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Pflichtteilsanspruch: Wann ist das Nachlassverzeichnis vollständig?

Bei der Plausibilitätskontrolle eines Nachlassverzeichnisses hat der Notar bei klärungsbedürftigen Punkten die Erben einer „qualifizierten“ Befragung zu unterziehen und sie ggf. anzuhalten, eigene Auskunftsansprüche durchzusetzen. Das hat das OLG Bamberg entschieden und damit die notariellen Prüfungspflichten aufgezeigt und die Rechte des Pflichtteilsberechtigten unterstrichen.

Sachverhalt

Die zwei Erben wurden im Rahmen einer pflichtteilrechtlichen Stufenklage durch Teil-Anerkenntnisurteil dazu verurteilt, dem Pflichtteilsberechtigten durch Vorlage eines Verzeichnisses Auskunft über den Bestand des Nachlasses zu erteilen. Das vorgelegte notarielle Nachlassverzeichnis war wohl jedoch nach Ansicht des Pflichtteilsberechtigten nicht vollständig. Im Rahmen einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme nach § 888 ZPO erzwang er die vollständige Erfüllung seines Auskunftsverlangens. Vor dem Landgericht hatte dieses Begehren jedoch keinen Erfolg. Daher legte der Pflichtteilsberechtigte sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO beim OLG ein.

Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Die sofortige Beschwerde hatte in der Sache im Wesentlichen Erfolg und führte zu einer Festsetzung eines Zwangsgeldes. Im Allgemeinen ist das OLG Bamberg der Ansicht, dass der Umfang der Prüfungs- und Ermittlungspflicht entgegen der Ansicht des LG weitgehend geklärt sei. Im Speziellen kam das Beschwerdegericht zur Überzeugung, dass das vorgelegte notarielle Nachlassverzeichnis diesen allgemeinen Anforderungen zumindest hinsichtlich der mit der sofortigen Beschwerde beanstandeten Punkte offensichtlich nicht genügt.

Folgerungen aus der Entscheidung

Das OLG Bamberg fasst in seinem Beschluss die bisherige OLG-Rechtsprechung zum Umfang der Prüfungs- und Ermittlungspflicht des Notars bei der Aufnahme eines Nachlassverzeichnisses prägnant zusammen und verweist hierzu weiterführend auf die umfassende Darstellung bei Staudinger/Herzog. Im Einzelnen fasst das OLG Bamberg wie folgt zusammen:

„Danach liegt ein durch einen Notar aufgenommenes Nachlassverzeichnis nur dann vor, wenn der Notar den Nachlassbestand selbst ermittelt hat und in den das Bestandsverzeichnis konstituierenden Feststellungen bzw. in den diese Feststellungen erläuternden Angaben des Notars oder in den von ihm aufgenommenen Erklärungen der Erbenseite zugleich zum Ausdruck kommt, dass der Notar für den Inhalt verantwortlich ist.

Dementsprechend genügt es nicht, dass der Notar lediglich Erklärungen der Erbenseite beurkundet, ohne diese Angaben einer kritischen (und so auch dokumentierten) Plausibilitätskontrolle zu unterziehen und den sich daraus ergebenden - konkreten - Anhaltspunkten für eine weitere Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen. Mit diesen Vorgaben wird dem Notar weder die Rolle eines Detektivs überbürdet noch werden ihm die Fähigkeiten eines Hellsehers abverlangt.

Er ist insbesondere nicht verpflichtet, ohne bestimmte Anhaltspunkte in alle denkbaren Richtungen zu ermitteln, um weiteres Nachlassvermögen aufzuspüren. Sowohl die Anforderungen an die Plausibilitätskontrolle des Notars wie der Umfang der ihm obliegenden Ermittlungen richten sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Als Richtschnur kann für beide Aufgaben jeweils die Frage dienen, welche greifbaren Zweifel bzw. welche naheliegenden Nachforschungen sich aus der objektiven Sicht eines den auskunftsberechtigten Gläubiger sachkundig beratenden Dritten aufdrängen würden.

Dementsprechend hat der Notar zunächst den Erben anzuhalten, seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen und ihm wahrheitsgemäße, insbesondere auch vollständige Auskünfte zu erteilen sowie die zur Überprüfung benötigten Urkunden und sonstigen Belege lückenlos vorzulegen. Wie in der Notarpraxis nicht selten vernachlässigt wird, schließt dieses Standardprogramm zugleich die Verpflichtung ein, den Erben auf dessen eigene Aufklärungsmöglichkeiten nachhaltig hinzuweisen.

Hierbei darf und muss der Notar die Wissensressourcen des Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotential gegebenenfalls in der Weise nutzbar machen, dass die Erbenseite aufgefordert und instruiert wird, ihre eigenen Auskunftsansprüche gegen Geldinstitute bzw. sonstige Dritte durchzusetzen; die vom Erben geschuldete Kooperation kann insoweit auch in der Anweisung an den Wissensträger bestehen, die benötigten Auskünfte unmittelbar gegenüber dem Notar zu erteilen.

Hat die Plausibilitätskontrolle des Notars klärungsbedürftige Punkte aufgedeckt, so wird es in der Regel geboten sein, den Erben mit dem Ergebnis der Überprüfung zu konfrontieren und von ihm ergänzende Angaben einzufordern. Sofern substantielle Zweifel fortbestehen, wird es sich häufig empfehlen, nach einem im Wege eines Ausschlussverfahrens aufgebauten Frageschema schrittweise auf (möglichst wortgetreu aufzunehmende) Erklärungen hinzuwirken, mit denen sich die (nochmals eindringlich an ihre Wahrheitspflicht erinnerte) Erbenseite definitiv darauf festlegt, aus welchen konkreten Gründen sie über keine (weiteren) Erkenntnisse verfügt und insbesondere auch nichts von noch bislang ungenutzten Erkenntnisquellen weiß.

Eine solche bereits in der ‚qualifizierten‘ Belehrung und Befragung der Erbenseite zum Ausdruck kommende Kontrolldichte ist, wie die Gegebenheiten des Streitfalls exemplarisch veranschaulichen, von vornherein bei auffälligen Vorgängen angezeigt und geboten, die auf Vermögensverschiebungen im Bereich des sog. fiktiven Nachlasses hindeuten.“

Praxishinweis

Die Vollstreckung eines Auskunftsanspruches des Pflichtteilsberechtigten gem. § 2314 BGB ist im Wege der Vollstreckung einer nicht vertretbaren Handlung nach § 888 ZPO vorzunehmen. Wörtlich lautet diese Vorschrift wie folgt: „Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, wenn sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, auf Antrag von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu erkennen, dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder durch Zwangshaft anzuhalten sei.“

OLG Bamberg, Beschl. v. 16.06.2016 - 4 W 42/16

Quelle: Rechtsanwalt Ralf Mangold