Arbeitsrecht, Sozialrecht -

Tariflicher Zuschlag bei Dauernachtschicht

Ein auf Dauer in der Nacht arbeitender Mitarbeiter hat Anspruch auf den tariflichen Nachtschichtzuschlag. Erst ein Wechselschichteinsatz oder ein kurzfristiges Abweichen von der Normalarbeitszeit lässt diesen Zuschlag entfallen. Das hat das LAG München in Auslegung eines Tarifvertrags der Logistikbranche entschieden. Für die Auslegung gelten die Grundsätze der BAG-Rechtsprechung.

Sachverhalt

Der Staplerfahrer eines Logistikunternehmens wird in einem Betriebsteil beschäftigt, in dem im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb in sechs Schichten gearbeitet wird:
Der Staplerfahrer arbeitet auf eigenen Wunsch in der Schicht von 20.00 bis 5.00 Uhr.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV für das Speditions-, Transport- und Logistikgewerbes in Bayern, gültig ab 01.01.2015, Anwendung (im Folgenden: MTV). § 11 MTV lautet auszugsweise wie folgt:

„I. Allgemein
1. Für Mehr-, Nacht-, Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit wird ein Zuschlag zum tariflichen Stundenlohn bezahlt (...)
3. Beim Zusammentreffen von mehreren Zeitzuschlägen wird nur der jeweils höchste gewährt, es sei denn, es handelt sich um Mehrarbeit im Schichtdienst bzw. im zeitversetzten Dienst. (…)

III. Nachtarbeit
1. Für Nachtarbeit in der Zeit zwischen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr ist ein Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % zum tariflichen Stundenlohn zu zahlen. (…)
IV. Sonn- und Feiertagsarbeit
1. Sonn- und Feiertagsarbeit ist die an diesen Tagen zwischen 00.00 Uhr und 24.00 Uhr geleistete Arbeit. (…)
3. Die Zuschläge betragen:
a) für Sonntagsarbeit 50 % zum tariflichen Stundenlohn
b) für Sonntagsnachtarbeit 100 % zum tariflichen Stundenlohn
c) für Feiertagsarbeit 100 % zum tariflichen Stundenlohn. (…)

V. Schichtarbeit/zeitversetzter Dienst
1. Schichtarbeit kann eingeführt werden. Regelmäßige Schichtarbeit liegt vor, sofern sie länger als eine Woche dauert. Die Einteilung zur regelmäßigen Schichtarbeit ist dem Arbeitnehmer spätestens drei Arbeitstage vor ihrem Inkrafttreten mitzuteilen.

Anmerkung zum Begriff ‚Schichtarbeit‘:
a) Schichtarbeit liegt vor, wenn in einem Betrieb oder Betriebsteil regelmäßig nach Schichtplan in mindestens zwei Schichten durchlaufend gearbeitet wird, wobei der Einsatz des Personals in regelmäßigen Wechsel zu erfolgen hat.
b) Zeitversetzter Dienst liegt vor, wenn von der regelmäßigen, täglichen, betrieblichen Normalarbeitszeit abgewichen wird. Sie (…) ist mindestens drei Tage vorher bekannt zu geben. Zeitversetzter Dienst ist nur dann gegeben, wenn mehr als drei Stunden von der regelmäßigen, täglichen, betrieblichen Normalarbeitszeit abgewichen wird. Zeitversetzter Dienst hat nichts mit gleitender Arbeitszeit zu tun.

2. Bei regelmäßiger Schichtarbeit wird für alle Stunden auf den tariflichen Stundenlohn ein Zuschlag von 10 % bezahlt. Der Nachtarbeitszuschlag gemäß Abs. III entfällt.
Bei zeitversetztem Dienst wird für alle Stunden ein Zuschlag von 5 %, für alle Nachtarbeitsstunden ein Zuschlag von 10 % auf den tariflichen Stundenlohn bezahlt. Der Nachtarbeitszuschlag gemäß Abs. III entfällt.“

Das Unternehmen zahlt an den Staplerfahrer einen Schichtzuschlag von 5 %, einen Nachtarbeitszuschlag für die Zeit von 20.00 bis 6.00 Uhr von 10 % sowie für Sonntagsarbeit in der Zeit von 0.00 bis 24.00 Uhr einen Zuschlag von 50 %. Dieser macht gerichtlich einen weiteren Zahlungsanspruch i.H.v. 2.983,52 € brutto für Nachtzuschläge gem. § 11 Abs. 3 Ziff. 1 MTV i.H.v. 50 % zum tariflichen Stundenlohn für den Zeitraum Mai – Oktober 2015 geltend.

Das ArbG Kempten hat der Klage mit Urteil vom 14.04.2016 (5 Ca 2237/15) nur hinsichtlich des Zuschlags für Sonntagsnachtarbeit stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das LAG München hat das Urteil auf die Berufung der Parteien mit Urteil vom 08.11.2016 (9 Sa 367/14) abgeändert und die Beklagte zur Zahlung i.H.v. 2.983,52 € brutto verurteilt. Es hat die Revision zugelassen.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Der Kläger hat aus § 11 Abs. 3 Ziff. 1 MTV Anspruch auf einen Zuschlag von 50 % für die zwischen 20.00 und 6.00 Uhr geleistete Arbeit. Dieser Anspruch entfällt nicht nach § 11 Abs. 5 MTV.

Die Tarifvertragsparteien haben in § 11 Abs. 3 Ziff. 1 MTV geregelt, dass für Nachtarbeit in der Zeit zwischen 20.00 und 6.00 Uhr ein Nachtarbeitszuschlag von 50 % des tariflichen Stundenlohns zu bezahlen ist. Hiervon kann nach § 11 Abs. 5 Ziff. 2 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 1 Satz 2 MTV nur im Falle von Schichtarbeit oder bei zeitversetztem Dienst abgewichen werden. Der Kläger leistet weder zeitversetzten Dienst noch Schichtarbeit i. S. d. § 11 Abs. 5 MTV. Dies ist das Ergebnis der Auslegung des normativen Teils des MTV, die den Regeln folgt, die für die Auslegung von Gesetzen gelten.

Der Kläger hat aus den gleichen Gründen auch einen Anspruch auf einen Sonntagsnachtarbeitszuschlag von 100 % für die an Sonntagen geleistete Nachtarbeit aus § 11 Abs. 4 b) MTV. Wenn der Anwendungsbereich des § 11 Abs. 5 Ziff. 2 MTV eröffnet wäre, läge ein Zusammentreffen mehrerer Zuschläge vor. Dann ist nach § 11 Abs. 1 Ziff. 3 MTV der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das LAG München orientiert sich bei der Auslegung des Tarifvertrags an der ständigen Rechtsprechung des BAG. Danach gebührt im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urt. v. 07.10.2015, 7 AZR 945/13; BAG, Urt. v. 22.10.2003, 10 AZR 152/03).

Praxishinweis

Die Nummerierung der Vorschriften des MTV im Sachverhalt des Urteils ist fehlerhaft. Das LAG München hat die Revision wegen bloß „erwarteter Divergenz“ zur Parallelsache LAG München (3 Sa 370/16) zugelassen. Dieser Revisionsgrund existiert nicht. Das Revisionsverfahren ist beim BAG unter dem Az. 10 AZR 839/16 anhängig.

LAG München, Urt. v. 08.11.2016 - 9 Sa 367/16

Quelle: Rechtsanwalt und FA für Arbeitsrecht Dr. Martin Kolmhuber