Verkehrsrecht -

Verkehrsunfall im Ausland – was nun?

Ein einführender Überblick über die Besonderheiten der Schadensregulierung bei einem im Ausland unverschuldet erlittenen Unfall.

Jedes Jahr aufs Neue fahren viele Millionen Deutsche mit dem eigenen Pkw, dem Motorrad oder dem Campingbus ins Ausland, um dort ihren Urlaub zu verbringen und um flexibel die Urlaubsregion erkunden zu können. Was aber passiert, wenn sich im Urlaub ein Verkehrsunfall, also ein klassischer Auslandsunfall, ereignet?

Beispiel:
Ein in Belgien versichertes Fahrzeug verursacht a) in Belgien oder b) in den Niederlanden einen Unfall; der Geschädigte kommt aus Deutschland.

1. Auslandsunfall

In diesem Beitrag sollen nur die Auslandsunfälle des vorstehenden Beispiels beleuchtet werden.

Nicht bzw. nur am Rande behandelt werden die umgekehrten Fälle; also die Konstellationen, in denen ein im Ausland versichertes Fahrzeug in Deutschland einen Verkehrsunfall verschuldet und der Geschädigte seinen Wohnsitz in Deutschland hat. In diesen Fällen liegt kein Auslandsunfall im eigentlichen Sinne vor, sondern lediglich ein Unfall mit Auslandsbezug. Diese Fälle sind nach dem Grüne-Karte-System zu lösen und stellen den klassischen Grüne-Karte-Fall dar.

2. Bisherige Rechtslage bei Auslandsunfällen

Lediglich bei einem Unfall im Ausland, bei dem beide Beteiligte Inländer waren bzw. ihren Wohnsitz im Inland hatten, konnten die Ansprüche bislang in Deutschland gerichtlich geltend gemacht werden. In einer solchen Fallkonstellation ergaben und ergeben sich aber regelmäßig keine Besonderheiten. Zu beachten ist in einem solchen Fall nur, dass selbstverständlich das ausländische Straßenverkehrsrecht anzuwenden ist.

Bei einem Unfall im Ausland mit ausländischem Gegner hingegen, der früher grundsätzlich vor einem ausländischen Gericht verhandelt werden musste, empfahl es sich demgegenüber regelmäßig, einen ausländischen Anwalt zu beauftragen. Die Erfahrungen in der Praxis zeigten, dass solche Mandate mit Auslandsbezug für einen deutschen Anwalt in der Regel nur sehr mühevoll zu bearbeiten waren.

3. Besonderheiten bei Auslandsunfällen

Bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aus Kfz-Unfällen im Ausland sind einige wichtige Punkte vorab zu beachten und zu klären, bevor die eigentliche Unfallsschadensregulierung beginnt.

Zunächst ist zu unterscheiden, ob die an dem Unfall beteiligten Fahrzeuge in einem EWR-Land oder einem Drittland zugelassen sind. Denn abhängig von der Beantwortung dieser Frage handelt es sich entweder um einen Auslandsunfall nach der 4. KH-Richtlinie oder um einen Fall bei dem das Grüne-Karte-System Anwendung findet.

Ferner ist die internationale Zuständigkeit, also die Frage in welchem Staat der Gerichtsstand für einen evtl. notwendigen Rechtsstreit gegeben ist, für das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung.

4. Internationale Zuständigkeit / Gerichtsstand

Mit der Frage, ob sich die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts im Fall der Klage eines inländischen Geschädigten gegen einen ausländischen Kfz-Versicherer durch Auslegung aus den Regelungen der EuGVVO herleiten lasse, hatte sich der Europäische Gerichtshof aufgrund einer Vorlageentscheidung des Bundesgerichtshofs zu befassen.

In dem Ausgangsverfahren vor dem OLG Köln hatte das Gericht die Klage eines deutschen Geschädigten nach einem Verkehrsunfall in den Niederlanden gegen einen niederländischen Kfz-Versicherer vor einem deutschen Gericht zunächst für zulässig befunden und die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, der wiederum die Frage dem EuGH zur Beantwortung vorlegte.

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich grundsätzlich aus den Regeln der ZPO über die örtliche Zuständigkeit. Danach kann ein örtlich zuständiges deutsches Gericht auch international zuständig sein.

Zu beachten sind in diesem Zusammenhang jedoch sowohl die vorrangigen EU-Rechtsnormen, als auch sonstige internationale Abkommen (wie z.B. das Brüsseler-Übereinkommen (EuGVÜ) oder das Lugano-Übereinkommen).

Für Klagen aufgrund von Verkehrsunfällen ist insbesondere die europäische Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) von Bedeutung.

Deren Artikel 11 Abs. 2 EuGVVO eröffnet in Verkehrsunfallsachen einen besonderen Gerichtsstand. Die genannte Vorschrift sieht vor, dass auf eine Klage, die ein Geschädigter unmittelbar gegen den Versicherer erhebt (Direktanspruch), die Artikel 8, 9 und 10 EuGVVO anzuwenden sind, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. Voraussetzung für diese Verweisung ist lediglich, dass die maßgebliche Rechtsordnung eine Direktklage und einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer zulässt.

Bei der Verweisung in Artikel 11 Abs. 2 EuGVVO ist insbesondere Artikel 9 Abs. 1b EuGVVO zu beachten, der den wichtigen besonderen Gerichtsstand des Wohnsitzes statuiert.

Die Anwendbarkeitserklärung der Artikel 8 bis 10 EuGVVO in Artikel 11 Abs. 2 EuGVVO bedeutet, dass dem Geschädigten die weiteren besonderen Gerichtsstände zur Verfügung stehen, die für Klagen eines Versicherungsnehmers gegen einen Versicherer ausdrücklich vorgesehen sind.

Diese Auffassung vertritt auch der Europäische Gerichtshof. Nach der Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 - C-463/06 - ist die Verweisung in Artikel 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf Artikel 9 Abs. 1, Buchst. b) dieser Verordnung dahingehend auszulegen, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates ansässig ist.

5. Vorteil für den Geschädigten

Der Geschädigte ist nicht mehr darauf beschränkt, seine berechtigten Ansprüche bei unzureichender oder abgelehnter Regulierung gegen den ausländischen Versicherer im europäischen Ausland geltend machen und einklagen zu müssen, sondern er kann den Gerichtsstand selber wählen.

Ihm steht nunmehr die Wahl zu, in welchem Staat er seine Klage erheben möchte.

Hinsichtlich des Gerichtsstands kann er zwischen dem Staat, in dem der Versicherer seinen Sitz hat (im Beispiel: Belgien), dem Unfallort (im Beispiel: a) Belgien oder b) Niederlande) oder seinem Wohnsitzland (im Beispiel: Deutschland) frei wählen.

Der Geschädigte kann so – nach Rücksprache mit seinem Anwalt – den für sich am besten geeigneten Gerichtsstand wählen.

6. Fazit

Unter Berücksichtigung der Richtlinie 2005/14/EG (= 5. KH-Richtlinie) entspricht die Auslegung des EuGH dem ausdrücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und ist mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie mit deren Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte vereinbar.

Auch die besondere Schutzbedürftigkeit eines an einem Auslandsunfall beteiligten Geschädigten, der sich gegenüber dem Versicherer in einer schwächeren Position befindet, rechtfertigt bei Klagen des Unfallopfers die Einräumung des Gerichtsstands am Wohnort des Klägers.

Die praktische Relevanz dieser bisher in der Praxis weitestgehend unbeachteten Regelungen und die damit verbundene Bedeutung der Entscheidung des EuGH werden spätestens nach Rückkehr der Autoreisenden aus ihrem diesjährigen Sommerurlaub deutlich werden.

7. Checkliste bei Verkehrsunfällen mit Auslandsbezug

Die meisten Verkehrsunfälle mit Auslandsbezug werden nach den Regeln des Grüne-Karte-Systems oder der 4. KH-Richtlinie abgewickelt. In diesen Fällen ist für einen deutschen Geschädigten immer auch ein Ansprechpartner verfügbar, mit dem auf deutsch verhandelt und korrespondiert werden kann.

Folgende Punkte sollten bei der Bearbeitung eines Kfz-Unfalls mit Auslandsbezug stets abgefragt und geprüft werden:

Handelt es sich um einen Fall nach dem System der Grünen-Karte oder um einen Auslandsunfall nach der 4. KH-Richtlinie?

  • Dem Grüne-Karte-System unterfallen u.a. Unfälle, die durch ausländische Fahrzeuge in Deutschland verursacht werden.
  • Dem System der 4.KH-Richtlinie unterfallen demgegenüber Unfälle, in denen ein deutsches Fahrzeug im Ausland durch ein inländisches (d.h. aus Sicht des Deutschen ein ausländisches) Fahrzeug geschädigt wird.

Wie ist vorzugehen, wenn es sich um einen Grüne-Karte-Fall handelt?

  • Der Schaden ist beim Deutschen Büro Grüne Karte e.V. anzumelden.
  • Eine gültige Grüne Karte ist vorzulegen.
  • Bei Fahrzeugen aus der EWR-Raum wird das Kennzeichen des Schädigerfahrzeugs benötigt.
  • Sodann werden der ausländische Versicherer und dessen Regulierungsbeauftragter in Deutschland benannt.
  • Der Schadensregulierungsbeauftragte wird mit der Regulierung des Schadens beauftragt.
  • Die Regulierung erfolgt durch den Regulierungsbeauftragten.
  • Erfolgt die Regulierung nicht zufriedenstellend, kann der Geschädigte gerichtlich gegen das Deutsche Büro Grüne Karte e.V. vorgehen (nicht gegen den Schadensregulierungsbeauftragten).

Wie ist vorzugehen, wenn es sich um einen Fall nach der 4.KH-Richtlinie handelt?

  • Mit dem ausländischen Kennzeichen ist über die deutsche Auskunftsstelle der Versicherer und dessen Regulierungsbeauftragter in Deutschland abzufragen.
  • Die Schadensregulierung erfolgt direkt mit dem Regulierungsbeauftragten oder mit dem ausländischen Versicherer.
  • Prüfung welches Recht anwendbar ist (vgl. Art. 40 ff EGBGB).
  • Bestimmung des Gerichtsstands.
  • Beachtung der Wahrung von Fristen und Verfahren.
  • Ggf. die Entschädigungsstelle Verkehrsopferhilfe e.V. einschalten.

Weitere Informationen im Internet zu diesem Thema:

Quelle: Rechtsanwalt Jörg Bister - Beitrag vom 11.08.08