Verkehrsrecht -

Weniger Schmerzensgeld ohne Motorradschutzkleidung

Das Nichttragen von Motorradschutzkleidung findet auch bei 100%iger Haftung des Unfallgegners als schmerzensgeldminderndes Mitverschulden Berücksichtigung.

Redaktioneller Leitsatz:
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach einem Verkehrsunfall kann der Umstand, dass der bei dem Unfall verletzte Motorradfahrer zwar einen Helm, jedoch keine oder nur zum Teil eine Schutzkleidung getragen hat, auch ohne eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung mindernd im Wege des Mitverschuldens (§ 254 BGB in Form des sog. Verschuldens gegen sich selbst) zu berücksichtigen sein.

Sachverhalt:
Der im Jahr 1988 geborene Kläger befuhr mit seinem Motorrad eine innerörtliche Straße. Ihm entgegen kam der Beklagte, der nach links abbiegen wollte und hierbei das entgegenkommende Motorrad des Klägers übersah, so dass es zum Unfall kam. Hierbei traf das Fahrzeug des Beklagten mit dem linken vorderen Kotflügel das linke Bein des Klägers, der auf die Fahrbahn stürzte und sich dabei im Bereich des linken Kniegelenks oberhalb der Kniescheibe eine waagerechte, 5 cm lange Riss- /Quetschwunde und unterhalb der Kniescheibe mehrere kleinere Riss- bzw. Quetschwunden mit Hautabschürfungen im Bereich des linken Kniegelenks und des linken Unterschenkels, im Bereich vor dem Schienbein einen Bluterguss über den gesamten Unterschenkel, eine Schwellung im Bereich des Wandenbeins, eine Druck- und Bewegungsschmerzhaftigkeit im Bereich des Sprunggelenks mit einem leichten Bluterguss, eine leicht herabgesetzte Empfindung von Sinnesreizen im Bereich des linken Fußrückens zuzog, sowie eine nicht dislozierte Avulsionsfraktur der ventralen distalen Tibia links.

Zum Unfallzeitpunkt trug der Kläger zwar einen Helm, an den Beinen allerdings keine Schutzkleidung, sondern lediglich eine Stoffhose.

Die Haftpflichtversicherung des Beklagten glich den materiellen Schaden zu 100 % aus und zahlte auf das Schmerzensgeld einen Betrag in Höhe von 14.000 €.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 11.000 €. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Wesentliche Entscheidungsgründe:
Das OLG Brandenburg vertritt die Auffassung, dass auch bei der unstreitig bestehenden vollen Haftung des Beklagten dem Kläger über das gezahlte Schmerzensgeld hinaus kein weiteres Schmerzensgeld aus § 253 BGB zustehe.

Selbst unter Berücksichtigung von Ausmaß und Schwere sämtlicher vom Kläger dargestellten Verletzungen und Folgeschäden erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 14.000 € angemessen. Dabei orientiert sich der Senat an vergleichbaren Entscheidungen, in denen Schmerzensgelder in einer ähnlichen Größenordnung für angemessen erachtet wurde. bekleidet war. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei ein Mitverschulden des Klägers insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen hat, sondern lediglich mit einer Stoffhose.

Sorgfaltspflicht verletzt
Zwar existieren anders als bei der Helmpflicht keine gesetzlichen Vorschriften darüber, dass jeder Motorradfahrer über das Tragen eines Helms hinaus ingesamt eine Motorradschutzkleidung zu tragen habe. Ein Mitverschulden des Verletzten sei aber bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege (vgl. BGH, NJW 1979, 980 in einem Fall, in dem der Geschädigte noch vor Einführung der Helmpflicht keinen Helm getragen hat).

Verschulden gegen sich selbst
Zu berücksichtigen seien bei der Beantwortung der Frage, ob ein sog. Verschulden gegen sich selbst vorliege, die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie der Gesichtspunkt, was den Verkehrsteilnehmern zuzumuten sei, um diese Gefahren möglichst gering zu halten.

Zweck der Motorradbekleidung
Eine Schutzbekleidung habe die primäre Aufgabe, den Motorradfahrer vor den negativen Folgen eines Sturzes zu schützen bzw. diese zu vermindern. Aufgrund der Instabliltät des Fahrzeugs sei der Motorradfahrer nicht nur bei Rennveranstaltungen, sondern auch im normalen Straßenverkehr besonders gefährdet.

Empfehlung zum Tragen von Schutzkleidung
Deshalb empfehlen sämtliche maßgeblichen Verbände, die sich mit Motorradsicherheit befassen, bei jeder Fahrt Motorradbekleidung zu tragen. Auch die meisten Motorradfahrer emfänden es als persönliche Verpflichtung, Schutzbekleidung zu tragen. Jeder wüsste, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein massiv gesteigertes Verletzungsrisko in sich berge, wobei natürlich nicht verkannt werden soll, dass auch mit dem Tragen von Motorradschutzkleidung nicht jeglichen Verletzungsgefahren entgegengewirkt werden könne.

Leistung des Motorrads unerheblich
Es komme nicht entscheidend darauf an, zu welchen Leistungen das Motorrad letztlich in der Lage sei. Auch für „kleine Maschinen“ könne auf Schutzkleidung zur Vermeidung schwerer Verletzungen nicht verzichtet werden.

Nicht-Normierung der Pflicht spielt keine Rolle
Auch wenn die Tragepflicht von Motorradkleidung nicht normiert sei, ändere dies nichts an der Tatsache, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens eine Schutzkleidung trägt und er, sofern er darauf verzichtet, bewusst ein erhebliches Verletzungsrisiko im Falle eines Unfalls eingeht. Deshalb erscheint es sachgerecht, im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Verschulden gegen sich selbst schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall habe der Kläger auf das Tragen einer Schutzkleidung ausgerechnet an den Beinen, also dort, wo die Verletzungsgefahr am größten ist, verzichtet. Es könne ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der am linken Bein erlittenen Verletzungen wie Prellungen und Risswunden, die eine umfangreiche chirurgische Wundversorgung erforderten, nicht eingetreten wären, wenn der Kläger auch an den Beinen eine Schutzbekleidung getragen hätte.

Anmerkung des Autors:

Das Urteil des OLG Brandenburg ist wegen seiner ausführlichen Begründung eines Mitverschuldens trotz 100 %iger Haftung des Unfallverursachers sehr lesenswert. In dieser Deutlichkeit fehlte es bisher an einer gerichtlichen Entscheidung. Wie das OLG Brandenburg hatten zuvor – allerdings ohne Begründung - das Amtsgericht Hagen, SP 2002, 126, das AG Hannover, Urt. v. 15.02.1996 - 544 C 15726/95, DRsp Nr. 1997/1844 = r+s 1997, 68 und das OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.02.2006 - 1 U 137/05, DRsp Nr. 2008/13549 = NZV 2006, 415 entschieden.

In Rechtsprechung und Literatur besteht die einhellige Auffassung, dass der Verletzte eine Mitschuld trägt, wenn er zur Entstehung des Schadens schuldhaft beigetragen hat. Dies wird dann angenommen, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vgl. BGHZ, 9, 316 und BGH, Urt.v. 30.01.1979 - VI ZR 144/77, DRsp Nr. 1994/5251 NJW 1979, 980). An diesen Grundsätzen orientiert sich auch das Urteil des OLG Brandenburg.

Die Entscheidung ist in sich schlüssig und konsequent. Sie steht im Einklang mit der Rechtsprechung zum Mitverschulden eines sportlich ambitionierten Radfahrers, der keinen Fahrradhelm trägt. So hat bereits das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 12.02.2007, I-1 U 182/06, DRsp Nr. 2007/7057 = DAR 2007, 458 = SP 2007, 167 entschieden: „Der Umstand, dass für Radfahrer keine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen eines Fahrradhelms besteht, steht der Annahme des Mitverschuldens für den Radfahrer beim Verkehrsunfall mit Kopfverletzungen grundsätzlich nicht entgegen. Während man von einem Freizeitfahrer ohne sportliche Ambitionen nicht ohne weiteres verlangen kann, zu seinem eigenen Schutz einen Fahrradhelm zu tragen, ist die Lage bei besonders gefährdeten Radfahrergruppen wie radsporttreibenden Rennradfahrern, anders zu beurteilen (so auch OLG Saarbrücken, SP 2009, 136).

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Stephan Schröder, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Kiel - Urteilsanmerkung vom 28.09.09