und den Kläger in seinen Rechten verletzt habe.

Nach Art. 25 Nr. 1 PAG könne die Polizei zwar eine Sache zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sicherstellen. Eine solche Sicherstellungsanordnung setze allerdings eine konkrete gegenwärtige Gefahr voraus. Sie setzt also für eine Sicherstellung von Fahrzeugen eine im Einzelfall bestehende Gefahr eines im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang drohenden Verkehrsverstoßes voraus. Eine derartige konkrete Gefahr konnte das Gericht im vorliegenden Fall allerdings nicht feststellen. Eine konkrete und gegenwärtige Gefahr bestehe nämlich nur dann, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der nächsten Zeit eine Störung der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sei. Eine solche Prognoseentscheidung im Einzelfall könne nicht schematisch an die Höhe einer einmaligen oder zweimaligen Geschwindigkeitsübertretung geknüpft werden. Denn es gebe keinen Erfahrungssatz, so der Senat, dass ein von der Polizei ertappter Verkehrssünder sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten und Punkten unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die im Straßenverkehrsrecht vorgesehenen Ordnungsmittel den normalen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindrucken, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße absehe.

Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten. Ein solcher Ausnahmefall liege etwa dann vor, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei, wenn er weitere Verkehrsverstöße ausdrücklich ankündige oder wenn er sich auf dem Weg zu einem unerlaubten Wettrennen befinde. Im Regelfall könne die Polizei jedoch bei ihrer Gefahrenprognose nicht davon ausgehen, dass das im Straßenverkehrsgesetz enthaltene System von Sanktionen und Präventivmaßnahmen (siehe insbesondere § 4 StVG) wirkungslos bleibe. Eine solche Ausnahme widerspräche nicht nur der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern auch den grundlegenden Wertungen des Straßenverkehrsgesetzes.

Im vorliegenden Fall sei festzustellen gewesen, dass der Kläger sich weder uneinsichtig gezeigt habe noch weitere Verkehrsverstöße angezeigt habe. Im übrigen gehöre er auch nicht zur sog. Rennszene am Kesselberg. Darüber hinaus führt der Senat aus, dass dem Kläger ein Rehabilitationsinteresse zustehe, weil die Sicherstellung seines Motorrads eine diskriminierende Wirkung gehabt hätte. Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 PAG ermächtige die Polizei grundsätzlich nur zu präventiven (der Gefahrenabwehr dienenden) Sicherstellung von Sachen, nicht hingegen zu repressiven allein der Bestrafung eines Beschuldigten dienenden Wegnahme von Gegenständen. Mit der Sicherstellung des Motorrades sei der Kläger von der Polizei zur Gruppe der besonders gefährlichen „Hardcore-Raser“ gerechnet worden und habe im Unterschied zu sonstigen Verkehrsteilnehmern mit der Wegnahme des Motorrades eine besondere einschneidende und diskriminierende Behandlung erfahren. Die Wegnahme des Motorrads stelle daher einen erheblichen und schweren Eingriff in das Eigentumsrecht des Klägers (Art. 14 Abs. 1 GG) dar.

Anmerkung

Der BayVGH setzt sich in seiner Entscheidung ausführlich mit den Voraussetzungen der Sicherstellung von Fahrzeugen bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen auseinander. Das Urteil wird über Bayern hinaus Beachtung finden, da es grundsätzliche Erwägungen hinsichtlich der Sicherstellung von Fahrzeugen zum Inhalt hat. Darüber hinaus enthält das Urteil einen deutlichen Hinweis an die Polizei. Der Senat hebt in seiner Entscheidung besonders hervor, dass die Polizei bei der von ihr anzustellenden Gefahrenprognose nicht unterstellen könne, dass die Höhe einer Geschwindigkeitsüberschreitung allein ausreichend sei, um Sicherungsmaßnahmen zu treffen und das im StVG enthaltene System von Sanktionen und Präventivmaßnahmen grundsätzlich wirkungslos bleibe.

Der BayVGH hat schließlich die Revision gegen die Entscheidung nicht zugelassen. Es bleibt somit abzuwarten, ob die Polizei, wie es in der Vergangenheit bereits geschehen ist, Vollsperrungen der B 11 im Bereichdes Kesselbergs - zumindest am Wochenende - durchführen wird.

Quelle: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Dr. Stephan Schröder, Kiel - Entscheidungsbesprechung vom 09.04.09